Donnerstag, 18. April 2024

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Wolf Jobst Siedler
"Er war ein großer Bürger Deutschlands"

Wolf Jobst Siedler verlegte Politiker-Memoiren, Berlin-Büchern und Geschichtsessays. Er habe die Welt nach Berlin geholt, sagt die Verlegerin Elisabeth Ruge, und eigentlich habe ihn nicht interessiert, einer Richtung, einer Line oder einer Partei anzugehören.

Elisabeth Ruge im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 28.11.2013
    Wolf Jobst Siedler, deutscher Verleger, aufgenommen im Oktober 1996 auf der Frankfurter Buchmesse.
    Burkhard Müller-Ullrich: Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Franz Josef Strauß, Hans Dietrich Genscher – sie alle waren seine Autoren, eine bunte Mischung führender Politiker von links über mitte bis rechts. – Elisabeth Ruge, Sie sind selbst Verlegerin in Berlin, Sie kannten Wolf Jobst Siedler gut. Was war er denn nun: links oder rechts?
    Elisabeth Ruge: Das kann man so ganz genau nicht sagen. Er war ein großer Bürger, ein großer Bürger Deutschlands, ein großer Bürger vor allem Berlins. Er hat sich ja kaum aus dieser Stadt herausbewegt, hat auch sein Leben verbracht in einem Haus, das er schon in seiner Kindheit bezogen hatte.
    Ich glaube, er war ein Mensch, der dennoch eine große Weltläufigkeit hatte, der die Welt nach Berlin geholt hat sozusagen in seiner Person, durch seine Gesprächskultur, durch seine Neugierde, durch sein literarisches, sein journalistisches, sein feuilletonistisches Können, und es interessierte ihn eigentlich nicht, einer Richtung oder einer Linie oder einer Partei anzugehören. Und wenn man die Autoren eventuell doch noch um den einen oder anderen Namen ergänzt, genommen zu denen, die Sie genannt haben, dann muss man auf jeden Fall Albert Speer erwähnen und man muss aber auch zum Beispiel Marion Dönhoff erwähnen.
    Sie sprechen vielleicht jetzt im Moment mit mir in meiner Funktion als Verlegerin, die ja auch an der Weiterentwicklung des Siedler-Verlages gearbeitet hat, nachdem er aktiv ausgeschieden war, aber ich bin auch Mitglied des Vorstands der Stiftung 20. Juli 1944, und auch da, muss man sagen, kommen ihm große Verdienste zu, denn er war einer der ersten, der mit Joachim Fest, mit Marion Dönhoff und anderen große, wichtige Bücher, Essays, Monografien zur Geschichte des deutschen Widerstands veröffentlicht hat und gleichzeitig erkannt hat, wie wichtig die Rezeption einer Gestalt wie Albert Speer für uns in Deutschland ist. Er hat natürlich auch mit verlegerischem Instinkt erkannt, dass das ein sehr erfolgversprechendes Unternehmen wäre, und das war ja auch ein riesiger Bestseller, die Erinnerungen von Albert Speer.
    Interesse und Abstand: Sein Verhältnis zu Albert Speer
    Müller-Ullrich: Was war denn sein Verhältnis zu Albert Speer? Da kam ja einiges hinterher noch heraus, nachdem das Buch erschienen war.
    Ruge: Ja, aber dennoch würde ich sagen, distinguiert wie er war, hat er durchaus bei aller Nähe zu Speer, bei allem Interesse, auch persönlichem Interesse auch einen Abstand gehalten und sich nie vereinnahmen lassen. Es gab natürlich alle möglichen Rechtfertigungsmechanismen und da hat er mit großer Souveränität im Grunde genommen drauf reagiert und eine sehr oszillierende Haltung zu Speer eingenommen, das sicherlich, aber dennoch ihn auf eine Weise verlegt, die ich vertretbar finde.
    Müller-Ullrich: Sie haben vorhin schon gesagt, dass er sehr stilbewusst war. Es gibt ja eine berühmte Krawattenwette mit Joachim Fest.
    Ruge: Auf dem Kuhdamm, meinen Sie?
    Müller-Ullrich: Genau.
    Ruge: Die Situation, als er gesagt hat, ich zahl Dir eine Mark, glaube ich, für jede Krawatte, die uns entgegenkommt, und dann musste er aber gar nichts zahlen, weil es kam ja gar keiner.
    Müller-Ullrich: Und dann spiegelte sich ja etwas über Berlin, woran er litt. War das eine Sehnsucht nach einer verlorenen Bürgerlichkeit?
    "Retro war er nie"
    Ruge: Aber natürlich! Das war es auf jeden Fall. Das war es auf jeden Fall! Er ist natürlich immer in Krawatte aufgetreten, was mir sehr sympathisch war. Die Art, wie er es tat, war allerdings eine sehr lässige, auch wieder sehr weltläufige. Es war eben nicht, um jetzt mal ein bisschen voreingenommen zu sein, deutsche Akkuratesse. Die Krawatte, der Knoten war vielleicht auch mal ein bisschen zur Seite gerutscht. Aber darin spiegelte sich dann auch seine Eleganz wider.
    Müller-Ullrich: Seine Begeisterung und auch sein Engagement für den Wiederaufbau des Stadtschlosses, war das auch eine Stilfrage und ein bisschen Retro?
    Ruge: Ach, ich glaube, Retro war er nie. Ich glaube, wenn er sich für dieses Schloss begeistert hat, für den Wiederaufbau, dann war da auch ein kompensatorisches Moment, denn er hat ja als einer der ersten zurecht angeprangert die Zerstörungswut, mit der Altbauten in Berlin abgerissen wurden, Fassaden abgeschlagen wurden von den Häusern, Bäume gefällt wurden, und man dachte, das muss jetzt alles neu werden und alles Alte muss weg. Das hat ihn sehr geschmerzt, da hat er sehr früh, bevor andere angefangen haben zu begreifen, wie die Städte zerstört werden, ein sehr elegantes, aber doch translatistisches Buch zu veröffentlicht, und ich glaube, ihm ging es um verschiedenes. Es ging ihm nicht nur um das Gebäude an sich, sondern es ging ihm auch um etwas Städtebauliches, um eine Struktur, die erkennbar werden würde, wenn das Schloss wieder dort stünde, wo es steht. Darüber kann man streiten, aber es war sicherlich eine wesentlich differenzierte, intelligentere, interessantere Position als Retro.
    "Er war ein großartiger Verleger"
    Müller-Ullrich: Noch ein abschließendes Wort zum Verlegerischen. Er hat ja viele Promis verlegt. Er hat eine Liste von sehr sicheren Sachen gemacht, aber er hat auch viel Risiko gespielt. Zum Beispiel ein Mordsessay von Karl Schlögel über Sankt Petersburg zu verlegen, als man Karl Schlögel noch nicht kannte, das war mutig.
    Ruge: Das war auch mutig. Er war ein großartiger Verleger. Die Kunst des Verlegens ist ja, wie so oft gesagt wird, aber deswegen nicht weniger wahr wird, mit der Zeit die Mischkalkulation. Man muss die großen Namen haben, wobei er die nicht auf platte Weise veröffentlicht hat. Er hatte immer sehr gute Lektoren. Er selber war ein großartiger Gesprächspartner für seine Autoren. Er hat dafür gesorgt, dass seine Autoren auch das beste aus ihren Texten machen. Und gleichzeitig hat er dann nach Talenten gesucht und die gefördert. Aber um das machen zu können, muss man halt auch ein paar große Namen haben. Das ist ganz richtig so.
    Müller-Ullrich: Frau Ruge, vielen Dank für dieses Zeugnis über Wolf Jobst Siedler, der 87-jährig in Berlin gestorben ist. – Das war die Berliner Verlegerin Elisabeth Ruge.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.