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Wo Außerirdische nie gelandet sind

Nahe der Stadt Nasca, Peru, auf einer Fläche von 500 Quadratkilometern, haben Menschen vor Jahrtausenden Bilder von gigantischen Ausmaßen in den Wüstenboden gekratzt: Der Kolibri ist etwa 90 Meter groß, der Astronaut, der Kondor und die Spinne erstrecken sich über ähnliche Ausmaße. Manche dieser als Geoglyphen bezeichneten Darstellungen zeigen Tiere oder menschliche Figuren, andere geometrische Formen oder schnurgerade Linien von 20 Kilometern Länge.

Von Barbara Weber | 27.12.2009
    Wer diese Figurenbilder in der Wüste geschaffen hat, war lange Zeit ein Rätsel und Grund für die wildesten Fantasiegeschichten: Esoteriker und UFO-Gläubige wagten sich an die unglaublichsten Spekulationen. Am bekanntesten wurden die Deutungen des Fantasten Erich von Däniken, der an Landebahnen Außerirdischer glaubte. Deutungsversuche scheiterten auch daran, dass Enthusiastiker wie Maria Reiche versuchten, allein aus den Linien ihren Sinn abzuleiten.

    Auch die Wissenschaftler fanden keine plausible Erklärung. Die zündende Idee kam dann aus Deutschland: Dr. Markus Reindel (Deutsches Archäologisches Institut) konzentrierte sich nicht auf die Linien, sondern grub und suchte nach den Menschen, die dort gewohnt haben. Er legte Siedlungen und Gräber frei, fand Opferstätten und Opfergaben: Textilien, Meerschweinchenknochen, Keramik. Er holte andere Wissenschaftler hinzu, um die Forschungen zu intensivieren und die Ergebnisse zu verifizieren.

    Doch dass die Geoglyphen noch heute in so gutem Zustand sind, liegt an Maria Reiche. Sie war es, die durch ihre unermüdliche Maßarbeit auf die Bedeutung der Zeichnungen aufmerksam machte.



    "Wir sind jetzt hier in dem Museum Maria Reiche, unmittelbar unterhalb von der Pampa di Nasca, die berühmte Pampa, die Hochfläche, auf der viele Geoglyphen sind, die täglich von Touristen besucht werden und beflogen werden, und hier hat Maria Reiche den größten Teil ihres Lebens verbracht."

    Zwischen Palpa und Nasca, direkt an der Pan Americana, liegt das kleine Museum. Der Lärm der vier- bis sechssitzigen Flugzeuge mit den Touristen ist bis in die Ausstellungsräume zu hören. An den Wänden hängen Fotografien. Eine hagere, energische, altmodisch gekleidete Frau blickt ernst auf die Besucher; daneben Lichtbilder aus den 30er- und 40er-Jahren. Sie zeigen die berühmten Geoglyphen: Bilder gigantischen Ausmaßes, Tierdarstellungen, Trapeze, manchmal nur Linien wie in den Boden geritzt.

    Dr. Markus Reindel, Wissenschaftler am Deutschen Archäologischen Institut, wendet sich einer Vitrine zu:

    "Das waren die normalen Messgeräte, die man damals verwendete, was den Zeichentisch anbelangt: ein Dreikantmaßstab, ein großes Geodreieck, daneben die Maßbänder, die langen Maßbänder, mit denen sie vermessen hat, geometrisch vermessen hat, ja, und dann auch Papierbänder, mit denen sie Maße genommen hat, und diese Zeichnungen, Skizzen, hat sie dann mit ins Büro genommen und dort Stück für Stück die Bereiche der Pampa von Nasca, gezeichnet, rekonstruiert, die sie interessiert haben."

    Die ehemalige Mathematiklehrerin war so fasziniert von den Geoglyphen, dass sie ihnen über 50 Jahre ihr Leben widmete. Legendär ist ihr Flug, bei dem sie sich an die Kufen eines Hubschraubers binden ließ und fotografierte. Immer wieder maß sie die mysteriösen Figuren im Boden ab, mit Maßband und den selbst gebastelten Papierstreifen. Ihr Schluss: Bei den mysteriösen Zeichen im Boden konnte es sich nur um astronomische Figuren handeln.

    Während Maria Reiche noch vor Ort versuchte, die Linien mit ihrer Theorie in Einklang zu bringen, drifteten die Ideen eines Schweizers völlig in das Reich der Fantasie und Science-Fiction: Die Zeichen müssten Landebahnen für Außerirdische sein, so behauptete Erich von Däniken. Allerdings blieb er jeden nur annähernd wissenschaftlich geführten Beleg für seine Hypothesen schuldig.

    "Ein heiß diskutiertes Thema, aber ich hab' andererseits auch gesehen, dass in diesem Feld noch wenig wissenschaftliche Arbeit geleistet worden war und insbesondere war wenig von dem gemacht worden, was wir eigentlich in der deutschen archäologischen Forschung zu machen pflegen, nämlich Dokumentation und Datensammlung."

    Markus Reindel suchte Mitstreiter und fand sie unter anderem an der ETH in Zürich. Dort arbeitet Prof. Armin Grün und beschäftigt sich mit der Vermessung von Luftbildern. Das geschieht unter anderem mit einem kleinen Forschungshelikopter, den Armin Grün über die Flächen schickt. Der Helikopter fotografiert und die Wissenschaftler werten die Daten dann aus:


    "Wir konnten auf jeden Fall verschiedene Hypothesen falsifizieren. Die Geoglyphen zum Beispiel sind sicher keine Indikatoren für unterirdische Wasseradern. Die Geoglyphen deuten nicht auf bestimmte Sternbilder hin und somit kann man einige dieser Hypothesen falsifizieren. ...Also wir haben das untersucht. Wir haben für Hunderte von Geoglyphen die Richtungen aufgetragen und aus diesem sogenannten Richtungshistogramm ergeben sich zwei kardinale Richtungen, zwei Hauptrichtungen. Und diese Hauptrichtungen folgen ganz klar der Topografie, folgen also den Linien der Höhenzüge oder sind senkrecht darauf, verlaufen also in der Falllinie. Das hat mit Sternbildern überhaupt nichts zu tun."

    Das hätte auch schon Maria Reiche bei ihren Forschungen entdecken können, denn fotometrische Messungen waren zu ihrer Zeit auch schon möglich. Wie erklärt sich Armin Grün die unterschiedlichen Ansätze?


    "Das Problem bisher in der Nasca-Forschung war das, dass jeder Forscher eigentlich mit einer Hypothese hierher kam. Und zur Bestätigung dieser Hypothese hat er sich nur die Geoglyphen angeschaut, es gibt eben eine ganz große Vielfalt hier, die seine oder ihre Hypothese unterstützten. Und unser Ziel war es, zum ersten Mal alle Geoglyphen hier sehr genau, dreidimensional zu kartierten, um dann die Möglichkeit zu haben, wirklich objektiv die diversen Hypothesen zu untersuchen."

    Die Dokumentation der Bilder erbrachte eine Vielzahl von Geoglyphen, die bislang nicht bekannt war. Markus Reindel machte noch eine Entdeckung: Die Zeichnungen waren nicht nur aus der Luft erkennbar, sondern auch vom Boden:

    "Hier ist einer der wenigen Orte im Gebiet von Palpa, wo man eine größere Gruppe von Geoglyphen wirklich so überblicken kann, wie man sich das landläufig vorstellt, das heißt von oben. Man kann die Doppelspirale hier unter uns mit der Zickzack-Linie und die vielen Linien, die den Hang herunterlaufen gut überblicken. Aber da stellt sich natürlich die Frage: Waren die Geoglyphen eigentlich als solche gedacht, das heißt als Bilder, die von oben gesehen werden sollten, sollten sie in ihrer Gesamtheit erfasst werden? Waren sie zum Anschauen da?"

    In der Tat ist es schwierig, die Geoglyphen von den Hochflächen aus überall zu erfassen.

    "Andererseits muss man sagen, es gibt überall Erhöhungen, wo man die Geoglyphen überschauen kann. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass auf den Geoglyphen etwas stattgefunden hat , wir glauben zum Beispiel, dass auf diesen Spirallinien Prozessionen stattgefunden haben, dann bietet sich ein ganz anderes Bild. Dann waren in der Tat diese Aktivitäten von weither sichtbar, und man konnte sogar über das ganze Tal schauen und dort die Aktivitäten beobachten, die dort auf den Geoglyphen stattfanden."

    Seine Schlussfolgerung:

    "Alles, was wir gefunden haben auf den Geoglyphen deutet darauf hin, dass tatsächlich ständig Aktivitäten stattfanden, die Geoglyphen genutzt wurden, verändert wurden, bestimmte Rituale dort stattfanden, Opfergaben niedergelegt wurden, usw. Das heißt, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Geoglyphen eher als Bühnen für Aktivitäten dienten als reine Bilder, wie man landläufig glaubte."

    Soviel ist bei oberflächlicher Betrachtung zu erkennen: Die Linien wurden geschaffen, indem die Menschen schwarz-oxidierte Steine an die Seite legten. Dadurch zeigten sich die darunter liegenden hellen Bodenschichten und sind nach rund zweitausend Jahre immer noch sichtbar.

    Wer hat die Geoglyphen hergestellt und sie dann zu Zeremonienzwecken genutzt? Soviel war bislang bekannt: Sie stammen vom Volk der Nasca, die zwischen 200 vor bis 600 nach Christus in der Region lebten. Allerdings waren sie auch nicht die Ersten: Das Volk der Paracas hat vor ihnen schon Zeichnungen mit ähnlichen Motiven in Felsen geritzt. Um mehr über die Nasca zu erfahren, begab sich Markus Reindel auf Spurensuche:

    "Ich würde mir fast zutrauen, hier trockenen Fußes ohne Schuhe ausziehen, durchzugehen. Sollen wir es versuchen oder gleich Schuhe ausziehen?"

    La Munia heißt der Ort, an dem ein Rätsel der Nasca gelöst werden kann. Der Weg führt durch den Rio Grande, der um diese Jahreszeit flach ist, wodurch einige Steine aus der Oberfläche herausragen.

    Auf der anderen Seite des Wassers, hinter dichtem Buschwerk und Bäumen, endet plötzlich die grüne Vegetation.

    "Im Grunde sind wir jetzt hier exakt am Übergang vom Talboden zur Wüste, hinter uns ein vollkommen fruchtbares Feld, dort werden im Moment Bohnen angebaut, und wenn wir jetzt zwei, drei Schritte tun, dann sind wir in der Vollwüste, also eine der trockensten Wüsten der Welt. Wir gehen jetzt um die Felsnase herum und da bietet sich gleich in Fülle ein typisches Gräberfeld der Nasca-Kultur, vollständig geplündert, sieht aus wie Bombentrichter. Hier haben die Grabräuber seit Jahrzehnten Gräber ausgenommen. Natürlich in erster Linie, um die schönen Keramiken zu finden aber gelegentlich auch Goldobjekte. Das hier ist im Wesentlichen aus der Nasca-Kultur etwa um 300 bis 400 nach Christus und hier sind die Grabräuber wohl besonders fündig geworden. Das werden wir gleich sehen im oberen Bereich des Feldes, wo wir dann auch weitere Grabungen durchgeführt haben."

    Eine Fülle von Grabbeigaben fanden die Wissenschaftler: Die reich verzierten Keramiken sind noch so gut erhalten, als wären sie gestern gebrannt worden.

    "Wir haben hier extrem feine Keramik der mittleren Nasca-Zeit gefunden, hervorragend, polychrom dekoriert, zum Teil auch mit Vogelmotiven, Menschendarstellungen usw. Dann haben wir Goldfunde hier gemacht, die ersten Goldfunde der Nasca-Zeit überhaupt, die bei wissenschaftlichen Grabungen dokumentiert worden sind. Darüber hinaus Spondylus Muscheln, eine ganz wichtige Sache im Kontext der Nasca-Kultur. Spondylus-Muscheln hatten etwa einen Wert wie Weihrauch in der Alten Welt und wurden von weit her hierher gebracht und dienten als Wasser- und Fruchtbarkeitssymbole. Kleine Reste von Textilien haben sich erhalten und kleine Schmuckgegenstände aus Muschelperlen etc."

    La Munia war zu der Zeit das Verwaltungszentrum der Nasca, der Rio Grande der einzige Fluss, der ganzjährig Wasser führte. Die Fürstengräber lassen darauf schließen, dass die Gesellschaft differenziert aufgebaut war.

    "Wir stehen jetzt am rechten Talrand des Rio-Grande-Tales an dem Fundort La Munia. Vor uns fällt der Hang ab und geht über in die fruchtbare Talaue. An der anderen Seite steigt der Hang wieder an, vollkommen wüstenhaft, da dort keine Bewässerung möglich ist, steigt an bis zu einem großen flachen Plateau, eines dieser vielen Plateaus, die als Pampa bezeichnet werden, und genau diese Pampas sind eigentlich die Flächen, wo die meisten Geoglyphen der Nasca-Zeit angebracht worden sind. Und wenn man von hier aus rüberschaut, kann man sich vorstellen, dass von hier oben zwar die Geoglyphen selber nicht sichtbar waren, aber die Aktivitäten, die dort stattfanden. Und tatsächlich haben wir ja auch bei unseren Ausgrabungen auf den Geoglyphen, die wir übrigens erstmals in der Geschichte der peruanischen Archäologie durchführen durften, kleine Plattformen, Tempel gefunden, auf denen Opfergaben niedergelegt wurden, die im Zusammenhang mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten standen."


    Das Rätsel der Nasca-Linien - so scheint es - ist gelöst: Sie dienten religiösen Ritualen. Der Klimawandel zu jener Zeit ist durch Untersuchungen belegt. Die Nasca versuchten, durch ihre Zeremonien die Verwüstung aufzuhalten.
    Markus Reindel zieht den Schluss:

    "Wir denken, dass Geoglyphen eine ganz eminente Bedeutung hatten im Gesellschaftssystem und im Glaubenssystem der Nasca-Bevölkerung. Durch die Geoglyphen wurde im Grunde eine sterile Wüstenlandschaft in das Lebensumfeld der Nasca-Leute eingebunden. Die Geoglyphen hatten eine Funktion von Freilichttempeln, also man ist auf die Geoglyphen gegangen, um den Göttern zu opfern. Im Zentrum des Kultes standen ganz offenbar Wasser und Fruchtbarkeit, leicht verständlich in dieser Region, wo Leben und Überleben abhängen von Wasser und der Verfügbarkeit von Wasser, und wenn wir noch dazunehmen, dass es im Laufe der Zeit und insbesondere der Nasca-Zeit immer trockener wurde, können wir besser verstehen, wie die Menschen durch diese rituellen Aktivitäten um Wasser flehten, durch den Bau von Geoglyphen, durch den Bau von kleinen Tempeln, durch das Niederlegen von Opfergaben, was aber offenbar mit Ende der Nasca-Zeit nicht ausreichte. Das Wasser blieb aus. Die Nasca-Kultur ging zugrunde. Die Menschen wanderten ab."

    Und Maria Reiche? Sie wird heute noch verehrt in der Region. Sie brachte den Tourismus. Sie ließ Aussichtsplattformen errichten, damit die Menschen das Wunder der Nasca-Linien bestaunen konnten.

    "Hier gucken deutsch. Das ist der Maria Reiche. Maria Reiche studierte die Nasca Linien. Vor 50 Jahren. She said astronomical calendar. Maria Reiche said ..."

    "Wir müssen ganz klar sagen, wenn Maria Reiche nicht gewesen wäre, dann hätten wir die Geoglyphen heute gar nicht mehr als Studienobjekt. Sie hat also ganz wesentlich zum Erhalt der Linien und auch zu deren Bekanntheit beigetragen. Andererseits müssen wir auch ganz klar sagen, dass sie gerade in den späten Jahren nicht mehr mit den Methoden der Zeit an die Erforschung der Geoglyphen herangegangen ist. Man muss bedenken, sie hat fünfzig Jahre dort gearbeitet, und in dieser Zeit hat sich viel getan. Sie war - vor allem in den späten Jahren - nicht mehr auf der Höhe der Technik."