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Wo ist das große, glitzernde Leben?

Sie tun sich nicht leicht mit der Verantwortung fürs eigene Leben: die Wiener Großstadthelden der Autorin Magdalena Sadlon. Schon deshalb nicht, weil sie nie so genau wissen, wo und was das eigentlich sein soll: das große, glitzernde und voller Präge-Erlebnisse steckende "Leben", das ihnen im Fernsehen und im Kino oft in den buntesten Farben ausgemalt wird. Und das sich bei ihnen zuhause doch meistens ganz anders anfühlt: nämlich schal, beliebig und überhaupt nicht wie etwas Eigenes.

Von Gisa Funck | 18.04.2006
    "Mein Leben sind Tage, von Nächten zusammengehalten", bekannte schon Jakob Sagmeister resigniert, die skurrile Hauptfigur in Sadlons erstem Roman "Die wunderbaren Wege" von 1999. Aus Angst vor emotionalen Verwicklungen hielt sich Sagmeister, ein frühpensionierter Schuldirektor, von seinen Mitmenschen fern - und lebte fast nur für die Erfüllung von Alltagsroutinen. Diese spielen nun auch in Sadlons neuem Roman "Solange es schön ist" eine große Rolle, wenngleich in anderer Gewichtung.

    Diesmal nämlich porträtiert die Wiener Autorin nicht nur einen unglücklichen Sonderling, sondern gleich eine ganze Hausgemeinschaft unglücklicher Zeitgenossen. Allen voran Johanna Brütt, eine junge Rechtsanwaltsgehilfin um die 30, die sich nach fünf Jahren von ihrem Freund Robert getrennt hat. Endlich, müsste man sagen. Denn die Beziehung zwischen dem pedantischen Arzneimittel-Vertreter Robert und der lebenshungrigen Anwaltssekretärin Johanna konnte auch wirklich nicht gut gehen. Dafür sind beide zu grundverschieden. Während der zurückhaltende Robert ständig aufs Bremspedal des Lebens tritt, gibt Johanna permanent Vollgas. Und ist keiner noch so profanen Ablenkung abgeneigt, um der Frage nach dem Sinn ihrer Existenz auszuweichen, die womöglich eine allzu erschreckend banale Antwort nach sich zöge:

    Das wahre Leben war immer dort, wo sie nicht war, dachte Johanna. (…) Sie fühlte sich nur glücklos und auswegslos gefangen zwischen den Wänden und den Gedanken und der Nahrungsaufnahme und dem Bett und dem Beruf. Und es schien langsam auch beliebig, wessen Bett es würde, welchen Job sie machte.

    Hauptsache, sie war nicht allein. (…) Leben ohne Intensität, dachte Johanna. Aber wie brachte man Intensität in den Tag? (…) Wenn es eine Begabung zum Glück gab, eine Veranlagung zum Glücklichsein, dann gehörte sie zu den Unbegabten, konstatierte sie. Niemand hatte ihr je verraten, worum es gehen sollte ein Leben lang.


    Wie schon in ihrem ersten Roman nutzt Sadlon auch diesmal wieder das Stilmittel der erlebten Rede, um sowohl die äußere Handlung als auch die Innenwelten ihrer Figuren zu schildern. Denen schwant, wie Johanna in dieser Szene, in stilleren Momenten, dass die wahre Herausforderung ihres Lebens nicht im Spektakel, sondern vielmehr in einem sich öde wiederholenden Alltag liegt. Schließlich führen Johanna, Robert und auch alle anderen Figuren in Sadlons Geschichte eine Durchschnittsexistenz ohne großes Auf und Ab. Besondere Abenteuer, gar Triumphe, kommen darin nicht vor: weder in der Liebe noch im Beruf. Also inszenieren die Protagonisten in Solange es schön ist ihre Abenteuer und Triumphe selbst, um der eigenen Mittelmäßigkeit zumindest einen Hauch von Bedeutung zu verleihen. Es entbehrt nicht der Ironie, dass sie - um ihre Einzigartigkeit hervorzuheben - bei Sadlon ausgerechnet auf stereotype Rollenmuster verfallen, wie man sie vor allem aus Fernseh-Serien kennt:

    Johanna, die schon bald eine Affäre mit ihrem Nachbarn anfängt, gibt hier die launische Femme Fatale. Robert macht auf akkurater Vernunftsmensch. Gregor, der windige Nachbar, gefällt sich wiederum als bindungsloser lonley wolf. Und Johannas Mutter geht ganz in der Rolle der Selbst-Verwirklicherin auf: vom "Töpfern im Burgenland" bis zum "Ausdruckstanz in der Toskana". Wie in Familienserien, in denen Hausgemeinschaften nicht zufällig zu den Lieblings-Schauplätzen gehören, hat jeder auch in Solange es schön ist seine feste Klischeerolle.

    Und so wuselt in Johannas Hausgemeinschaft auch noch ein prototypisch neugieriger Hausmeister durchs Bild. Sowie eine ältere, einsame Dame, die sich - ebenso prototypisch - über Jugendliche und Ausländer beschwert und ihren Pudel "Rocky" ausgiebig verwöhnt. Bis Roberts Schwester "Tina" schließlich - eine unzufriedene Hausfrau aus dem Bilderbuch - ihren Ehemann wiederum mit Gregor betrügt: jenem Hallodri-Nachbarn von Johanna. Womit Sadlons Typen-Reigen gewissermaßen geschlossen wäre. Und das Leben - dafür bürgt schon der leicht kitschige Buchtitel - in Solange es schön ist endgültig auf Seifenopern-Format geschrumpft ist.

    Insofern ist es wohl auch kein Zufall, dass die Autorin ihren schmalen Roman nicht in Kapitel, sondern in achtundvierzig Kurz-Episoden unterteilt hat, in denen sie ständig zwischen den Figuren ständig hin und herschwenkt: gerade so, wie eine Kamera es in Fernseh-Serien tut. Nur, dass der wirkliche Alltag natürlich dummerweise nicht wie eine Seifenoper funktioniert.

    Spannend, und teilweise auch amüsant, wird es in Sadlons bitterböser Familien- und Nachbarschafts-Farce darum immer dort, wo die Klischee-Rollen unweigerlich ins Wanken geraten. So wie in einem Grundsatzgespräch zwischen Johanna und Gregor, in dem beide über ihre Affäre diskutieren:

    "Du bist also nicht verliebt in mich oder so?", fragte Johanna.
    "Genau. Auch nicht 'oder so'", meinte Gregor.
    "Und was haben wir dann? Wir zwei? Zusammen?"
    "Leidenschaft. Ist das nicht genug? Leidenschaft ist ansteckend, Liebe ist vergänglich." (…) Gregor holte sich ein Bier und setzte sich zu ihr. "Dafür bin ich nicht der Typ."
    "Du magst die Menschen nicht", entgegnete Johanna. (…). "Du magst nicht berührt werden, weder vom Leben noch von irgendwem."
    "Die Natur und die Geborgenheit sind zwei völlig verschiedene Baustellen", warf Gregor ein.
    (…) Glaub' mir, man ist nur in die Euphorie verliebt, die das Verliebtsein in einem auslöst. Auch ein Gedicht besteht nicht aus Gefühlen, sondern bloß aus Worten. (…) Es dreht sich nur um die Illusionsbildung der Liebe, die sich über das Reale hinwegsetzt. Und ich, mein Schatz, brauche für diesen kurzen Selbstbetrug nicht noch jemanden zweiten. Das wäre mir zu anstrengend."
    "Ich glaube, anstrengend ist, zu sein wie du", erwiderte Johanna verächtlich, "Dein fest verfugtes Gerüst ist eine hohle Wand aus Sprüchen, die nur den ganzen Schrott aus Beziehungsangst verdecken sollen, der darunter liegt."


    Sadlon treibt in "Solange es schön ist" die allgegenwärtige Inszenierungssucht der heutigen Mediengesellschaft auf die Spitze, in der es schon fast zum guten Ton gehört, die eigene, oft genug banale Biographie nach außen hin glamourös hoch zu stilisieren. Ähnlich wie in zahllosen TV-Serien, wo selbst trivialste Sachverhalte noch für tränenreiche Gefühlsdramen sorgen, versuchen auch ihre Helden in Solange es schön ist aus ihrem kleinen Leben ein wenig großes Kino zu machen. Und verschätzen sich dabei fatal. Johanna, Gregor und fast alle anderen Figuren dieser Geschichte sind sich zwar ihres Rollenspiels voll bewusst. Doch betrachten sie ihr Leben dermaßen spielerisch, dass sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht richtig ernst nehmen. Und gerade damit eine blutige Katastrophe am Schluss auslösen. Solange es schön ist erzählt also eigentlich gar keine schöne Geschichte, sondern jene bitterböse und letztlich altbekannte von einer weit reichenden Selbstentfremdung mit schlimmen Folgen. Das ist von Sadlon alles wohldurchdacht und auch gekonnt lakonisch, stellenweise ironisch-humorvoll, erzählt - und birgt dennoch einen entscheidenden Nachteil. Denn dadurch, dass sich ihre Charaktere bevorzugt an stereotype Verhaltensmuster halten, bekommen ihre Schicksale ebenfalls zwangsläufig etwas Trostlos-Klischeemäßiges. Was dann weder große Überraschungseffekte birgt, noch einem als Leser wirklich nahe geht.

    Magdalena Sadlon: Solange es schön ist
    Roman, Zsolnay-Verlag, Wien 2006
    112 Seiten, 15,40 Euro.