Dienstag, 16. April 2024

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Wohnpartnerschaft für Studierende
Eine Stunde pro Quadratmeter

Studentenzimmer sind Mangelware, vor allem bezahlbare Räume in Großstädten. Das Projekt "Wohnraum für Hilfe" versucht mit Wohnpartnerschaften zu helfen: Studierende bekommen eine Unterkunft, aber nicht gegen Bezahlung, sondern Hilfe. Die Stundenzahl der Hilfeleistung richtet sich nach der Raumgröße.

Sandra Wiegeler im Gespräch mit Michael Böddeker | 23.09.2015
    Unterkünfte für Studierende sind in Großstädten inzwischen Mangelware
    "Wohnraum für Hilfe" bietet eine Alternative zur klassischen Studenten-WG (imago/Papsch)
    Michael Böddeker: Wohnraum zu finden, kann für Studierende ganz schön schwierig sein – das haben wir heute in der Sendung schon gehört –, manchmal lohnt es sich deshalb, das Problem etwas kreativer anzugehen, und das Projekt "Wohnen für Hilfe" macht das mit Erfolg, und zwar schon seit mehreren Jahren, es vermittelt nämlich Wohnpartnerschaften. Sandra Wiegeler arbeitet bei "Wohnen für Hilfe", schönen guten Tag!
    Sandra Wiegeler: Hallo!
    Böddeker: Frau Wiegeler, wie funktioniert so eine Wohnpartnerschaft?
    Wiegeler: Ja, im Prinzip, die Studenten, die auf der Suche sind und sich das vorstellen können, bei einem Kölner Bürger einzuziehen und den zu unterstützen in alltäglichen Dingen, die kommen zu uns ins Büro. Das heißt, wir gehen dann dort mit denen einen Fragebogen durch. Dieser berücksichtigt im Prinzip die Bedürfnisse und Anforderungen an den Wohnraum, aber auch an den Wohnraumanbieter, und fragt auch ab, wie weit der Wohnraum von der Uni sein soll, welche Hilfen er leisten möchte. Und dann gucken wir auf der anderen Seite, ob wir einen passenden Wohnraumanbieter haben, die wir vorher natürlich besucht haben und auch im Prinzip das Gleiche gemacht haben bei den Wohnraumanbietern. Wenn dann jemand da ist, schlagen wir denjenigen vor, und wenn der Studierende sagt, hört sich gut an, kontaktieren wir den Wohnraumanbieter, der bekommt die Telefonnummer von dem Studierenden, und die lernen sich kennen. So läuft das im Prinzip.
    Böddeker: Und Sie vermitteln das Ganze, und der Studierende bietet im Gegenzug für den Wohnraum Hilfe an, Hilfe im Haushalt. Wie kann das aussehen?
    Wiegeler: Genau. Da gibt es eine grobe Grundregel, die heißt eine Stunde Hilfe pro bezogenen Quadratmeter. Wenn der jetzt ein 16-Quadratmeter-Zimmer bezieht, muss der 16 Stunden Hilfe im Monat leisten. Das kann sein, dass der Hausarbeiten macht, also Haushaltshilfe, wenn er zu einer Familie zieht mit Kindern, kann das Hausaufgabenbetreuung oder Kinderbetreuung sein. Bei älteren Personen wird oft auch Gartenarbeit erwünscht, oder – wir nennen das immer Wetterdienste –, das ist Schnee kehren, Blätter kehren, was natürlich im Alter immer schwieriger wird. Also da sind die Möglichkeiten offen, aber ganz wichtig ist, dass Pflegeleistungen komplett ausgeschlossen sind.
    Böddeker: Mit welcher Motivation kommen denn die Studierenden zu Ihnen, geht es denen vor allem um den günstigen Wohnraum?
    Wiegeler: Nein, das ist ja das Verrückte, eigentlich sagen die als Erstes, ich finde diesen Austausch eigentlich total interessant, ich hab früher viel mit meiner Großmutter gemacht oder ich hab ein Au-pair-Jahr gemacht in einer Familie in London, und wollen das eigentlich weiterleben. Viele kommen natürlich nicht aus Köln und sagen, so habe ich einen schönen Anfang hier in einer fremden Stadt und bin nicht alleine. Das mag verwunderlich sein erst mal, weil viele ja rausgehen und das große Stadtleben suchen, aber ich glaube, durch diese Anonymisierung, die ja immer mehr in diesen Großstädten herrscht, suchen die dann doch wieder einen Halt, die Studenten. Das ist echt ein bisschen ... ja, es ist verrückt, das so zu sehen.
    Auf zwei Studenten kommt ein Wohnraumanbieter
    Böddeker: Wie sind denn Angebot und Nachfrage, also wird bei Ihnen mehr Wohnraum angeboten oder gibt es mehr Studierende, die nach Wohnraum suchen?
    Wiegeler: Also jetzt zum Wintersemester ist ganz klar, haben wir viel, viel mehr Studierende als Wohnraumanbieter, auf zwei Studenten locker kommt ein Wohnraumanbieter, und das ist dann auch wirklich schwer. Also alle Fühler aufhalten, was eine Wohnung angeht. Wenn jemand dann übers Kurzzeitwohnen vielleicht was findet, haben wir mehr Zeit dann, in Ruhe weiterzusuchen. Das ist schon wirklich schwierig.
    Böddeker: Klappt dieses Zusammenleben denn eigentlich immer oder kann es auch mal vorkommen, dass eine der beiden Seite ein bisschen zu viel von der anderen Seite erwartet?
    Wiegeler: Ja, das ist ja wie im normalen Leben auch, also in einer Jungen-WG ist es natürlich auch, da bleibt der Abwasch mal stehen. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse und auch Anforderungen formuliert werden auf beiden Seiten. Es soll ja ein gleichgewichtiges Verhältnis sein, eine Partnerschaft, und es gibt Partnerschaften, da funktioniert es super, die wohnen noch zusammen – also seit 2005, wo ich angefangen habe, da gibt es wirklich noch Wohnpartnerschaften –, aber es gibt auch Wohnpartnerschaften, da stellt sich nach zwei Monaten raus, das funktioniert hinten und vorne nicht, und dann trennen die sich. Und dann, je nachdem, wird nach einem neuen Wohnraumanbieter oder nach einem neuen Studierenden geschaut.
    Vertraglich formulierte Partnerschaft
    Böddeker: Wird das eigentlich vertraglich geregelt, was so die Aufgaben sind?
    Wiegeler: Ja, das wird vertraglich geregelt, das nennt sich bei uns Wohnraumüberlassungsvertrag. Dort wird festgelegt, wie viel Stunden derjenige zu leisten hat und auch wie viel Nebenkosten der Studierende zu zahlen hat.
    Böddeker: Sie arbeiten jetzt bei "Wohnen für Hilfe" in Köln, aber mittlerweile gibt es das Projekt ja auch in anderen Städten, richtig?
    Wiegeler: Ja, genau. Das gibt es in einigen Städten deutschlandweit, da gibt es eine Homepage und da kann man sich auch informieren. Die meisten Städte, die hier aufgelistet sind auf der Seite, die handeln nach dem gleichen Prinzip.
    Böddeker: Sagt Sandra Wiegeler vom Projekt "Wohnen für Hilfe" in Köln, das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.