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Wohnungsmarkt
Im Saarland wird zu viel gebaut

Klagen über Wohnungsmangel in Ballungsgebieten sind bekannt. Es gibt aber auch Regionen, da wird zuviel gebaut oder das Falsche. So zum Beispiel im Saarland: Im Landkreis St. Wendel wird der Bedarf an Einfamilienhäusern um 110 Prozent übererfüllt.

Von Tonia Koch | 26.07.2017
    Noch überwiegend leerstehende Häuser im Neubaugebiet. Es wird gemauert, was das Zeug hält. Die Zinsen sind noch niedrig.
    Noch überwiegend leerstehende Häuser im Neubaugebiet. Es wird gemauert, was das Zeug hält. Die Zinsen sind noch niedrig. (imago stock&people)
    Frank Graf löst die Spanngurte seines LKW. Er hat mehrere fertig gegossene Betondecken geladen für den Rohbau am Ende einer verwinkelten Straße. Und er schimpft, als er den Bürgermeister von Namborn erkennt.
    "Das war eine Fehlplanung das Neubaugebiet hier, wie kann man so etwas so verwinkelt machen, wenn alles bebaut ist, und dann muss die Feuerwehr kommen und da durchzirkeln, wo jede Minute zählt. Der, der das geplant hat, müsste jeden Tag mit dem LKW hier durchfahren."
    Der amtierende Bürgermeister Theo Staub war es nicht. Das Baugebiet ist vor langen Jahren bereits geplant worden. Es hat nur gedauert, bis die Grundstücke endlich weg waren.
    "Wir haben hier neun Grundstücke erschlossen, acht sind schon weg und hier - wo wir gerade stehen - war gestern jemand da, der will es kaufen."
    Geringe Grundstückspreise, wenig Sorgen
    Siebzig Euro müsse für den Quadratmeter in der örtlichen Premiumlage gezahlt werden. Woanders verlange die Gemeinde lediglich zwischen 31 und 50 Euro für ein voll erschlossenes Grundstück. Sorgen darüber, dass hier einmal die Leerstände der Zukunft errichtet werden, habe er keine, die Bevölkerungsbilanz der 7.000 Seelen-Gemeinde stimme.
    "In unserer Kommune sieht es so aus, dass wir im Jahr 80 Sterbefälle haben und 40 Geburten, also unsere Bevölkerung ist rückläufig. Allerdings, wir haben mehr Zuzüge als Wegzüge. Wir haben 450 Zuzüge im Jahr und 430 Wegzüge."
    Das seien die Bauwilligen, sagt Staub, denn Arbeitsplätze im privaten Sektor hat Namborn keine zu bieten. Die Gemeinde selbst ist der größte Arbeitgeber vor Ort. Sein Konzept des billigen Baulandes ginge auf, sagt der Bürgermeister. Den Wettbewerb der Nachbargemeinden um Bauherren, Mieter und Einwohner und damit auch um Finanzhilfen des Landes, sogenannte Schlüsselzuweisungen, entscheide Namborn augenblicklich für sich.
    "Wenn Sie es so sehen, dann sage ich nicht nein."
    IW warnt vor ruinösem Wettbewerb
    Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln warnt hingegen vor diesem ruinösen Wettbewerb. Im Kreis St. Wendel seien zwischen 2011 und 2015 lediglich 27 neue Einfamilienhäuser benötigt worden, gebaut worden seien aber 223. Der Effekt dieses Überangebotes zeigt sich deutlich in den Kernbereichen der Gemeinden.
    Bürgermeister Staub fährt durch die insgesamt 10 Ortsteile seiner Gemeinde, vorbei an zahlreichen leer stehenden, zum Teil verfallen Häusern und zeigt auf ein gravierendes Problem der Landgemeinden, auf Baulücken.
    "Hier ist eine Lücke, da ist eine Lücke…."
    Davon hat er viele, 111, aber da sei nichts zu machen, sagt er, sie ließen sich nicht schließen.
    "Wir haben überall angefragt: Verkaufen sie, nein, nein, ist für meine Kinder, meine Enkelkinder, die geben einfach nicht her. Ich selbst bin betroffen, ich hab fünf Kinder und für Enkelkinder und hebe Bauplätze auf für meine Kinder."
    Fehlende gesetzliche Handhabe
    Die Landesplanung sieht zwar vor, dass erst die Baulücken innerorts geschlossen werden sollen, bevor die Dörfer an den Rändern weiter ausfransen dürfen. Aber es funktioniert nicht, denn es fehle auch eine rechtliche Handhabe, sagt der St. Wendler Landrat Udo Recktenwald.
    "Ich glaube schon dass der Gesetzgeber stärker tätig werden muss, es ist natürlich ein Stück weit auch Enteignung, wenn ich jemanden zwinge, seinen Privatbesitz entweder zu bebauen oder bebauen zu lassen oder freizugeben, aber es muss mehr Druck ausgeübt werden, weil die Erfahrung zeigt, dass viel Bauland liegen bleibt, weil der Privatbesitzer nicht bereit ist, es zur Verfügung stellen. Hier müssen wir - ohne dass wir deswegen die Menschen enteignen - trotzdem einen Weg finden, stärker eine gesetzlich Handhabe zu ermöglichen, damit die Baulücken geschlossen werden können."
    Auch Zuschüsse könnten helfen, glaubt Recktenwald. So lange jedoch die Dorfbewohner für jedes Stückchen Brot, das sie kaufen möchten, das Auto bewegen müssen, um zum Supermarkt auf der grünen Wiese zu kommen, werden die Ortskerne wohl weiter veröden.

    * [Anmerkung der Redaktion: In Teilen unseres Audio-Angebots ist die Ursprungsfassung mit der verwechselten Moderation gespeichert.]