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Wörner, Beate: Von Gen-Piraten und Patenten

Piraterie, das ist in der Regel Seeräuberei, das sind auf Hoher See begangene Gewalttaten, Freiheitsberaubungen oder Plünderungen. Und wir kennen die Luftpiraterie - das Hijacking. Aber die moderne Piraterie findet nicht nur auf dem Wasser und in der Luft statt, sondern auch auf dem Lande - vor allem in den Ländern des Südens. Dort wüten die Gen- und Biopiraten. Beate Wörner hat sich auf deren Spuren begeben - schildert viele Beispiele weltweit. Gaby Mayr stellt das Buch vor:

Gaby Mayr | 09.04.2001
    Piraten räubern von alters her Schiffe aus. Galten früher die sieben Weltmeere als ihr Reich, konzentrieren sie sich heute auf die Gewässer Südostasiens, der Karibik sowie die brasilianische Küste. Nicht länger mit Krummsäbeln, sondern mit Automatikpistolen schüchtern sie ihre Opfer ein. Die Motive der Meerpiraten haben sich dagegen nicht verändert: Armut und das Verlangen nach einem Anteil an den Schätzen der Welt.

    Das Streben nach Reichtum ist auch eine mächtige Triebfeder für eine neue Sorte von Räubern: die Bio- oder Gen-Piraten. Arm sind diese modernen Piraten allerdings nicht. Es sind wohlbestallte Universitätsangestellte sowie Mitarbeiter von Pharma- und Lebensmittelunternehmen aus den Industrieländern. Sie sammeln Pflanzen und zapfen sogar Menschen Blut ab, um die Beute in ihren Labors zu analysieren und nachzubauen - immer auf der Suche nach neuen Heilessenzen und nach Lebensmitteln mit auf dem Weltmarkt bisher nicht verfügbaren Eigenschaften:

    Den Biopiraten ist jeder Trick recht, um an die begehrte Ware zu kommen. Der häufigste ist der, sich mit einem einheimischen Arzt oder Heiler anzufreunden und alles über die Heilwirkungen der Pflanzen zu lernen. Manchmal wird dem Arzt auch eine Auslandsreise angeboten. Dann folgt die Extraktion der Wirkstoffe und deren Export, meist in Puderform, als Lösung oder als Baumrinde... Wissenschaftler der Universität von Kalifornien brachten von einem Besuch des Internationalen Reisforschungszentrum in Los Banos auf den Philippinen ein besonderes Mitbringsel nach Hause. Eine Reistorte aus Mali in Westafrika. Sie war zu Forschungszwecken in das Institut geschickt worden und dabei entdeckten die dortigen Wissenschaftler ihre Krankheitsresistenz. Patentieren ließen sich diese Eigenschaft dann aber die amerikanischen Wissenschaftler... Als Entschädigung bot die Universität Wissenschaftlern des westafrikanischen Landes Stipendien an.

    Der Sachverhalt klingt nicht sonderlich kompliziert. Doch das täuscht. Patentschutz, Welthandelsabkommen, Biodiversität und TRIPs sind nur ein paar Stichworte aus dem Arsenal der Biopiraten und ihrer Gegner.

    Die Grenzsicherung zwischen dem Schutz geistigen Eigentums, der Anerkennung traditionellen Wissens und einem verantwortlichen technischen Fortschritt ist auch abseits krimineller Machenschaften ein brisantes Thema, um das Forscher und PolitikerInnen ringen.

    In das sperrige Sujet verständlich einzuführen ist das Anliegen des Buches "Von Gen-Piraten und Patenten". Auf gerade mal hundert Seiten gelingt es Beate Wörner, die Konflikte und ihre Vorgeschichte wiederzugeben und Entwicklungslinien aufzuzeigen.

    Patente sind nichts Neues. Schon in der Antike gab es sie. Patente sollen geistige Leistungen honorieren, indem sie dem Erfinder ein zeitlich befristetes Monopol auf seine Erfindung geben. Will nicht der Erfinder selber, sondern jemand anderes mit der Erfindung Geld verdienen, muss der Lizenzgebühren zahlen. So sollen Patente Anreiz für geistige Anstrengung sein.

    Früher waren neue Produkte und neue technische Verfahren Gegenstand der Patentierung. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden erste Patente auf die belebte Natur erteilt: auf neu gezüchtete Pflanzen und auf ein Bakterium zum Beispiel, das im Kampf gegen die Tuberkulose eingesetzt wurde.

    1980 wurde erstmals "Leben" patentiert. Ein Angestellter einer US-Firma hatte ein ölfressendes Bakterium entwickelt, indem er das Erbgut dreier Bakterien in ein viertes eingeschleust hatte. Fünf Jahre später wurde in den USA das erste Patent auf eine gentechnisch veränderte Pflanze erteilt.

    Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist die Jagd eröffnet auf neues pflanzliches Material, aber auch auf tierische und menschliche Gene. Die Hatz findet im Süden statt:

    Nördlich des 30. Breitengrades ist es aus mit der Artenvielfalt. Das bedeutet, die reichsten Länder dieser Erde besitzen die geringste biologische Vielfalt, die armen Länder dagegen sind Verwalter eines einzigartigen Artenreichtums...

    ...den Unternehmen aus dem artenarmen Norden gerne zu Geld machen würden.

    In den 90er Jahren wurden mehrere internationale Abkommen ausgearbeitet, die den Run auf die Gene regeln sollen. Dem Norden gestatten sie Zugang zu den Schätzen der Natur, für den Süden gibt es einen Anteil an den Gewinnen sowie ein paar Klauseln, welche die Würde seiner Bewohner schützen sollen. Um die Interpretation der Abkommen wird anhaltend und mit harten Bandagen gefeilscht.

    Wie nötig Regelungen sind, zeigt ein Beispiel aus Papua-Neuguinea: Dort wurde Menschen vom Volk der Hagahai Blut abgezapft. Eine sogenannte T-Zelllinie des Blutes wurde in den USA patentiert, denn es enthielt besondere Resistenzen gegen Leukämie. Erst nach einer Welle internationaler Proteste wurde das Patent 1996 zurückgezogen.

    Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt spielen eine wichtige Rolle beim Widerstand gegen die Zumutungen der Pharma- und Lebensmittelkartelle. Sie leisten den Bauern und HeilerInnen des Südens wissenschaftliche und politische Unterstützung, wenn ein weiterer Prozess vor einem Patentamt ansteht oder eine neue gentechnisch veränderte Pflanzensorte ausgesät werden soll. In diesem Zusammenhang ist das Buch "Von Gen-Piraten und Patenten" entstanden: Brot für die Welt hat es herausgegeben. Ein Verzeichnis von Internet-Adressen im Anhang eröffnet den Zugang zu einschlägigen Institutionen und Organisationen weltweit.

    Die globale Vernetzung der Umwelt- und Menschenschützer ist nötig, weil die Genpiraten und Patenträuber längst international operieren. Mehrere Unternehmen haben gerade - unabhängig voneinander - ein neues Saatgut entwickelt, das nun in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen soll: das sogenannte Terminator-Saatgut. Erträge aus Terminator-Saatgut können nicht ausgesät werden so wie es seit Beginn des Ackerbaus üblich ist. Killer-Gene verhindern das Sprießen des pflanzlichen Embryos. Bäuerinnen und Bauern müssen Saatgut jedes Mal neu kaufen - zum Beispiel beim britischen Agrarkonzern Zeneca.

    Das war Gaby Mayr. Sie stellte das Taschenbuch vor von Beate Wörner: Von Gen-Piraten und Patenten. Erschienen ist es bei Brandes & Apsel in Frankfurt am Main, zählt einhundert Seiten und kostet 14 Mark.