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Wirtschaftsweisen
Deutschland kann Flüchtlingskosten schultern

Im diesjährigen Gutachten der Wirtschaftsweisen geht es um die Frage, ob Deutschland die vielen Flüchtlinge, die ins Land kommen, finanziell und wirtschaftlich verkraften kann. Die Antwort der Experten ist ja. Allerdings wird die Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt nach Ansicht der Experten nicht sofort gelingen. Geduld sei gefragt.

Von Theo Geers | 11.11.2015
    Ein syrischer Flüchtling arbeitet mit seinem Ausbilder in einem Metallbetrieb in Schleswig-Holstein
    Bis zu einer halben Million Flüchtlinge könnten nach 2017 in Arbeit kommen. (picture alliance / Carsten Rehder)
    Die Wirtschaftsweisen geben Entwarnung. Deutschland kann die Kosten für die Flüchtlingshilfe erst einmal tragen. 1,7 Prozent Wachstum in diesem und 1,6 Prozent im kommenden Jahr sorgen für ausreichend hohe Überschüsse in den öffentlichen Haushalten. In diesem Jahr beträgt das Plus 21 Milliarden Euro, im kommenden Jahr immer noch 5,5 Milliarden.
    Weil ein Teil der diesjährigen Überschüsse auf 2016 übertragen wird, reicht dies für die Flüchtlingskosten. Die betragen in diesem Jahr 5,9 bis 8,3 Milliarden Euro, 2016 könnten es zwischen neun und 14,6 Milliarden sein. Entscheidend sind dabei die Annahmen: Werden die Anträge der Flüchtlinge schnell bearbeitet und finden die Menschen zügig einen Arbeitsplatz, bewegen sich die Ausgaben am unteren Rand der Bandbreite. Wird hierzu zusätzlich noch eine Bildungs- und Integrationsoffensive gestartet, liegen die Kosten am oberen Rand. Dafür wären aber auch im fünften Jahr nach der Ankunft in Deutschland 80 Prozent der Flüchtlinge erwerbstätig und nur noch fünf Prozent arbeitslos.
    "Flüchtlinge vom Mindestlohn ausnehmen"
    Deshalb raten die Wirtschaftsforscher auch, die Hürden für die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt nicht zu hoch anzusetzen. Flüchtlinge sollten auch in Zeitarbeit und über Werkarbeitnehmerverträge flexibel eingestellt werden können, der Mindestlohn soll keinesfalls erhöht und Flüchtlinge sollen dabei wie Langzeitarbeitslose behandelt werden, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Professor Christoph Schmidt:
    "Unser Vorschlag ist, deutsche einheimische Arbeitnehmer, die langzeitarbeitslos sind, und Zuwanderer, die auf Arbeitssuche sind, also anerkannte Asylbewerber, die auf Arbeitssuche sind, gleich zu behandeln und vom Mindestlohn auszunehmen. Das ist also eine Gleichbehandlung, weil natürlich die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt so wichtig ist."
    Integration braucht Geduld
    Allerdings raten die Sachverständigen auch zur Geduld. Zunächst, das heißt bis 2017, wird durch die Flüchtlinge die Arbeitslosigkeit ansteigen, erst danach wendet sich das Blatt. Gelingt die Integration, könnten bis 2020 500.000 Flüchtlinge in Arbeit kommen. Läuft es schlecht, wären es nur die Hälfte. Wie gewohnt, mahnen die Wirtschaftsforscher in ihrem Gutachten auch die Regierenden. Durch den Flüchtlingsstrom sei es jetzt noch wichtiger, in der Wirtschaftspolitik die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft in den Mittelpunkt zu rücken.
    "Man sieht deutlich, dass man an den Rahmenbedingungen etwas tun muss, um Deutschland als Standort für Innovationen, für Investitionen in Innovationen, für Investitionen in Sachkapital, für neue Geschäftsideen einfach international wettbewerbsfähiger aufzustellen."
    Zukunftsfähig werde die deutsche Wirtschaft dabei nicht durch staatliche Investitionsprogramme, sondern durch eine Vielzahl an verbesserten Rahmenbedingungen. Dazu zählen die Wirtschaftsforscher unter anderem Erleichterungen bei der Bereitstellung von Wagniskapital, um junge Firmengründer besser zu unterstützen.
    Kritik an lockerer Geldpolitik der EZB
    Die zweite wirtschaftspolitsche Baustelle sehen die Wirtschaftsforscher auf der EU-Ebene, wobei sie besonders mit der lockeren Geldpolitk der EZB scharf ins Gericht gehen. Weil dadurch die Banken und Versicherugen zunehmend unter Druck geraten und gleichzeitig kein Risiko für eine deflationäre Abwärtsspirale besteht, müsse die Geldpolitik wieder gestraft werden. Professor Schmidt:
    "Es gibt aus unserer Sicht keinen Anlass die lockere Geldpolitik noch stärker zu forcieren. Im Gegenteil sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es eine Verlangsamung des Tempos da geben sollte, dass eine geldpolitische Straffung angezeigt ist, dass zumindest nicht mehr getan werden sollte, als jetzt schon geplant ist."