Freitag, 29. März 2024

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Wo die Gemeinschaft zählt
Durch die Bergdörfer der Pueblos Mancomunados in Mexiko

Lange lebten die Menschen in der über 3.200 Meter hohen Sierra Norte im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca isoliert. Doch seit sich die von indigenen Zapoteken bewohnten Dörfer zur Gemeinschaft der „Pueblos Mancomunados“ zusammengeschlossen haben, hat sich Vieles verändert. Auch ihr ökotouristisches Angebot ist zum Erfolgsmodell geworden.

Von Klaus Betz | 03.04.2016
    Der Ökofarmer Eli Mecinas inmitten seiner Alcatraz-Lilien.
    Der Ökofarmer Eli Mecinas inmitten seiner Alcatraz-Lilien. (Klaus Betz)
    "Buenas tardes, buenas tardes." "Es la Señora Marta."
    Wir sind zu Gast bei Señora Marta in Latuvi. Doña Marta betreibt eine Pulqueria und nennt sie El Paso - "Zum Vorbeikommen" also oder auch: "Im Vorübergehen".
    Den Namen El Paso hat sie nicht ohne Grund gewählt. Einerseits liegt Ihr Haus in Latuvi an einem der wichtigsten Wanderwege in der Sierra Norte, andererseits ist Doña Marta weit und breit dafür bekannt, dass sie den besten Pulque herstellt. Genau das Richtige für durstige Wanderer, denn der weißlich-trübe Pulque aus vergorenem Agavensaft schmeckt wie ein erfrischend leichtes Bier mit Cidre. Nicht zu stark, aber doch schon mit etwas Alkohol. Verfeinert man den Pulque mit Rohrzucker und Himbeeren oder Äpfeln, dann – so weiß Doña Marta -, dann entsteht Tepache.
    Herstellung von Tepache dauert fast eine Woche
    "Um den Pulque herzustellen, benötigen wir eine große Maguey-Agave, so wie sie hier wachsen - und daraus gewinnen wir den süßen Agavensaft, das Honigwasser, das agua miel. Zum Fermentieren brauchen wir dann noch etwas Mutter-Pulque aus einem früheren Ansatz und ein kleines Stäbchen von unserem sogenannten Pulque-Holz. Damit fängt es an zu gären und man kann den Pulque dann auch schon trinken. Aber besser ist es, so drei, vier Tage lang zu warten.
    Tepache zu produzieren dauert fast eine Woche. Da kommen noch Rohrzucker und vielleicht auch Früchte hinzu und etwas Wasser. Bis die Mischung vergoren ist und gut schmeckt, vergehen fast acht Tage. Wer es eilig hat, kann nur Pulque bekommen. Bis wir Tepache haben, das dauert noch mal vier Tage länger."
    Mindestens sieben Jahre muss Doña Marta warten, bis eine ihrer Agaven das süßliche agua miel produziert. Dann allerdings ist sie morgens und abends unterwegs, um das Honigwasser abzuschöpfen. Drei Monate lang - bevor die jeweilige Agave abstirbt.
    Die Pulqueria fast schon wie eine Berufung
    Im Übrigen sieht Doña Marta ihre Pulqueria fast schon wie eine Berufung. Ein richtiges Business will sie daraus nicht machen, erzählt sie. "Gut, der Rohrzucker, den ich kaufen muss, ist etwas teuer. Der Verkauf hier hilft mir schon, aber viel wichtiger ist: Mir gefällt meine Arbeit und ich mache sie gerne und ich freue mich immer, wenn jemand vorbeikommt - dann schenke ich was ein. Das ist Unterhaltung, das gefällt mir, es macht mich glücklich. Ich muss daraus kein großes Geschäft machen. Auf der anderen Seite: Jemand kommt und bestellt Tepache für eine Beerdigung oder auch für eine Party, dann gehe ich hin und bringe zehn oder fünfzehn Liter vorbei. Das mach‘ ich gern und – ich fühle ich mich gut."
    Latuvi hat knapp 700 Einwohner und verteilt sich auf mehrere Ortsteile zwischen 2.200 und 2.600 Meter Höhe. Das kleine Bergdorf ist eine von acht indigenen Zapoteken-Gemeinden, die sich unter dem Begriff "Pueblos Mancomunados" zusammengeschlossen habe. Mancomunados steht für: sich vereinen, sich verpflichten und - zum Nutzen aller – zusammenzuarbeiten.
    Latuvi ist der Obstgarten der Sierra Norte. Hier wachsen Dank eines günstigen Kleinklimas selbst in dieser Höhe noch viele verschiedene Apfelsorten, Himbeeren, Pfirsiche, Orangen, Limonen und Guaven. Es gibt Nussbäume und überall wird selbstverständlich auch Mais angebaut. In Latuvi gibt es zwei Restaurants, eine Bäckerei, eine Grund- und Hauptschule, eine Marmeladen-Kooperative und mehrere Forellenzüchter.
    Einnahmen als Bergführer
    Übernachten kann man in der gemeindeeigenen Lodge; eine Anlage, die aus mehreren recht komfortablen und sauberen Cabañas besteht. Hütten – wenn man es direkt übersetzt -, aber es sind massive und aus Stein gebaute Ferienhäuser. Kurz, hier kann man bleiben. Oder wie ich - eine geführte Rundwanderung durch die Bergdörfer der Pueblos Mancomunados buchen.
    "Wir starten heute in Latuvi, 2.450 Meter hoch und wandern bis nach La Neveria, 2.700 Meter hoch. Das sind rund zwölf Kilometer. Die ersten sechs Kilometer folgen wir einem Waldweg, dann steigen wir einen Kilometer aufwärts und die restlichen fünf geht es eben weiter, direkt darauf zu."
    Mein Guide auf dieser mehrtägigen Wanderung heißt Celestino Mendez. Er kennt die Sierra Norte, weil er hier geboren und aufgewachsen ist. Doch der heute Fünfundzwanzigjährige hat seine Jugendjahre zunächst in Kalifornien verlebt – zusammen mit seinen Eltern. Deshalb spricht er Englisch.
    Nebelwolken hängen tief im Gebirge.
    Sonntagsspaziergang "Pueblos Mancomunados“ (Klaus Betz)
    Topil: Die erste Stufe der üblichen Freiwilligen-Dienste
    Celestino denkt gerne an Kalifornien zurück, aber noch mehr freut es ihn, in seiner Heimat eine Einkommensquelle und eine Zukunft gefunden zu haben. So baut er zwar unverändert auch Mais an – wie alle hier -, aber sein neues Haus verdankt er dem steigenden Interesse an den Pueblos Mancomunados und seinem Einkommen als zertifizierter Guide. Immerhin führt hier ein Wegenetz von über einhundert Kilometern Länge von Dorf zu Dorf; zu Fuß, mit dem Pferd oder auch – in ausgewählten Bereichen – mit dem Mountainbike.
    "Der Typ, der gerade mit dem Moped an uns vorbeigefahren ist, macht derzeit sein Servicejahr für die Gemeinde. Er ist unser Topil. Vor einem Jahr erst ist er mit der Schule fertig geworden und nun ist er als Topil tätig, als Dorfpolizist sozusagen. Er achtet auf das Geschehen im Dorf hier und wann immer Post auszutragen ist, dann ist er auch unser Briefträger."
    Wenn jemand als Topil bezeichnet wird, dann haben er oder sie mit der ersten Stufe der hier üblichen Freiwilligen-Dienste begonnen. In den von der zapotekischen Ursprungsbevölkerung bewohnten Dörfern ringsum wird eine besondere Form von kommunaler Selbstverwaltung praktiziert. Alles funktioniert ohne politische Parteien. Für die jeweiligen öffentlichen Ämter oder Servicedienste kann man sich nicht bewerben – man wird stattdessen von der Vollversammlung der Dorfgemeinschaft ausgewählt – je nach Erfahrung und Können, unabhängig ob Mann oder Frau. Die Rede ist hier vom sogenannten "Cargo-System".
    Hinter diesem Begriff verbirgt sich das Prinzip, demzufolge jeder erwachsene Bürger in den Pueblos Mancomunados ein Amt übernehmen oder eine Dienstleistung an der Gemeinschaft erbringen muss - ohne Bezahlung. Ein Jahr lang. Und jedes dritte Jahr erneut. So schreiben es die überlieferten Usos Y Costumbres vor. Das Regelwerk für die Sitten und Gebräuche der indigenen Zapoteken ist in Mexiko übrigens gesetzlich anerkannt und geschützt.
    Ein Handelspfad vom Golf von Mexiko bis zum Pazifik
    Doch weil mir beim Aufstieg durch den Hochwald allmählich die Puste ausgeht, schlägt Celestino vor, dass wir dieses Thema doch lieber auf den Abend vertagen sollten. Recht hat er. Zumal wir hier, in den Kiefern- und Eichenwäldern ringsum, von blühendem Flieder und Lupinen umgeben sind, vereinzelt sieht man auch Orchideen und überall an den Bäumen haben sich Bromelien angesiedelt.
    "Wir wandern hier auf der Fortsetzung eines prähisspanischen Handelspfades; dieser Abschnitt ist Teil des sogenannten Camino Real, der vom Golf von Mexiko bis zum Pazifik führt. Von hier aus sind es noch fünf Kilometer bis nach La Neveria und von dort aus müssten wir noch einmal 22 Kilometer bergab wandern, um die Täler von Oaxaca zu erreichen."
    Hier oben, auf den aussichtsreichen und sonnigen Hochflächen fühle ich mich plötzlich an den Bregenzerwald erinnert oder an das Allgäu. Aber wir sind hier in Mexiko unterwegs und außerdem bereits auf 2.700 Metern Höhe. Zwischendurch sieht und hört man Buntspechte, an blühenden Büschen schwirren Kolibris, am Himmel ziehen Bussarde ihre Kreise und natürlich auch die Zopilotes – die Truthahngeier. Am Ortseingang von La Neveria nimmt zunächst kaum jemand Notiz von uns. Der kleine Ort mit gerade mal 85 Einwohnern liegt in einem hufeisenförmigen Hochtal und zieht sich an den Hängen entlang. Was auffällt: Überall wird Gemüse angebaut, Salat, Bohnen, Kürbisse und Senf. Links und rechts des Dorfbaches stehen schwarze Tunnelzelte, in einzelnen Gewächshäusern sieht man weiße Lilien blühen.
    Kommunale Lodge für Gäste zum Übernachten
    "La Neveria ist dafür bekannt, dass hier viel Wasserkresse angebaut wird – und Blumen. Hauptsächlich werden weiße Lilien kultiviert. Weiße und blaue. Unter den schwarzen Tunnelzelten, die wir da drüben sehen, wächst die Wasserkresse heran. Im Schatten. Andernfalls, wenn die Wasserkresse den Sonnenstrahlen direkt ausgesetzt ist, bekommt sie einen bitteren Beigeschmack."
    Wie in allen Dörfern der Pueblos Mancomunados üblich, gibt es auch hier wieder die kommunale Lodge mit mehreren Cabañas zum Übernachten; aussichtsreich und sehr schön in der Nachmittagssonne gelegen. Zu diesem Gästezentrum gehört selbstverständlich das dorfeigene Restaurant. Hier gibt es - was sonst, wenn überall so viel Wasserkresse angebaut wird -, hier gibt es für die hungrigen Wanderer zunächst einmal eine Tortita de Berro: ein Omelette mit Wasserkresse. Dazu ein paar Hongos empanada – panierte Waldpilze – und für den ganz großen Hunger kommt noch Pollo asado auf den Tisch: Gebratenes Hühnchen mit Reis, Bohnen und Avocado. Wer mag, kann sich dazu einen Tamarindensaft bestellen oder ein Atole de Trigo – ein Getränk aus gemahlenem Weizensamen mit Zimt. Es müssen ja nicht immer Bier oder Pulque sein.
    Erst im Nachhinein erfahre ich von Celestino, meinem Guide, dass auch die Köchin und das Servicepersonal des Restaurants hier ihren Cargo-Dienst absolvieren - ihr unbezahltes Servicejahr für die Gemeinde. Erkennbar war das nicht, weil alle Beschäftigten ein Engagement an den Tag gelegt haben, als gehörte das Restaurant ihnen persönlich. Celestino klärt mich auf.
    Ein ganzes Jahr lang ohne Bezahlung arbeiten
    "In unserem Servicejahr für die Gemeinschaft arbeiten wir ein ganzes Jahr lang ohne Bezahlung. Zum Beispiel ist es im Bereich von Ökotourismus üblich, dass der örtliche Koordinator jeden Tag da ist und sich um die Gäste kümmert; er hat aber in dieser Zeit keinerlei Einkommen. Er macht das, weil er eines Tages vielleicht Bürgermeister oder Präsident der Gemeinde werden möchte. Wir alle wollen einen guten Job machen und hoffen so, eine noch bessere Position zu erreichen. Das ist das Ziel vieler Leute hier in unseren Dörfern."
    Erst allmählich begreife ich, dass ich in einer Kultur unterwegs bin, in der neben der Privatinitiative immer auch das "Wir" und "Unser" im Vordergrund steht. Was hier als Gemeinde bezeichnet wird, entspricht nicht unseren europäischen Vorstellungen von einer Gemeindeverwaltung mit bezahlten Angestellten. Auf der Gemeindeverwaltung arbeitet hier womöglich der unmittelbare Nachbar - für, wie gesagt, ein Jahr und ohne Bezahlung.
    Wer gute Arbeit leistet und zuverlässig ist, steigt im Ansehen der Dorfgemeinschaft und wer sich Ansehen erwirbt, den betraut die halbjährliche Vollversammlung der Einwohner meist mit höheren Aufgaben. Beispielsweise mit der Tätigkeit als Schatzmeister der Gemeinde oder sie ernennt ihn zum Alcalde, zum Bürgermeister und Friedensrichter. Die höchsten Weihen erfährt schließlich, wer in die Asamblea de Caracterizados delegiert wird. Hier versammeln sich die besonders herausragenden Persönlichkeiten aller Dörfer ringsum. Die Caracterizados bilden das Macht- und Kontrollzentrum der Pueblos Mancomunados und sie entscheiden auch darüber, wie die Gewinne aus den gemeinsamen Aktivitäten an die jeweiligen Kommunen und an ihre Einwohner ausgeschüttet werden.
    Alle Einwohner der Pueblos Mancomunados sind auch die Eigentümer
    Nicht genug, weiß Celestino noch von einer weiteren Besonderheit zu berichten. "Alles Land ist kommunales Eigentum. Es gehört den Pueblos Mancomunados. Zwar bekommt jede einheimische Familie ein Stück Land, um eine Farm zu bewirtschaften, aber sie sind lediglich die registrierten Besitzer. Sie sind nicht die Eigentümer. Grund und Boden, Wälder und Gewässer sind kein individuelles Eigentum, das an einen von außen kommenden Investor von Oaxaca verkauft werden könnte. Im Gegenteil: Alles gehört allen gemeinsam.
    Alle Einwohner der Pueblos Mancomunados sind gleichzeitig die Eigentümer der Pueblos Mancomunados. So können wir auch von einem Dorf zum anderen umziehen, ohne dass Fragen oder Probleme entstehen. Ich kann zwar sagen: Alles gehört mir, aber ich muss wissen - es gehört immer auch allen andern. In allen acht Gemeinden."
    Anderntags sind wir auf dem Weg in das 2.400 m hoch gelegene Benito Juárez. Das 390 Einwohner zählende Dorf erinnert mit seinem Namen an den 1872 verstorbenen, aber bis heute unvergessenen mexikanischen Reformer und Präsidenten Benito Juárez. Unterwegs kommen wir an der Öko-Farm der Familie Mecinas vorbei. Eli Mecinas, der Seniorchef, lädt uns zur Besichtigung des Familienbetriebs ein. Wir durchstreifen ein zwei Hektar großes Gelände mit einer Reihe von großen Blumenbeeten.
    "Wie sie sehen: Dies ist eine Möglichkeit, um auf dem Land existieren zu können: Wir kultivieren hier die natürlich wachsenden Blumen und verkaufen sie dann. Hier zum Beispiel sind es die blauen Schmucklilien."
    Fleisch, Eier und Blumen werden auf Märkten verkauft
    Klar ist, zunächst dient der Öko-Hof der Familie Mecinas der Selbstversorgung und Existenzsicherung. Doch so sehr alle Vorgehensweisen in den Pueblos Mancomunados auf das Wohlergehen der Gemeinschaft ausgerichtet sind, so sehr ist auch die private Vermarktung von Überschüssen kein Thema. Wem immer es gelingt, ein Zusatzeinkommen zu erwirtschaften, soll und darf es tun. Aus diesem Grund beliefert die Familie Mecinas die lokalen Märkte mit Fleisch, Eiern und Blumen. Und sie empfängt regelmäßig Schüler- und Studentengruppen aus den mexikanischen Großstädten, um ihnen zu zeigen, wie man auf einem öko-orientierten Bauernhof wirtschaftet.
    "Wir sind Selbstversorger und deshalb achten wir hier auf dem Hof darauf, immer genügend zum Essen zu haben: Hühner, Lämmer, Kartoffeln, Mais. Neuerdings halten wir auch eine für uns völlig neue Rasse von Schafen. Dorpe-Schafe, sie kommen ursprünglich aus Persien. Sie liefern uns das Fleisch."
    "Ein anderes Mittel um unsere Existenz zu sichern, ist die Aufzucht von Hühnern; sodass wir uns neben dem Fleisch auch von Eiern und Hühnchen ernähren können. Das hilft unserer Haushaltskasse. Die Hühner füttern wir natürlich ohne Chemie oder industrielle Futtermittel, sie essen hier lediglich Gras und Mais, reinen Mais."
    An dieser Stelle unterbreche ich und frage Don Eli, ob er nicht deshalb heute als Öko-Bauer bezeichnet werden könne, weil er ganz einfach alles bei den früher üblichen und natürlichen Methoden belassen habe? Seine Antwort: "So ist es, so ist es! Das habe ich vorhin schon mit den anderen Besuchern besprochen: Man muss nur mal ein Ei im Supermarkt kaufen und dann mit unseren vergleichen – ein großer Unterschied."
    Mit Pflanzen Krankheiten heilen
    Auf die althergebrachten Methoden und das überlieferte Wissen, setzt auch Eustorgio Martinez. Wir sind mit ihm in den Wäldern von Cuajimoloyas unterwegs. So heißt sein Heimatdorf: Cuajimoloyas. 3.200 Meter hoch gelegen, ist es mit über tausend Einwohnern eines der größten Mancomunados-Dörfer weit und breit. Die so hoch gelegene Gemeinde nennt sich selbstbewusst: "La capital del hongos silvestre" – Hauptstadt der Waldpilze also.
    Wie sich herausstellt, ist Don Eustorgio aber nicht nur ein Fachmann für Pilze, er weiß auch viel über die hier wachsenden Heilpflanzen.
    "Die Pflanze, die wir hier vor uns sehen, nennt sich Krötenkraut: Hjerba de Sappo. Wenn man davon etwas in den morgendlichen Tee gibt, hilft es Menschen mit zu hohem Blutzucker, das Niveau des Blutzuckers zu regulieren."
    Don Eustorgio kann selbstverständlich die essbaren Täublinge von den ungenießbaren unterscheiden und er empfiehlt bei Sonnenbrand eine Behandlung mit dem Gelee der Aloe Vera-Pflanze. "Die Pflanze, die wir hier vor uns sehen, nennt sich siempre viva. Es ist die Immortelle, die Unsterbliche. Selbst wenn es Frost gibt, geht sie nicht ein, sie widersteht und überlebt. Im Übrigen kann diese Pflanze auch als natürliche Medizin gegen Lippenherpes eingesetzt werden und sie hilft bei Augenentzündungen. Manchmal genügt schon täglich ein Tropfen in jedes Auge und die Entzündung geht allmählich zurück."
    Nur noch drei Gehstunden bis zur Pulqueria von Doña Marta
    Umgeben von duftenden Kiefern und alten Eichen führt uns die heutige Wanderung zurück zu unserem Ausgangspunkt nach Latuvi; sie ist mit sieben Stunden Dauer die längste Tagesetappe, doch sie führt überwiegend bergab. Bis zu einem aussichtreichen Felsvorsprung, den man hier "Media Ruta" nennt: die Weghälfte.
    Hier gibt es nicht nur eine ausgiebige Brotzeit. Ab der Weghälfte übergibt uns Don Eustorgio in die Obhut seines Kollegen aus der Nachbargemeinde. Der junge Don Carlos ist der lokale Naturguide von Latuvi und ist ab jetzt für den Rest des Weges verantwortlich. So begrüßen und verabschieden wir uns also, worauf uns Don Eustorgio eine weiterhin gute und genussreiche Wanderung wünscht.
    Dass ich die Natur in der Sierra Norte genieße, steht außer Frage. Aber ich freue mich auch, dass es von nun an nur noch drei Gehstunden bis nach Latuvi sind - zur Pulqueria von Doña Marta. Dort werden wir erneut einkehren und unsere Rundwanderung abschließen – el paso versteht sich, im Vorübergehen.