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Wohnen unterm Hakenkreuz

In Linz bauten die Nazis zwischen 1938 und 1945 große Wohnsiedlungen für Arbeiter und Industrielle. Bis heute heißen diese Siedlungen "Hitlerbauten". Ihre Vergangenheit wird erst jetzt in einer Ausstellung aufgearbeitet.

Von Beatrix Novy | 12.10.2012
    Wie die Linzer ganz unbefangen die zwischen 1938 und 1945 entstandenen Siedlungen, die seither große Teile der Stadt prägen? Hitlerbauten. Das irritierte die Hamburger Historikerin Sylvia Necker zunächst gewaltig

    "Als ich das erste Mal nach Linz kam und hörte das, bin ich zusammengezuckt, wie? Hitlerbauten?? In Hamburg hätte man NS-Wohnbau gesagt, der 30er Jahre, Klinkerbauten.. aber diese Wohnbauten haben in Hamburg nicht diese emotionale Bedeutung. Das war eine Aufgabe der Ausstellung, das zu transformieren."

    Das heißt, den historischen Entstehungszusammenhang der Siedlungen wieder bewusst zu machen, der gerade im täglichen Dahinsagen des Wortes Hitlerbauten verloren gegangen war. Sylvia Necker, die die Ausstellung gestaltet hat, wusste, dass sie als hereingeschneite deutsche Fachfrau vorsichtig zu Werke gehen musste; die Identifikation mit den Wohnsiedlungen ist bis heute ungebrochen, was mit ihrer Geschichte durchaus zu tun hat: Mitten in die Wohnungsnot der Zwischenkriegszeit pflanzten die Nazis nach dem Einmarsch in Österreich, ab1938 also, große Neubaugebiete.

    "Die Wohnungen waren ausgerüstet wie vorher nicht, es gab ein Bad in der Wohnung, große Grundrisse, Vier- bis Fünfzimmerwohnungen, hauptsächlich Drei-, Vierzimmerwohnungen, es gab nur wenige mit nur zwei Zimmern."

    So luxuriöse Standards hatte in den 20er-Jahren nicht einmal das rote Wien in seinen Arbeiterwohnpalästen. Linz verdankte die neuen Wohnanlagen mit ihren sehr großen begrünten Innenhöfen zum einen der Gründung der Hermann-Göring-Werke - nach dem Krieg wurde die Voest daraus -, also einem großangelegten Industrialisierungsprogramm, passend zur herausgehobenen Stellung der Stadt in der Ostmark, zu der Österreich unter den Nazis geworden war. Hitler, der geborene Oberösterreicher, hatte das gerade aus dem Schatten einer ländlich-barocken Stadt herausgetretene Linz zu einer seiner fünf Führerstädte erkoren: Wie in München, Nürnberg, Berlin und Hamburg gab es umfangreiche Planungen zu seiner heroischen, städtebaulichen Umgestaltung. Die Ausstellung stellt, was auf den ersten Blick etwas skurril wirkt, Linz in den direkten Vergleich mit Hamburg, weil in diesen beiden Städten die Zentren ans Wasser verlagert werden sollten, als Bühne pompöser Inszenierungen, mit Brücken und Brückenköpfen, Gauhalle, Aufmarschplatz, Parteizentrale.

    "Es gibt Architekten, einerseits für Großplanungen, die nicht oder nur teilweise umgesetzt wurden, Roderich Fick und Hermann Giesler, die man aus München kennt, sehr involviert in NS-Repräsentationsbau, ansonsten viele in Linz bekannte Architekten, im Stadtbauamt saß Estermann, vor und nach dem Krieg, Fanta und Popp, der hat die Göringwerke gebaut, aber kurz vorher mit Peter Behrens die Tabakfabrik - ein moderner Architekt, der eben auch hier gebaut hat."

    Während die Großplanungen nur rudimentär verwirklicht wurden, wuchsen die Linzer Wohnanlagen zu regelrechten Trabantenstädten heran. Der Umbau zur Industriestadt erzeugte aus sich heraus neuen Wohnungsbedarf, die Einwohnerzahl schwoll an. Wie viele unter den Hinzugekommenen freiwillig da waren oder nicht, ist noch zu erforschen. Auf angeworbene Arbeiter aus Italien folgten bald Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern. Dass der verbaute Granit im nahen KZ Mauthausen von geschundenen Häftlingen geschlagen wurde, ist stark anzunehmen - aber auch dies noch ein freies Forschungsthema. So holt die Ausstellung manchen Klärungsbedarf ans Licht, auf den lange Zeit niemand neugierig gewesen war. Und man konnte es ja auch so leicht vergessen: Wäre nicht ihr Name - die Architektur der Hitlerbauten verkörpert weniger das Hitlerische als die allgemeinen Tendenzen im Wohnungsbau der Zeit. Zumal die Genossenschaften unter den Bauträgern durchaus auch pathetische Stilelemente im Repertoire hatten. Und nicht einmal das Nazi-Versprechen, die "Volksgemeinschaft" werde hier egalitär zusammenfinden, wurde eingehalten.

    "Im Gegenteil, es gab eine Ungleichheit in der Gleichheit, die Direktoren der Göringwerke kamen in die herausgehobene Wohngegend auf Froschberg, klassischen Geschosswohnungsbau für die Arbeiter, trist, Blockrandbebauung, dann eben für die Angestellten so ne gartenstadtähnliche Atmosphäre am Spallerhof, das heißt. mitnichten ein Versuch, für alle die Einheitswohnungen zu schaffen."