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Wissenschaftlicher Nachwuchs
Österreich leidet unter Braindrain

Österreich sieht seinen Wohlstand und seine Innovationskraft bedroht, weil immer mehr wissenschaftliche Talente dem Land den Rücken kehren. Der Wissenschaftsrat des Landes stellt eine krasse Unterfinanzierung der Forschung fest. Für den Wissenschaftsfonds FWF ist es bereits "fünf vor zwölf".

Von Alexander Musik | 05.02.2018
    Junge Forscherin bei der Arbeit
    Bei der Vergabe der Fördergelder gehe es nicht immer nur nach Leistung, befürchten junge Forscher in Österreich. (imago /Westend61)
    Franz Graf, Doktor der Kulturanthropologie, hat gerade seinen ersten Postdoc-Antrag beim Fonds für wissenschaftliche Forschung, FWF, gestellt. Der Aufwand war groß; Graf erfährt erst in einigen Monaten, ob sich die Mühe gelohnt hat – und ob er den passenden "wissenschaftlichen Stallgeruch" mitbringt, wie er sagt.
    "Gewisse Leute sitzen in den Räten von den einzelnen Fördertöpfen, das heißt in dem Peer-Umfeld, in dem ich mich bewegt hab, war oft klar, da brauchst du es gar nicht probieren, weil, du bist nicht von dem der Schüler oder die Schülerin. Wenn man dann geschaut hat, wer die Anträge gekriegt hat, dass es durchaus Nähen gibt, und das geht ja rauf bis zu einer Professurbesetzung, dass da die Qualitätssicherung auch nach hinten losgeht, das würd' ich schon meinen."
    Franz Graf will seinen Forschungsfokus trotzdem nicht an die jeweils angesagten wissenschaftlichen Diskurse anpassen, nur um an österreichische Fördertöpfe zu gelangen. In Österreich kommt der 40-jährige Wissenschaftler nicht weiter, befürchtet er – anders als in den USA.
    "In den USA find' ich wöchentlich eine Stelle, die inhaltlich passen würde, in Österreich hab ich bisher keine einzige gefunden und gesehen." Deshalb wäre Graf auch bereit, auszuwandern. Genau wie viele andere.
    Umwandlung in ein Kommen und Gehen der Besten
    Der Biologe Klement Tockner, seit 2016 Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, will den "Braindrain" stoppen – besser noch: ihn in eine "brain circulation" umwandeln. In ein Kommen und Gehen der Besten.
    "Österreich ist ein Netto-Exportland für WissenschaftlerInnen, es gehen etwa fünf Mal so viel WissenschaftlerInnen in die Schweiz, wie wir umgekehrt in der Lage sind, aus der Schweiz nach Österreich anzuziehen. Ähnliche Zahlen gibt es für England oder für die Niederlande."
    Klement Tockners FWF schüttete 2016 über 180 Millionen Euro an Projektförderung aus. Er wünscht sich eine Verdoppelung des Budgets.
    "Wir haben auf der einen Seite eine Bewilligungsquote von etwa 20 Prozent, wir müssen pro Jahr im Moment aufgrund der Unterfinanzierung etwa 1.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ablehnen - obwohl deren Projekte sehr gut oder exzellent bewertet werden."
    Projektbewilligungen nach Gießkannenprinzip
    Manches laufe in Österreich nicht ganz rund: Es gebe Projektbewilligungen nach dem Gießkannenprinzip, zu wenig Internationalisierung an den Universitäten, zu viel Kirchturmdenken. Ein bisschen mehr preußisches Gehabe würde guttun, sagt Tockner, der auch an der Freien Universität Berlin lehrt.
    "Die Gießkanne ist ein Instrument, das man gerne manchmal anwendet, um viele zufrieden zu halten. Aber es geht nicht um zufrieden zu halten, es geht darum: Wie halte ich ein System hungrig?! Das ist dieser intrinsische Antrieb, den man schaffen muss."
    Was tun die Hochschulen, um die Abwanderung zu stoppen und mehr hungrige Forscher ins Land zu locken? Michael Lang, Vize-Rektor der Wirtschaftsuni Wien, verweist auf die Aktivitäten des Welcome Service an seiner eigenen Universität:
    "Das bedeutet konkret, dass wir beispielsweise viele Fragen kriegen in Richtung Dual Career Service. Das wird ein immer wichtiger werdendes Thema, wo's auch mitunter schwierig ist zu helfen, aber wir bemühen uns und sind mitunter auch erfolgreich."
    Hohe Erwartungen an den neuen Wissenschaftsminister
    Die Bewerberliste ausländischer Forscher an der WU werde immer länger, sagt der Vize-Rektor. Die Erwartungshaltung sei mitunter hoch: Da gehe es nicht nur um adäquate Jobs für die Partner der umworbenen Forscher – also Dual Career - sondern auch um Plätze an internationalen Schulen und Kindergärten. Stichwort Internationalisierung.
    Vom neuen Wissenschaftsminister Heinz Fassmann erwartet man sich indes nicht nur an der WU mehr Geld. Bis Ende März muss die Finanzierung der Forschung im Haushalt festgeschrieben sein. Sonst sei das Regierungsprogramm das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde, sagt FWF-Präsident Klement Tockner.