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Wohnungspolitik in Paris
Dumpingmiete gegen Nachbarschaftshilfe

Mit einem neuen Wohnungsprogramm für Studierende versucht die Pariser Stadtverwaltung, die soziale Durchmischung in Problemvierteln zu verbessern. Angehende Akademiker wie die Deutsche Franziska Stärk bekommen eine günstige Bleibe und arbeiten im Gegenzug ehrenamtlich in Sozialprojekten mit.

Von Suzanne Krause | 16.02.2018
    Die deutsche Studentin Franziska Stärk wohnt in der Cité Bonnier in Paris und engagiert sich dort beim Verein Emmaüs Coup de Main
    Die deutsche Studentin Franziska Stärk wohnt in der Cité Bonnier in Paris und engagiert sich dort beim Verein Emmaüs Coup de Main (Deutschlandradio/ Suzanne Krause)
    Seit vergangenem September lebt Franziska Stärk in der Cité Bonnier, tief im Nordosten von Paris. Die Mietskasernensiedlung wurde vor hundert Jahren für mitteleuropäische Zuwanderer erbaut. Und verkam peu à peu zum Ghetto. Nun läuft ein ehrgeiziges Sanierungsprogramm.
    Davon profitiert auch Franziska Stärk. Die 23-Jährige stammt aus Leipzig und studiert im Mastergang Internationale Sicherheit. Über die Pariser Elite-Politikhochschule Sciences Po hat sie auch ihre Unterkunft gefunden: 21 Quadratmeter, hell, luftig, zwei Zimmerchen, Bad und Küche schlauchartig, frisch renoviert. Zum Spottpreis von 240 Euro, das staatliche Wohngeld mit einberechnet. Doch die Entscheidung, in die Cité Bonnier zu ziehen, brauchte Mut, verrät Franziska Stärk:
    "Wenn man das Ganze mal googelt, dann sieht man in allererster Linie halt Berichte über Drogen und Kriminalität. Und wenn man es bei Youtube eingibt, kommt als allererstes so ein Gangstarap-Video, was direkt vor der Haustür hier gemacht wurde. Also erst mal hatte ich doch irgendwie den Respekt davor, aber es ist gut jetzt."
    Die Studenten machen sich im Viertel nützlich
    Denn in der Cité herrscht ein solidarischer Geist - wer hier wohnt, gehört sozusagen zum Clan. Das gilt auch für die junge Deutsche und die zwei Dutzend Kommilitonen, die rundum eingezogen sind. Sie unterstützen sich gegenseitig. Und sie machen sich im Viertel nützlich. Denn so funktioniert das neue städtische Programm: Dumpingmiete gegen Nachbarschaftshilfe. Konkret: Franziska Stärk und die anderen arbeiten pro Woche vier Stunden ehrenamtlich bei Sozialprojekten mit. Zum Beispiel in einem Verein, der Kindern im Viertel Nachhilfe gibt. Das traut sich Franziska Stärk sprachlich noch nicht zu. Vom Konzept allerdings ist sie überzeugt:
    "Ich denke, das macht einen Unterschied, ob eben dann so ein Kind über zwei Jahre, drei Jahre, wie auch immer schulisch unterstützt wird oder auch nicht. Weil das vielleicht von zu Hause aus nicht kommt. Insgesamt ist natürlich die Frage, jetzt setzt man den Leuten hier 25 Studenten rein, das löst nicht die Probleme der Leute, die es hier gibt. Also da gibt es schon, denke ich, auf jeden Fall noch politischen Handlungsbedarf und da muss weiter dran gearbeitet werden."
    Für Ian Brossat, im Pariser Rathaus zuständig für die Wohnungspolitik, lassen sich mit dem Programm mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen:
    "Wir wollen mehr Studierende in Sozialwohnungen unterbringen. Speziell in Vierteln, wo es an sozialer Mischung fehlt. Da werden nun angehende Akademiker eine andere Stimmung reinbringen. Und zudem wollen wir den Kindern im Viertel mit dem Nachhilfeangebot den Schulbesuch erleichtern."
    Ausweitung auf zehn weitere Sozialbaublocks
    Nach einer erfolgreichen Testphase von sechs Monaten weitet die Stadtverwaltung das Programm aus: auf zehn andere Pariser Sozialbaublocks, für weitere 70 Studierende.
    Franziska Stärk leistet ihren Hilfsdienst beim Sozialverein Emmaüs Coup de Main. Der betreibt unter anderem einen Laden mit Secondhand-Ware, Kleidung, Geschirr und Möbeln. Bislang hat die deutsche Studentin dort regelmäßig Bücherspenden sortiert, sagt Vereinsmitarbeiter Anand Ofray:
    "Wir haben nicht genügend Ehrenamtliche, um das Anwachsen von Bücherbergen zu verhindern. Franziska bringt sich voll und ganz ein und hilft uns sehr."
    Der Sozialverein plant, die Bewohner der Cité Bonnier bei einer Sammelaktion von Überflüssigem zu befreien - um wilden Müllkippen vorzubeugen. Dafür soll Franziska Stärk bei den Nachbarn werben. Als Botschafterin für lokale Solidarität.