Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland
"Die deutschen Bürger waren satt"

Über wirtschaftspolitische Fragen sei in den vergangenen Jahren viel zu wenig diskutiert worden, sagte Niklas Potrafke vom ifo-Institut im Dlf. "Die Bürger müssen sich wieder mehr mit solchen Fragen auseinandersetzen." Die größten Unterschiede in den Parteiprogrammen zur Wahl gebe es bei den Plänen zur Steuerpolitik.

Niklas Potrafke im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 18.09.2017
    Eine Frau entleert die letzten Münzen aus ihrer Geldbörse auf ein Steuerformular, das am 12.04.2017 in Berlin auf dem Tisch liegt.
    Unterschiede zwischen den Parteien gibt es bei der Steuerpolitik, sagt Niklas Potrafke vom ifo-Institut. (dpa / Hans-Jürgen Wiedl)
    Jessica Sturmberg: Wir haben gerade gehört, welche Koalition sich Börsianer hierzulande und im Kontrast dazu im Ausland wünschen. Im Ökonomenpanel von ifo-Institut und FAZ wurden 130 Wirtschaftsprofessoren befragt beziehungsweise diese haben sich geäußert. Vor der Sendung habe ich darüber mit dem Leiter des ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie gesprochen, Professor Niklas Potrafke. Meine erste Frage: Die Ökonomen machen wenig Unterschiede zwischen den großen Parteien aus. Das hören wir öfter. Was ist für Sie das überraschendste Ergebnis in diesem Ökonomenpanel?
    "Mehr Wettbewerb zwischen den Parteien ist angezeigt"
    Niklas Potrafke: Ja. Das überraschendste Ergebnis und für mich persönlich auch schöne Ergebnis ist, dass es so eine große Mehrheit von Kollegen gibt, die wie ich selbst auch sagen, dass mehr Wettbewerb zwischen den Parteien einfach angezeigt wäre. Das war für mich, bevor wir die Umfrage gemacht haben, überhaupt nicht klar. Die Kollegen hätten mehrheitlich auch sagen können, dass sie das ganz gut finden oder unproblematisch finden, dass der Wettbewerb abgenommen hat zwischen SPD und Union, weil sich beide Parteien oder Lager auf den medianen Wähler, wie wir das nennen, den wahlentscheidenden Wähler konzentrieren, und man hätte auch argumentieren können, dass wir gar nicht mehr so viel Wettbewerb brauchen in Deutschland. Es geht uns allen gut, alle machen ungefähr das gleiche, das ist doch schön, lassen wir es einfach so. Das haben die Kollegen eben nicht so gesehen, weil wir natürlich auch über die Konsequenzen von der Konvergenz, wie wir das nennen, zwischen SPD und Union sprechen müssen. Eine von den Konsequenzen ist: Das hat an den Rändern des politischen Spektrums Platz für neue politischer Spieler gemacht.
    Sturmberg: Macht ja auch eine Koalitionsbildung nicht einfacher.
    Potrafke: Klar! Die Veränderung des Parteiensystems macht die Koalitionsbildung überhaupt nicht einfacher, weil es immer mehr Spieler gibt, die irgendwie befriedigt werden müssen. Und wir werden uns vielleicht daran gewöhnen müssen, dass es in Zukunft einfach Koalitionen nicht nur aus zwei, sondern aus drei Parteien gibt. Das halte ich persönlich für wirklich problematisch.
    Sturmberg: Worin liegen für Sie da die größten Probleme?
    "Vielleicht gibt es auch wieder Staatsverschuldungsprobleme"
    Potrafke: Ich glaube, ein großes Problem kann darin liegen, dass einfach die Staatstätigkeit ausgeweitet wird, wie wir sagen. Staatsausgaben können beispielsweise steigen, weil Kompromisse einfach Geld kosten. Stellen sie sich vor, sie haben einfach drei Parteien, die in einer Koalition ihre Wünsche durchbringen müssen, die jeweils eigene Klientel befriedigen müssen, und dann sagt man, na ja, gut, du stimmst mir zu, dass ich meiner Truppe das genehmige, und ich stimme dir zu, dass du deiner Truppe das genehmigst. So können die Staatsausgaben steigen, vielleicht gibt es auch wieder Staatsverschuldungsprobleme. Das ist was, worauf wir uns, glaube ich, einstellen müssten.
    Sturmberg: Die größten Unterschiede haben die Ökonomen bei den Steuerkonzepten ausgemacht. Sie haben das ja als ifo-Institut auch einmal durchgerechnet. Zu welchem Ergebnis kommen Sie da?
    Potrafke: Insbesondere jetzt bei den Einkommenssteuer-Konzepten von Union und SPD beobachtet man in der Tat Unterschiede. SPD und Union sind sich einig, dass niedrige und mittlere Einkommen steuerlich entlastet werden sollen. Es geht darum, den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen. Wo sie sich aber nicht einig sind und wo die Unterschiede auftreten, ist, dass die Union auf der einen Seite sagt, dass die Bürger insgesamt entlastet werden sollen. Alle sollen steuerlich entlastet werden und das sieht die SPD anders, weil sie Bürger mit hohen Einkommen stärker zur Kasse bitten möchte als zuvor.
    Sturmberg: Wenn es so wenig Unterscheidbarkeit gibt zwischen Union und SPD, dann werden ja möglicherweise einige Wähler erst recht auf die Idee kommen, sich noch mal die Konzepte anderer Parteien durchaus zu Gemüte zu führen. Und wenn wir schon bei den Steuern sind: Was haben sie an dieser Front zu bieten?
    "Ein sehr, sehr starker Umverteilungswunsch bei der Linken"
    Potrafke: Man kann grundsätzlich sagen, dass man bei der Linken einen sehr, sehr starken Umverteilungswunsch beobachtet. Wenn Sie daran denken, dass die vorgeschlagen haben, den Spitzensteuersatz auf 75 Prozent zu erhöhen. Das ist wirklich drastischst. Das wäre Umverteilung par excellence. Von der FDP, da kriegen wir halt, wie wir das schon über die letzten Jahre wissen, ein bisschen mit, dass sie sich um Steuerentlastung insgesamt kümmern wollen. Insofern, glaube ich, kann man gut festhalten, dass es schon um Klientelpolitik geht, was jetzt überhaupt nicht negativ ausgelegt werden soll, sondern es geht darum, eigentlich die Wählerwünsche der eigenen Truppe einfach so gut wie möglich zu befriedigen.
    Sturmberg: Das machen Sie ja vor allen Dingen auch, um den Menschen in Deutschland noch mal eine Entscheidungshilfe oder ein Entscheidungskriterium an die Hand zu geben. Was bleibt denn für Sie als Fazit?
    Potrafke: Insgesamt ist mir persönlich einfach wichtig, dass sich die Bürger wieder mehr mit solchen wirtschaftspolitischen Fragen auseinandersetzen und wir wieder mehr mündige Bürger haben, die sich auch einsetzen für mehr öffentlichen Diskurs. Ich glaube, ein wesentlicher Grund für die Ununterscheidbarkeit zwischen den großen Parteien und auch dafür, dass vielleicht einiges in den letzten Jahren so gelaufen ist, was jetzt einige Bürger aufregt, ist, dass wir satt waren. Die deutschen Bürger waren satt. Wer hat denn in den letzten Jahrzehnten große Lust gehabt, sich mit Politik und Wirtschaft auseinanderzusetzen? Das ist einfach versäumt worden. Wir hatten verhältnismäßig wenig Diskurs. Ich beobachte jetzt, dass das durch die Euro-Schuldenkrise, durch die Flüchtlingskrise, vielleicht auch durch Trump in Amerika wieder mehr zunimmt, dass die Leute sich interessieren, und ich glaube, wir brauchen da wieder viel, viel mehr Diskurs und Austausch in der Gesellschaft über solche Fragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.