Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Wissenschaftsstandort Sachsen
"Enormer Imageschaden"

Die gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlinge sind auch für den Wissenschaftsstandort Sachsen ein Problem. Forscher aus dem Ausland wollen aus Angst nicht mehr an Universitäten im Freistaat arbeiten. Die sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange plädierte im DLF für eine stärkere Positionierung gegen Rechts aufseiten von Politik und Zivilgesellschaft sowie für mehr interkulturelle Bildung an Schulen.

Eva-Maria Stange im Gespräch mit Manfred Götzke | 24.08.2015
    Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD)
    Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) (dpa/picture alliance/Matthias Hiekel)
    Manfred Götzke: Meißen, Freital, jetzt Heidenau - überall demonstrieren rechte Wutbürger und Rechtsextreme gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime, besonders laut und extrem ist der Mob aber immer wieder in Sachsen. Darunter leiden natürlich vor allem die Flüchtlinge, die traumatisiert von Krieg und Gewalt nach Deutschland kommen und sich von Nazis anschreien lassen müssen, darunter leiden die vielen hilfsbereiten Bürger, die es in Sachsen auch gibt, darunter leidet aber auch das Image des Bundeslandes. Viele Ausländer, auch die, die eigentlich in Dresden und Leipzig forschen und lehren wollen, die meiden jetzt das Land. Diese Erfahrung macht jetzt immer häufiger Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange. Frau Stange, Ihre Kabinettskollegin Petra Köpping, die schämt sich öffentlich für Sachsen - schämen Sie sich mittlerweile auch für Ihr Bundesland?
    Eva-Maria Stange: Ich schäme mich vor allen Dingen für diejenigen, die in aller Offenheit mit Gewalt dokumentieren, dass sie gegen Ausländer in Sachsen sind, und das hat sich ja am Wochenende noch mal sehr deutlich gezeigt. Also da muss ich schon sagen, da schäme ich mich schon. Das ist nicht für Sachsen, sondern für diejenigen, die da offenbar nicht wissen, wie man mit Menschen umgeht.
    Götzke: Ist Dresden, ist Sachsen schon eine Art No-go-Area für ausländische Forscher?
    Stange: Nein, so würde ich das auf keinen Fall bezeichnen. Neben den Ausschreitungen, die wir leider am Wochenende ja wieder erleben mussten, sehe ich natürlich auch auf der anderen Seite, wie viele Tausende mittlerweile sich stark engagieren, um die Flüchtlingscamps herum und für Ausländer. Wir haben andererseits ein Problem, dass natürlich diese Ausschreitungen und diese ausländerfeindlichen Aktivitäten, dass sie hier uns einen enormen Imageschaden hervorgerufen haben, und das reicht weit über die Grenzen Dresdens und Sachsens hinaus.
    Pöbeleien und tätliche Angriffe an der Tagesordnung
    Götzke: Wie stark hat sich das denn schon ausgewirkt? Gibt es schon Wissenschaftler, die sagen, ich möchte auf keinen Fall nach Sachsen, oder Leute, die gehen wollen, schon gegangen sind?
    Stange: Es gibt beides. Es gibt diejenigen, die bei den internationalen Anwerbeversuchen den Instituten, den Forschungsinstituten oder der Universität signalisieren, dass sie unter diesen Bedingungen nicht bereit sind und sich auch nicht sicher fühlen, nach Sachsen zu kommen. Und es gibt diejenigen, die hier leben, schon seit einigen Jahren hier leben, und die sagen, ich werde nicht in Sachsen bleiben, weil ich das meinen Familien, meinen Kindern nicht antun möchte.
    Götzke: Das eine ist der Imageschaden, die individuelle Angst der Personen, der Forscher, das andere ist natürlich auch die Frage, wie gefährlich es tatsächlich ist für nicht deutsch aussehende Menschen, zum Beispiel an der TU Dresden zu arbeiten. Wie sehen Sie das?
    Stange: Zurzeit ist es so, dass wir nicht sagen können, dass es grundsätzlich gefährlich ist, sondern es sind Pöbeleien. Das gilt ja nicht nur gegenüber den Forschern, die jetzt an der TU Dresden tätig sind, sondern das betrifft vor allen Dingen Menschen, die eben wirklich vom Aussehen her ausländisch aussehen, also vor allen Dingen dunkelhäutige. Da sind es Pöbeleien in der Straßenbahn, auf der Straße, die sehr, sehr ärgerlich sind, und natürlich auch tätliche Angriffe. Das ist auch das, was letztlich dem Ansehen schaden und das Angst macht, das Angst macht denjenigen, die auch an der TU oder an den Forschungsinstituten tätig sind.
    Götzke: Das heißt, Pöbeleien, tätliche Angriffe, die sind nicht nur in Heidenau, in Freital Alltag, sondern auch in Dresden?
    Stange: Leider, muss man sagen, sind sie auch in Dresden an der Tagesordnung, und da wünschte ich mir oftmals mehr Zivilcourage - ob es in der Straßenbahn oder auf der offenen Straße ist -, dagegen einzuschreiten und auch deutlich zu machen, dass das hier nichts zu suchen hat.
    Götzke: Sie sind ja in Kontakt mit vielen ausländischen Spitzenforschern, Sie haben gesagt, das Image leidet unter diesen Vorfällen - wie lässt es sich wieder verbessern?
    Stange: Zum einen, denke ich, muss man klare Worte finden, auch gerade bei solchen Ausschreitungen, wie sie jetzt in Heidenau stattgefunden haben oder in Meißen oder auch mit den Pegida-Demonstrationen, wie sie als harter Kern jetzt montagabends immer noch stattfinden. Das ist eindeutig ausländerfeindlich, das ist menschenverachtend, und das muss man auch klar so benennen, und dort, wo es notwendig ist, muss auch mit polizeilicher Gewalt dagegen vorgegangen werden. Und ich glaube, das ist das Allerwichtigste, dass dieses Signal kommt, dass Regierung und auch die Sicherheitskräfte und auch die Zivilgesellschaft sich das nicht gefallen lassen. Das Zweite ist, dass wir immer wieder die Kräfte bündeln sollten und stärken sollten - das geht ja über den Wissenschafts- und Kulturbereich weit hinaus -, die sich für ein offenes Sachsen einsetzen, die sich dafür einsetzen, dass Menschen hier willkommen sind und nicht nur, wenn sie als Wissenschaftler kommen, sondern auch, wenn sie als Flüchtlinge kommen, oder gerade Familien.
    "Verstärkt Interkulturalität ausbilden"
    Götzke: Hat die Landesregierung zu lange geschwiegen, zu lange eben nicht klare Kante gegen rechts gezeigt?
    Stange: Nicht alles, was unter Pegida am Anfang mitgelaufen ist, war unter dem Stichwort rechts oder NPD einzuordnen gewesen, aber ja, es wäre notwendig gewesen und es ist auch heute notwendig, dass schneller und, ja, ich denke, auch noch klarer gesagt wird, dass das nichts mit Sachsen zu tun hat. Da ist zu lange gezögert worden, und das kritisiere ich auch.
    Götzke: Und wer hat zu lange gezögert?
    Stange: Wir sind in einer Koalition, und der eine muss etwas länger nachdenken, das ist leider auf der Seite der CDU der Fall gewesen. Wir möchten aber gerne auch als Koalition und als Regierung geschlossen auftreten, und das tun wir jetzt ja auch. Und da muss man dann auch mal Geduld zeigen.
    Götzke: Es ist ja schon viel über das Phänomen Rechtsextremismus als sächsisches, spezielles sächsisches Problem gesagt und geschrieben worden, was könnten und was sollten Schulen und auch die Hochschulen in dem Punkt anders machen, um dem vorzubeugen? Brauchen wir mehr Bildung gegen rechts in Sachsen?
    Stange: Zuallererst, denke ich, ist Zivilcourage gefragt und jetzt auch Hilfe. Und bei unseren Hochschulen sehe ich, dass ganz viele Studierende jetzt gerade aktuell den Flüchtlingen sehr stark helfen, ganz praktisch, in den Unterbringungen in Sporthallen, die wir haben. Auf längere Sicht brauchen wir natürlich auch ein anderes Verständnis für Zuwanderung, für Einwanderung in Deutschland und für den Umgang mit anderen Kulturen, mit anderen Religionen. Dazu muss man immer sehen, dass wir in Sachsen einen sehr geringen Anteil an Ausländern haben, im Landesdurchschnitt drei Prozent, in den Großstädten ein bisschen mehr. Das heißt, der Kontakt zu den Ausländern und zu ausländischen Kulturen ist viel zu gering, und da muss die Schule und auch die Hochschulen verstärkt diese Interkulturalität ausbilden.
    Götzke: Wie könnte sie das tun, bräuchte man da spezielle Unterrichtseinheiten, bestimmte Fächer, andere Lehrinhalte in den Politikwissenschaften?
    Stange: Ich glaube, momentan ganz aktuell kann man sehr viel tun an den aktuellen Ereignissen, auch deutlich machen, wo kommen die Menschen her, mit welchem Hintergrund kommen sie hierher. Das kann man in der Schule sehr wohl machen, aber auch in den Hochschulen, da muss man nicht viel theoretisieren. Da kann man über Spendenaktionen und Hilfsaktionen auch gegenüber den Flüchtlingen und den Menschen, die zu uns kommen, ganz aktiv werden und das dann zum Inhalt der Gespräche machen und auch der Bildungsprozesse machen.
    Götzke: Sagt Eva-Maria Stange, Wissenschaftsministerin in Sachsen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.