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Wirtschaftsexperte: Deutschland war immer der "härteste Knochen"

Angesichts des EU-Sondergipfels kritisiert Thomas Klau, Wirtschaftsexperte beim European Council on Foreign Relations in Paris, die Rolle der Bundesrepublik in der Schuldenkrise. Deutschland habe sich am längsten gegen Schritte gesperrt, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen hätten.

Thomas Klau im Gespräch mit Friedbert Meurer | 21.07.2011
    Friedbert Meurer: Heute Mittag 13 Uhr beginnt in Brüssel der Euro-Sondergipfel. Die Lage sei ernst, warnt Kommissionspräsident Barroso. Er will damit den Druck zur Einigung erhöhen. Heute Nacht vermeldete denn auch in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert nach einem Treffen der Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten Sarkozy, beide Seiten seien sich einig über die Griechenland-Hilfe.

    Das klingt also nach Harmonie zwischen Berlin und Paris. Dazu passt aber überhaupt nicht, was die französische Zeitung "Le Canard enchainé" in den letzten Tagen in ihrer neuesten Ausgabe schreibt. Sie will nämlich in Erfahrung gebracht haben, was der französische Präsident Sarkozy über Angela Merkel wirklich gesagt hat: "Die Einzigen, die es an Solidarität fehlen lassen, sind die Deutschen. Der deutsche Egoismus ist kriminell, er verlängert die Krise." Das also soll Sarkozy gesagt haben, bestätigt worden ist das natürlich nicht. Am Telefon in Paris begrüße ich Thomas Klau, Wirtschaftsexperte beim European Council on Foreign Relations in Paris. Guten Morgen, Herr Klau!

    Thomas Klau: Guten Morgen!

    Meurer: Denken Sie, dass das Zitat stimmt?

    Klau: Ich habe keine Ahnung, ob das Zitat stimmt. Aber was richtig ist und was auch bekannt ist, schon seit Längerem, auch wenn es natürlich offiziell nicht bestätigt wird, ist, dass die französische Regierung und der französische Präsident schon seit Längerem Deutschland und der Bundeskanzlerin intern den Vorwurf machen, bei der Euro-Krise wie schon vorher bei der Lösung der Weltfinanzkrise nicht aktiv genug, nicht dynamisch genug und häufig auch nicht solidarisch genug zu sein beziehungsweise zu lange zu warten, bis die notwendige Solidarität und Entschlossenheit in die Tat umgesetzt wird.

    Meurer: Wo sollen die Deutschen unsolidarisch sein?

    Klau: Man hat immer wieder erlebt in den vergangenen Monaten, man muss jetzt schon sagen seit über einem Jahr, dass es Deutschland war, das sich am längsten gegen Schritte sperrte, die sich dann im Nachhinein als notwendig erwiesen, ob es die Schaffung war eines neuen Instruments, eines neuen Instruments zur Krisenbekämpfung in Luxemburg, eines neuen Fonds, dieses AFSF-Fonds in Luxemburg, ob es um die Frage ging, ob man diesen Fonds innerhalb der EU-Verträge oder außerhalb der EU-Verträge juristisch ansiedelt, wie flexibel, wie stark dieser Fonds ist, ob es eines Beschlusses jedes nationalen Parlaments bedarf, bevor die Gelder mobilisiert werden können, und so weiter und so fort. Deutschland war, wenn man so will, immer der härteste Knochen. Das kann man unter Umständen als Tugend sozusagen darstellen, aber es gibt eigentlich inzwischen einen Konsens von vielen Experten, dass die deutsche Zögerlichkeit inzwischen zu einem Problem bei der Lösung der Krise geworden ist.

    Meurer: Also das wäre, Herr Klau, der Vorwurf, die Deutschen sind zu langsam, die Märkte honorieren das nicht, ganz im Gegenteil. Gibt es denn auch substanziell ganz unterschiedliche Ansichten zwischen Frankreich und Deutschland, wie die Krise gelöst werden kann?

    Klau: Generell kann man sagen, dass seit Beginn der Krise die Franzosen wie die Mehrheit der EU-Partner im Übrigen und auch die Kommission und die EZB immer stärker auf einen europäischen Ansatz mit einer Stärkung der europäischen Handlungsmöglichkeiten des europäischen Finanzrahmens, der europäischen Fähigkeit, schnell Entschlüsse zu greifen, gedrungen haben, während Deutschland, wenn man so will, gebremst hat und in einem gewissen Bruch mit der alten deutschen Europatradition immer darauf gepocht hat, dass die nationale Dimension, dass der nationale Gesetzgeber in vielen Einzelfragen das letzte Wort behält, dass man, bevor man nach einem europäischen Ansatz guckt, nach einer Vielzahl nationaler Ansätze schaut, die dann das Problem lösen. Und das hat sich in dieser Krise als Problem erwiesen, grundsätzlich, weil die Finanzmärkte das als Zeichen gewertet haben, dass die Euro-Zone sich bei der Bewältigung dieser fundamentalen Krise nicht einig ist.

    Meurer: Gilt Angela Merkel in Paris schon als deutsche Ausgabe von Margaret Thatcher?

    Klau: Nein. Ich glaube, so weit ist es nicht gekommen, zumal man ja sagen muss, dass am Schluss eines schwierigen Ringens Angela Merkel häufig unter Räumung ihrer eigenen Positionen schließlich in eine gesamteuropäische Lösung einstimmt. Wir werden sehen, wie das heute in Brüssel aussieht. Die Einzelheiten des deutsch-französischen Deals, was natürlich nur die Vorlage ist gesamteuropäische Einigung, sind noch nicht bekannt.

    Aber man hat beobachtet, wie Merkel sozusagen aus der Tradition der europäisch-dynamischen deutschen Kanzler in gewisser Weise ausgeschieden ist und eine Zögerlichkeit an den Tag gelegt hat, die man so aus Berlin weder von Gerhard Schröder, noch Helmut Kohl, noch Helmut Schmidt, noch anderen deutschen Kanzlern in der Vergangenheit kannte.

    Meurer: Nehmen wir mal einen konkreten Punkt, der zwischen Paris und Berlin bislang umstritten war (vielleicht ist das ja seit gestern Abend anders): die Beteiligung der privaten Banken, Gläubiger, Versicherungen. Berlin sagt, natürlich müssen die auch die Zeche mit bezahlen, mit den Kopf hinhalten, in Paris sieht man das ein bisschen anders. Sieht man das deswegen in Paris anders, weil französische Banken deutlich mehr Griechenland-Anleihen in ihren Depots halten als deutsche Banken?

    Klau: Das mag ein Faktor sein, aber es gibt ja einen anderen. Einer der klügsten Politiker, auch wenn er nicht in einem parteipolitischen Amt ist, einer der klügsten Akteure in dieser ganzen Krise war EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Der Franzose sollte sozusagen nicht dazu führen, seine Position als eine typisch französische zu verstehen.

    Und Trichet und mit ihm viele andere Mitglieder der Europäischen Zentralbank haben in drastischen Worten dagegen gewarnt, in einer globalen und europäischen Lage, wo die Finanzindustrie nach wie vor fragilisiert ist, wo Banken quasi unterkapitalisiert sind, und wo es ein großes Vertrauensdefizit in der globalen Finanzwelt gibt, ein Szenario einzuleiten, das dazu führen könnte, dass einzelne Banken, oder zum Beispiel das gesamte griechische Bankensystem zahlungsunfähig wird und man damit sozusagen eine neue Vertrauenskrise in Europa und weltweit auslöst. Und diese sehr nachhaltige, sehr starke, eindringliche Warnung der EZB hat in Paris Gehör gefunden. In Berlin sind diese Worte sozusagen manchmal, so hatte man den Eindruck, ungehört verklungen, und das ist ein fundamentaler Unterschied.

    Meurer: In Deutschland sieht man das nicht ein, Herr Klau, dass die Banken ungeschoren davon kommen sollen. Sind wir Deutschen zu moralisch?

    Klau: Es gibt in Finanzkrisen Situationen, wo sozusagen das ethisch und moralisch und emotional richtige nicht das operativ richtige ist. Und was in Berlin, so sehen es zumindest viele Akteure in Paris, häufig gefehlt hat, ist ein tieferes Verständnis der spezifischen Dynamik, der spezifischen Zwänge, die eine Krise, die von den Finanzmärkten getrieben wird, erzeugt.

    Meurer: Thomas Klau vom European Council on Foreign Relations in Paris über die Unterschiede, Differenzen, vielleicht aber auch Einigung jetzt zwischen Berlin und Paris vor dem Euro-Sondergipfel heute in Brüssel. Dankeschön nach Paris, Thomas Klau. Auf Wiederhören!

    Klau: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!


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