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"Wo sollte man sonst Dokumente hochladen"

Datenleck bei der Enthüllungsplattform WikiLeaks: Depeschen von US-Botschaften sind ungefiltert an die Öffentlichkeit gelangt. Dies habe die Sicherheit der Informanten gefährdet, räumt der Blogger Markus Beckedahl ein. Die Strahlkraft der Marke sei aber weiterhin für viele "Whistleblower" attraktiv.

Markus Beckedahl im Gespräch mit Jonas Reese | 02.09.2011
    Peter Kapern: Die Idee klingt eigentlich gut. Wer immer gravierende Missstände aufdecken will, kann seine Informationen bei WikiLeaks abliefern. Dort werden sie publiziert, während die Anonymität des Informanten gewahrt bleibt. Nicht wenige glaubten, auf diesem Weg die Demokratie in ein neues Zeitalter katapultieren zu können. Jetzt aber hat WikiLeaks den Supergau erlebt. US-amerikanische Diplomaten-Depeschen, die der Enthüllungsplattform zugespielt worden waren, sind ungefiltert und unredigiert im Internet aufgetaucht. Damit ist die Sicherheit derjenigen Quellen, auf die sich die US-Diplomaten berufen, infrage gestellt. Ob dieses Daten-Desaster möglicherweise das Ende von WikiLeaks bedeuten könnte, das hat mein Kollege Jonas Reese den Blogger Markus Beckedahl gefragt.

    Markus Beckedahl: Immerhin muss man beachten, WikiLeaks selbst wurde dieses Paket von 250.000 Depeschen zugeschickt. Die Person, die es eventuell mutmaßlich zugeschickt haben soll, sitzt im Gefängnis, Bradley Manning, allerdings durch einen dämlichen Fehler. Bradley Manning hatte sich gegenüber einem Journalisten als Whistleblower geoutet. Da hat WikiLeaks keine Aktien im Spiel gehabt. Andererseits handelt es sich bei den US-Depeschen um Zusammenfassungen von US-Botschaften in aller Welt mit vielen Informationen, die ihnen von Informanten zugetragen worden sind. Also im Endeffekt geht es hier um Informanten, die niemals Kontakt zu WikiLeaks hatten, die Kontakt hatten zu US-Botschaften, und WikiLeaks hat nur lediglich dieses Paket online gestellt.

    Jonas Reese: Also Sie sehen die Schuld eher bei den US-Diplomaten als bei WikiLeaks?

    Beckedahl: Wenn man mal zur Wurzel des Übels hingeht, dann konnte dieser Soldat, wenn er es denn war, zusammen mit über einer Million anderer US-Bürger auf diese Daten zugreifen, konnte sie einfach herunterladen und konnte sie dann auch wieder hochladen im Internet. Also da war der Fehler im System, dass diese Daten, die hinterher so geheim gewesen sein sollen, circa einem Prozent der US-Bevölkerung frei zur Verfügung standen und dass man sich dort nicht um IT-Sicherheit gekümmert hat.

    Reese: Aber nun ist ja schon offensichtlich, dass WikiLeaks doch einige Probleme damit hat, die Daten bei sich zu behalten. Als Informant, wie soll ich denn da Vertrauen haben in so eine Plattform?

    Beckedahl: WikiLeaks wollte eigentlich mit der Veröffentlichung dieser US-Depeschen alles mal anders machen. Zu oft gab es in der Vergangenheit den Vorwurf, dass WikiLeaks zu wenig auf den Schutz personenbezogener Daten geachtet habe und auch, wenn andere Personen dann betroffen seien. In diesem Fall ist man hingegangen und hat mit seinen Medienpartnern wie dem Spiegel oder dem britischen Guardian entschieden, dass nicht sofort 250.000 Depeschen online gestellt werden, sondern dass diese Depeschen von den Medienpartnern bearbeitet werden und die Namen sollten rausgeschnitten werden. Damit hat WikiLeaks eine ganze Menge Kritik abgefedert und konnte die eigene Plattform besser darstellen, und das war auch gut für den Schutz dieser Menschen, die ihr Leben gefährden, wenn sie halt in repressiven Regimen mit den US-Botschaften reden. Dadurch, dass jetzt diese Depeschen in voller Zahl durch einen dämlichen Fehler erschienen sind, ist natürlich dieses ganze Image weg, ist natürlich diese ganze Sorgfalt weg, und diese Menschen sind jetzt gefährdet. Aber ich glaube nicht, dass viele Menschen sich zukünftig davon abhalten werden, wenn WikiLeaks wieder Dokumente hochladen kann. Andererseits hat WikiLeaks jetzt sehr gute Reputationen, gute Hacker zu sein, die sehr auf IT-Sicherheit wert legen, und sie haben gezeigt, dass sie auch menschliche Fehler machen können und dadurch halt die Datensicherheit leidet.

    Reese: Sie nennen das jetzt "dämliche Fehler". Aber als Informant, noch mal die Frage, kann ich doch zu so einer Plattform eigentlich kein Vertrauen mehr haben?

    Beckedahl: Ich glaube, vor allen Dingen durch die Strahlkraft der Marke WikiLeaks wird es immer noch attraktiv für viele Informanten sein, dort später Dokumente hochzuladen, weil wo sollte man sonst Dokumente hochladen. Es gibt zwar eine ganze Menge Konkurrenzplattformen, die auch sich aufs Leaking konzentriert haben, aber die sind weder bekannt, noch weiß man teilweise, wer dahinter sitzt, noch haben sie in der Vergangenheit bewiesen, dass sie halt einen sicheren Hafen bereitgestellt haben, um Dokumente gesichert vor den Bedürfnissen von Sicherheitsbehörden, Staaten und Anwaltskanzleien abzusichern und der Öffentlichkeit zu präsentieren.

    Reese: Bleiben also die Konkurrenzplattformen – die bekannteste davon wird OpenLeaks sein vom ehemaligen Assange-Vertrauten und jetzigen Intimfeind Daniel Domscheit-Berg. OpenLeaks funktioniert nach einem etwas anderen Prinzip, aber fungiert eben auch als Enthüllungsplattform. Aufsehen hat die aber eher durch Sicherheitslücken erregt in der letzten Zeit. Also was macht Sie da so zuversichtlich, dass die Enthüllungsplattformen nicht ihrem Ende entgegengehen?

    Beckedahl: Also ich glaube, wir haben erst den Anfang von Enthüllungsplattformen erlebt. Es gibt zwar dieses Prinzip schon seit über 15 Jahren, beispielsweise mit der Plattform Cryptom.org, aber erst WikiLeaks hat dieses Konzept popularisiert und mittlerweile sprießen viele lokale, internationale, thematische Plattformen aus dem Boden. OpenLeaks ist eine mögliche Konkurrenz, aber OpenLeaks muss auch erst mal zeigen, dass sie tatsächlich angenommen werden. Sicherheitslücken sind dort noch nicht aufgetreten, allerdings ...

    Reese: Na ja, bei dem letzten Chaos-Computer-Camp in Berlin erinnere ich nur, dass da schon einige Sicherheitslücken bekannt wurden.

    Beckedahl: Nein! Das Problem war, dass man dort diese Plattform testweise mal für wenige Tage online gebracht hat. Aber viele Hacker haben kritisiert, man könne diese Plattform gar nicht so richtig auf Sicherheit testen, weil man wüsste ja gar nicht, was auf dem Server wie laufen würde und die Transparenz würde fehlen. OpenLeaks ist nicht unbedingt als unsicher da deklariert worden, es konnte gar nicht wirklich gehackt werden, weil es kaum online war.

    Reese: Also, die ganzen Zweifel, die jetzt mögliche Informanten hätten, sind nach Ihrer Meinung unberechtigt.

    Beckedahl: Natürlich muss man sich jetzt überlegen: Sind diese beiden Projekte auch vor allen Dingen nach dieser medialen Schlammschlacht, sind sie eigentlich reif genug, mit diesen Daten umzugehen. Sind sie vertrauensvoll? Das muss jeder Whistleblower für sich entscheiden. Aber ich gehe mal davon aus, wenn Sie jetzt Whistleblower in Guatemala sind und Sie möchten da auch Missstände hinweisen und Sie haben schon einmal etwas von WikiLeaks gehört, dann werden sie mal schauen, ob Sie da irgendwelche Daten hochladen können. Da kriegen Sie nichts mit davon, dass jetzt diese Dateien der Öffentlichkeit zugänglich geworden sind. Auch sollte man berücksichtigen: Die Person, die diese Depeschen hochgeladen hat, hat die ja auch deswegen hochgeladen, damit sie öffentlich werden. Also WikiLeaks hat ja bis dahin, bis zu der Veröffentlichung der Depeschen alle Dateien ohne Redigierung online gestellt. Also ich glaube nicht, dass der Informant letztendlich jetzt enttäuscht ist, wenn diese ganzen Dokumente unredigiert online erscheinen.

    Kapern: Ein Datenleck bei WikiLeaks. Das war mein Kollege Jonas Reese im Gespräch mit dem Blogger Markus Beckedahl.

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