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Wo die Bürger meckern dürfen

Vor allem in Frankreich und im Osten Europas feiern Community Radios Erfolge – engagierte Bürger stellen ein eigenes Radioprogramm auf die Beine. Sie schaffen Aufmerksamkeit für Probleme ihrer Region und bauen so öffentlichen Druck auf Politiker auf.

Von Thomas Wagner | 20.07.2013
    Das "West-City-Radio" im westrumänischen Temeswar ist eigentlich ein kommerziell ausgerichteter Privatsender - eigentlich. Aber:

    "Jeden Tag fast haben wir eine besondere Sendung. Da kommen die Bürger des Viertels, aber zum Beispiel auch der Präsident des Viertels zu uns und spricht über die Probleme, die es dort gibt."

    "Quartier Timisoara", zu deutsch: "Vor Ort im Stadtviertel" ist der Titel einer solchen Sendung. Christian Jurji ist Chef des "West-City-Radios" und hat einen Teil des Programms zum Bürgerfunk umfunktioniert, ziemlich dicht an den Hörern: Programmschwerpunkte widmen sich den Problemen in einem ganz bestimmten Stadtteil, angefangen bei den Löchern in der Straße bis zu Problemen bei der Müllabfuhr. Wer hier als Bürger meckert, kann auf Abhilfe hoffen. Andreea Oance, Moderatorin beim "West City Radio":

    "Wenn ein Bürger zum Rathaus geht, dann wird er vielleicht angehört. Die besprechen ein bisschen das Problem. Das garantiert aber nicht, dass das Problem auch gelöst wird. Aber wenn es tatsächlich live im Radio ist, dann sind die Behörden auch irgendwie verpflichtet, das einzuhalten. Denn dann wird später eine neue Sendung gemacht: Und die Leute werden sagen: Seht mal - nichts ist passiert! Die Bürger fühlen dadurch auch, dass sie tatsächlich etwas bewegen können durch unser Radio, … "

    ... das somit zu einem kleinen Baustein einer aktiven Zivilgesellschaft wird und damit gerade in einem osteuropäischen Land wie Rumänien, in dem Politiker gerne über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden, eine wichtige Funktion wahrnimmt. Dabei gehen die "Bürgerradios" oder, wie die Fachleute auf europäischer Ebene sagen, "Community Radios" in Reinkultur noch einen Schritt weiter: Häufig handelt es sich um Vollprogramme ohne jeglichen kommerziellen Hintergrund. Und diese Vollprogramme werden ausschließlich von engagierten Bürgern gestaltet. Die Tradition solcher 'Community Radios' reicht ins Europa der 1980er Jahre zurück. Eric Lucas kommt aus Frankreich, steht dort an der Spitze des "Syndiact de Radio assoziatives francais", ein Dachverband aller Bürgerradios in Frankreich:

    "Das hat damals in England begonnen, mit den Piratenradios. Dann ging es es weiter, in Frankreich, in Italien. Heute hat Frankreich in ganz Europa die meisten dieser Bürgerradios, nämlich die sagenhafte Zahl von 600 solcher Stationen."

    600 solcher "Community Radios" in Frankreich, immerhin 25 in dem kleinen Ländchen Irland, sehr wenige dagegen in Deutschland – dort gibt es im Gegensatz zu Frankreich, Irland, England und Schweden nicht einmal einen Dachverband, in dem sich solche 'Bürgerradios' zusammengeschlossen haben. Das hängt auch mit der Finanzierung zusammen: Überall dort in Europa, wo die Bürgerradio-Bewegung stark ist, hat der Staat mitgeholfen, so auch in Frankreich. Eric Lucas:

    "Der französische Gesetzgeber hat dafür Sorge getragen, dass unsere Bürgerradios jedes Jahr eine Art Anschubfinanzierung bekommen. Die ist nicht besonders hoch. Aber sie reicht als Basis. Also eine Art Subvention durch den Staat."

    Ähnlich finanziert sich auch die irische 'Community Radio'-Bewegung. Und das findet Liam Flamagan vom 'West Dublin Access Radio', gleichzeitig Vorsitzender der 'National Federation of Community Radios in Ireland', auch gerechtfertigt. Denn schließlich erfüllten die 'Community Radios' in seinem Land eine wichtige gesellschaftliche Funktion.

    "Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben: In unserem Sender haben wir jeweils von montags bis freitags ein spezielles Programm. Und da kommen dann Leute mit verschieden geistigen Behinderungen. Deren Eltern hätten ja niemals im Leben geglaubt, das ihre Kinder mal Radio-Stars werden. Aber: Sie sind so engagiert bei der Sache: Die bereiten ihre Sendungen vor, sie präsentieren ihre Sendungen - das ist doch eine tolle Form des freien Ausdrucks, der freien Artikulation. Die Menschen draußen erfahren aus erster Quelle Dinge über die Probleme dieser Behinderten, die die ansonsten nie erfahren hätten. Und gleichzeitig werden diese Behinderten ein Stück weit in die Gesellschaft integriert, haben eine sinnvolle Aufgabe gefunden. Und das Tolle dabei ist: Gerade bei dieser Sendung hören unheimlich viele zu, nämlich alle Freunde, Familien, Verwandte. Das ist ein Musterbeispiel für soziale Integration."

    Darüber hinaus hält Liam Flamagan die 'Community Radios' in Irland für ein wichtiges Element einer lebendigen Demokratie:

    "Wir geben den ganz normalen Bürgern die Chance, einen Politiker zu fragen: Hey, Du hast doch diese und jene Versprechungen gemacht - und jetzt: Was ist daraus geworden?"

    Im Rahmen des europäischen Bildungsprogrammes 'Leonardo' wollen die Bürgerradios nun grenzüberschreitend näher zusammenrücken. In Westrumänien sprachen die Vertreter der 'Community Radios' beispielsweisre über gemeinsame Trainingsprogramme für zukünftige Mitarbeiter – Programme, die aus dem Leonardo-Programm der EU unterstützt werden. Und vielleicht, hieß es in Timisoara, werden in Zukunft auch Vertreter deutscher Bürgerradios mit im Boot sein.