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WM-Stadion Manaus
Deutsches Dach für Dschungel-Stadion

Über keinen WM-Spielort wurde so viel diskutiert wie über Manaus, die riesige Dschungelstadt im Amazonas. Zu abgelegen, zu heiß, der Stadionbau zu wenig nachhaltig, hieß es. Ein Mittelständler aus Greven hat die textile Außenhaut und das Dach des Stadions hergestellt. Stress und Termindruck hatten dem Unternehmen Ceno Tec ziemlich zu schaffen gemacht.

Von Claudia Ullrich-Schiwon | 20.06.2014
    Arena da Amazonia in Manaus, aufgenommen vom Pleiades-Zwillingssatelliten von Airbus Defence and Space
    Arena da Amazonia in Manaus, aufgenommen vom Pleiades-Zwillingssatelliten von Airbus Defence and Space (Foto: SpotImage/Astrium/dpa)
    "Wir haben also in Hochgeschwindigkeit in drei Schichten hier in Greven die gesamte Membran konfektioniert und dann auch transportiert und haben vor Ort dann feststellen dürfen, dass man leider noch nicht so weit war mit der Stahlkonstruktion. Wir waren pünktlich."
    Drei Monate war der brasilianische Generalunternehmer in Manaus mit dem Bau des Stadiongerüstes im Rückstand. Diese Zeit fehlte den Mitarbeitern von Ceno Tec, die für die Hülle des Stadions zuständig waren. Bauingenieur Arne Laugwitz:
    "Wir haben in Rekordgeschwindigkeit die gesamte Logistik aufgestellt und der Termindruck lag bei allen Leuten schon schwer auf den Schultern."
    Lichtdurchlässiges teflonbeschichtetes Glasfasergewebe
    Dach und Wände des Amazonas Stadion mit über 44.000 Plätzen sollte aus einem lichtdurchlässigen teflonbeschichteten Glasfasergewebe bestehen. Dafür mussten in den Werkshallen in Greven 52.000 Quadratmeter dieses Gewebes in 252 Einzelfelder zugeschnitten werden.
    Und wegen der Krümmungen und Wölbungen des Daches sind diese einzelnen Teilflächen unterschiedlich groß bis zu 380 qm. Entsprechend dimensioniert sind auch die Fertigungshallen. Wolfgang Rudorf-Witrin:
    "Fertigung in dem Sinne heißt, Konfektion. Ich bezeichne uns immer gern, als die Schneider der Bauindustrie und wir verarbeiten daraus eine Dachkonstruktion. Das ist unsere Kernhalle, unser schönes altes Stück, wir haben hier eine Fertigungsfläche von etwa 4000 qm."
    Konfektionieren ist ein ruhiges Metier. Wenig Lärm, wenig Schmutz. Ein Teil der Belegschaft arbeitet gerade an circa 20 bis 30 Meter langen Werkbänken, die mit einem weißen, beidseitig kunststoffbeschichteten Polyestergewebe bedeckt sind.:
    "Das wurde gerade kontrolliert, also ob das Maß passt, ja, das hat gepasst."
    Millimeterarbeit bei den einzelnen Gewebestücken
    Mit einer Kreisblattschneidemaschine fertigen einige Mitarbeiter gerade ein Muster, eine Schablone für die Dachkonstruktion eines neuen Auftrages. Teilweise wird manuell zugeschnitten, aber auch Spezialmaschinen kommen zum Einsatz, erklärt Geschäftsführer Wolfgang Rudorf-Witrin:
    "Da hinten steht der automatische Cutter, in dem die Zuschnitte vom Computer direkt eingespielt werden und dieser Cutter gilt als wirtschaftlich, aber nur bei bestimmten Materialtypen oder Strukturen."
    Die Maße der einzelnen Gewebestücke müssen Millimeter genau passen. Ebenso wichtig ist die Haltbarkeit der Nähte, die das Ganze später zusammenhalten.
    "Heute wird geschweißt, früher wurde genäht."
    Die Nähte dürfen keine Schwachstellen haben, weil sie extreme Gewicht aushalten müssen, betont Rudorf-Witrin.
    "Mal ist es eine sehr hohe Schneelast, mal ist es extreme Hitze, mal sind es starke Regenfälle."
    Deshalb setzt Ceno Tec spezielle selbstentwickelte Schweißverfahren ein, die höchsten Belastungen Stand halten.
    "Das was wir hier sehen, sind Schweißmuster. Das heißt, wir haben auch hier eine ausgeklügelte Qualitätskontrolle, denn wenn Sie sich vorstellen, dass wir hier eine Dachkonstruktion machen, nach Manaus liefern und dort eine Naht versagt, dann ist das ein Riesenproblem. Also wird hier geprüft."
    30 Millionen Euro Jahresumsatz
    Das Werksgelände von Ceno Tec findet man in einem kleineren Industriegebiet am Rande von Greven. Vor mehreren schlichten, hellen Flachdachgebäuden der Besucherparkplatz. Der Eingangsbereich unspektakulär. Ein mittelständisches Unternehmen mit 140 Mitarbeitern, wie es viele im Münsterland gibt. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 30 Millionen Euro.
    Die Firmengeschichte geht bis ins 19 Jahrhundert zurück. Damals hat das Familienunternehmen Nolte u.a. mit der Bedachung von Planwagen sein Geld gemacht. Die Materialien bestanden zunächst aus Baumwolle und Leinen. Mit dem Niedergang der Textilbranche in den 19 hundert siebziger Jahren musste das Unternehmen neue Wege gehen. Vor circa 40 Jahren spezialisierte sich die
    Firma auf Textilarchitektur, d.h. die Verarbeitung von leichten Kunststoffgeweben für verschiedenste Dachkonstruktionen.
    "Wir gehören damit zu den Pionieren und haben im Laufe dieser Zeit etwa 3.000 bis 4.000 große Projekte weltweit gebaut, von Australien über Japan bis USA, Südafrika."
    Auch hier in Deutschland tragen u.a. die Arena auf Schalke oder das Stadion in Hoffenheim die Handschrift von Ceno Tec. Und obwohl die Arena da Amazonia hatten im brasilianischen Regenwald das bisher wohl schwierigste Projekt war, sagt Geschäftsführer Rudorf-Witrin:
    "Es ist ein sehr schönes Stadion geworden, das muss man einfach sagen."
    Und dieser Ansicht sind auch die Mitarbeiter. Bauingenieurin Meike Nieger war sechs lange Monate vor Ort auf der Baustelle.
    "Ist ein tolles Stadion geworden. Ich finde es optisch schön, die Architektur ist spannend und gut. Es wäre natürlich schöner zu wissen, dass dieses Stadion nachher noch einen weiteren Nutzen hat oder anders genutzt wird."
    Großprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten
    Offiziell gibt es nach den vier WM Spielen für das Stadion noch keine Pläne. Die kleinen örtlichen Fußballvereine werden die Arena mit 44.000 Plätzen nicht füllen. Sambawagen sind zu groß und kommen nicht durch die Tore. Musikevents sind am ehesten vorstellbar. Also ein teures Stadion, das keiner braucht und ein Bauprojekt, das nicht nachhaltig ist – das wurde diesem WM- Austragungsort immer wieder vorgehalten.
    "Schon ein komischer Gedanke," sagt Meike Nieger. Für Ceno Tec ist das Projekt abgeschlossen, und das Unternehmen befasst sich längst mit neuen Herausforderungen. Drei große Baustellen gibt es derzeit. Die Überdachung von zwei großen Einkaufspassagen in Dänemark und in den Niederlanden sowie ein Großprojekt in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wolfgang Rudorf-Witrin: "Und wir sind natürlich auch interessiert daran, was in Katar demnächst passiert. Dort wird es ja auch Stadien geben."