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Wohin der Wind weht

Die Mitarbeiter des österreichischen Wetterdienstes kommen in diesen Tagen kaum zur Ruhe. Der Grund: Sie erstellen Simulationen der Luftströmungen über Japan. Vor allem Tokios Heil hängt stark davon ab, ob radioaktive Strahlung aus dem Nordosten in Richtung Süden weht oder nicht.

Von Volker Mrasek | 15.03.2011
    Bis gegen 21 Uhr heute Abend soll der Wind über Japan aus nördlicher Richtung wehen. So lange könnte er Radionuklide aus den Unglücksreaktoren in Fukushima ins südlich gelegene Tokio transportieren. Das wäre bis fünf Uhr Ortszeit in der japanischen Hauptstadt, also noch die ganze Nacht über bis in den frühen Morgen. Dieser Ausblick ergibt sich aus aktuellen Simulationsrechnungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien – ein ziemlich sperriger Name für einen Wetterdienst. In diesem Fall für den österreichischen.

    Der Meteorologe und gebürtige Chinese Yong Wang ist dort verantwortlich für die Vorhersagemodelle:

    "Der Wind weht im Moment aus nördlicher Richtung. Das hat mit einem Tiefdruckgebiet zu tun, das über Japan liegt. Der Wind zirkuliert um dieses Tief herum. Normalerweise weht er in dieser Region von Westen nach Osten und damit vom Land weg. Bildet sich ein Tiefdruckgebiet aus wie jetzt, ändert er seine Richtung. Dann kann er aus Norden wehen oder auch aus Süden. Gegen fünf Uhr Ortszeit wird sich das Tiefdruckgebiet aber nach unserer Vorhersage auf den Pazifik hinaus bewegen."

    Von diesem Zeitpunkt an kann die Bevölkerung im Großraum Tokio wahrscheinlich erst einmal aufatmen. Denn auch der Wind wird sich dann wieder drehen, seewärts wehen und radioaktive Luftmassen aus Fukushima aufs Meer hinaus befördern. So wird es nach den sogenannten Trajektorienberechnungen der Meteorologen vorläufig bleiben, zumindest in den nächsten beiden Tagen. Über noch längere Zeiträume wird es schwierig, die Bewegung von Luftpaketen zuverlässig vorherzusagen.

    Noch aber ist die Situation für Tokio problematisch – zumal das Tiefdruckgebiet über Japans Hauptstadt unter Umständen Regen mit sich bringt. Der Japanische Wetterdienst hat für die Nacht Schauer angesagt. Das könnte zu einer stärkeren radioaktiven Belastung am Boden führen ...

    "Aus den Zeitungen und aus Verlautbarungen der Regierung wissen wir, dass radioaktive Stoffe freigesetzt wurden und nun mit dem Nordwind nach Tokio transportiert werden könnten. Wenn es dort regnet, werden sie ausgewaschen und über der Stadt niedergehen. Aber wir wissen nicht, in welcher Konzentration."

    Das ist das größte Manko aller Simulationen und Vorhersagen im Moment: Es gibt keine verlässlichen Aussagen darüber, welche Radionuklide in welchen Mengen vom Kernkraftwerk in Fukushima freigesetzt wurden und noch immer werden.

    Die Wiener Forscher unterstellen in ihren Berechnungen, dass die Anlage permanent geringe Mengen der Radionuklide Jod-131 und Cäsium-137 emittiert. Aber das ist nur eine Annahme. Wohin es die Luft über Fukushima treibt, kann Meteorologe Wang zwar ziemlich zuverlässig sagen. Aber nicht, wie hoch ihre radioaktive Belastung tatsächlich ist:

    "Wenn wir mögliche radioaktive Wolken über Japan simulieren, dann ist das nur ein Szenario, aber keine wirkliche Vorhersage. Wir kennen zwar die Wetterverhältnisse vor Ort ziemlich gut. Wir haben laufend Zugriff auf Satelliten-, Radar- und Stationsdaten. Aber wir wissen nicht, wie viel Strahlung freigesetzt wurde. Darüber gibt es keine Informationen."

    Der österreichische Wetterdienst will seine Luftströmungs-Simulationen für die Region Japan fortsetzen und täglich aktualisieren. Die Meteorologen kommen kaum zum Verschnaufen, wie sie sagen. Regierungen, Fluglinien, Umweltbehörden – sie alle klopfen derzeit bei den Wiener Experten an und fragen nach aktuellen Informationen. Vermutlich wird das noch tagelang so bleiben ...