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Wissenshunger versus Affendurst

In Baden-Württemberg diskutieren die Grünen heftig über Versuche, die an der Universität Tübingen mit Affen gemacht werden. Rechtlich gesehen scheint es, als könne man Tierversuche angesichts der im Grundgesetz garantierten Forschungsfreiheit kaum einschränken.

Von Ulrike Mix | 08.02.2013
    Das Tübinger Zentrum für integrative Neurowissenschaften, CIN, hat in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit erfahren: Immer wieder haben Landespolitiker der Forschungseinrichtung einen Besuch abgestattet - in der Hoffnung, danach besser einschätzen zu können, wie sie zu den Tierversuchen stehen, die dort gemacht werden.

    Die Tübinger Wissenschaftler interessiert zum Beispiel, was in den Gehirnen von Affen passiert, wenn sie etwas sehen oder ihre Hände bewegen, erklärt Professor Hans-Peter Thier, der Sprecher des CIN:

    "Der Versuch erfordert, dass Mikroelektroden in das Gehirn eingeführt werden, mit denen die Nervenzellaktivität registriert wird. Diese Mikroelektroden können in das Gehirn eingeführt werden ohne Betäubung, weil das Gehirn eben nicht über Schmerzrezeptoren verfügt."

    Um die Elektroden einführen zu können, wird den Affen vorher in einer Operation der Schädel an einer Stelle geöffnet. Außerdem wird ihnen eine Halterung in den Schädel operiert, mit der man sie bei den Versuchen festschraubt, so dass sie den Kopf nicht bewegen.

    Professor Thier und seine Kollegen wollen die Funktionsweise des Gehirns verstehen. Aus Wissensdurst, wie Thier sagt, aber auch um Erkenntnisse über Krankheiten wie Parkinson oder Autismus gewinnen, bei denen im Gehirn etwas nicht funktioniert.

    "Also das ist diese untrennbare Beziehung zwischen erkenntnisgetriebener Wissenschaft und der Anwendung. Es gibt keine Fortschritte in der Biomedizin, in der Therapie, die nicht letztendlich darauf basieren würden, dass es Wissenschaftler gegeben hat, die primär von ihrem Erkenntnisbedürfnis getrieben worden wären."

    Sind die Affenversuche gerechtfertigt? Diese Frage spaltet die Grünen in Baden-Württemberg. In ihrem Wahlprogramm hatten sie ein Ende der Primatenversuche gefordert. Reinhold Pix, der tierschutzpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion bleibt auch bei dieser Forderung:

    "Das heißt, dass ich diese Art von Tierversuchen an Primaten in der Neurokognitionsforschung aus ethischen Gründen ablehne und dass mein Ziel es ist, den Ausstieg aus dieser Grundlagenforschung voran zu treiben."

    Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen sieht das anders.

    "Ich habe mich vor Ort davon überzeugt, dass diese Versuche medizinisch sehr wertvoll sind, dass sie Menschen Heilung in Aussicht stellen und auch schon Therapien hervorgebracht haben und dass die Affen nach bestem Wissen und Gewissen dort untergebracht sind. Deswegen kann ich die Kritik an diesen Affenversuchen nicht nachvollziehen."

    Auch das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium und das Wissenschaftsministerium stehen beim Thema Affenversuche auf verschiedenen Seiten: Der grüne Landwirtschaftsminister Alexander Bonde will sie möglichst abschaffen. Die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer schützt eher die Forschungsfreiheit. Beide lehnen ein Interview zu dem Thema ab.

    Cornelie Jäger, die Landestierschutzbeauftragte, will im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums versuchen, eine für alle gangbare Lösung zu finden. Dabei ist ihr eines klar:

    "Im Augenblick besteht nicht die Möglichkeit, diese Tierversuche einfach zu unterbinden."

    Denn Tierversuche sind in Deutschland erlaubt, wenn sie unerlässlich sind - das heißt, dass es keine alternativen Methoden gibt, um eine wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten. Außerdem muss die wissenschaftliche Bedeutung eines Versuchs größer sein als die Belastung, die man den Tieren zumutet.

    Der Bremer Senat hatte versucht, ähnliche Affenexperimente wie die in Tübingen zu untersagen. Die Uni klagte dagegen. Im Dezember entschied das Oberverwaltungsgericht, dass die Versuche zulässig sind - und stellte auch klar, dass es kein Verbot nur aus politischer Überzeugung geben könne. Ein Präzedenzfall.

    Doch für Cornelie Jäger ist das nicht das Ende der Debatte. Die Abwägung zwischen Nutzen und Belastung werde immer unterschiedlich gesehen - je nachdem wer sie beurteilt. Das Bremer Gericht habe die Belastung der Affen weit unterschätzt, meint die Tierärztin, die früher auch in einer Genehmigungsbehörde für Tierversuche gearbeitet hat.

    "Was mich überrascht hat, war, dass das Gericht die Belastung für die Tiere als höchstens mäßig eingestuft hat. Da bin ich schon der Meinung, dass sich das auf die Tübinger Experimente so nicht übertragen lässt, und habe große Sorge, dass das zu einer Verschiebung der Maßstäbe insgesamt führen könnte."

    Dabei sind laut Jäger nicht die Mikroelektroden das Problem. Belastend seien vielmehr Infektionen, die immer wieder an den geöffneten Gehirnen auftreten können, die Tatsache, dass die Affen bis zu sechs Stunden lang für die Versuche fixiert werden und sich nicht bewegen können, und dass die Tübinger Tiere durch Durst gezwungen werden, bei den Experimenten mitzuarbeiten. Als Belohnung gibt es Wasser.

    Cornelie Jäger hofft, die Affenversuche langfristig beenden zu können, weil sie ihrer Meinung nach nicht unerlässlich sind.

    "Ich gehe davon aus, dass man heute sehr viele Fragestellungen bearbeiten kann, ohne dafür Primaten einzusetzen."

    Welche Schritte die Grünen in der Landesregierung in den nächsten Monaten und Jahren vorschlagen und wie sich der Koalitionspartner SPD dazu stellt, ist bundesweit von Interesse. Denn das Tübinger Forschungszentrum ist die größte von insgesamt sechs universitären Einrichtungen, die an den Gehirnen von Affen forschen - und ein Grund, warum Tübingen Eliteuni geworden ist.