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Debatte über Wölfe
Von blauäugig bis hysterisch

In Mecklenburg-Vorpommern sind wilde Wölfe seit 2006 heimisch geworden. Seitdem stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber: die absoluten Wolfsschützer und jene, die Angst und Schrecken kräftig übertreiben. Im Landtag laufen jetzt Bemühungen, die politische Debatte zu versachlichen.

Von Silke Hasselmann | 02.07.2015
    Zwei Wölfe im Wildpark Eekholt in Schleswig-Holstein
    Im Nordosten Deutschlands gibt es immer mehr Wölfe ( picture alliance / dpa)
    Michael Sack lebt im Peenetal, das sich die Natur seit rund 20 Jahren zurückholen darf. Zurück gekommen ist unter anderem der Biber, und das mittlerweile in so großer Zahl, dass er ein Problem darstellt. Doch wenn eine Art erst einmal auf der Roten Liste der bedrohten Tiere steht, komme es nie wieder runter, so Michael Sack, Bürgermeister der Stadt Loitz. Und:
    "Ich sehe das Problem bei den Wölfen ganz krass auf uns zukommen. Also das Ding ist nicht gut, was da läuft. Überhaupt nicht gut."
    Zwar ist nicht bekannt, dass sich auch schon im Peenetal Wolfsrudel angesiedelt haben. Wohl aber sind Einzelgänger beobachtet worden - beziehungsweise ihre Spuren. Auch Michael Sack hält nichts von der Hysterie gegenüber dem zurückgekehrten Raubtier, aber er ist noch immer beeindruckt von einem Video, das Bekannte von ihm auf einer gut befahrenen Straße in einem niedersächsischen Wald gedreht haben. Zu hören ist pures Staunen: "Guck dir das an, das gibt´s doch nicht!" Zu sehen ist ein junger Wolf mit einem Reh im Maul und völlig unbeeindruckt vom Straßenverkehr und den haltenden Fahrern. Dabei heiße es doch immer, der Wolf sei menschenscheu. Davon habe er schon häufiger gehört, sagt Bürgermeister Sack, der auch weiß, dass sich Gesamtpopulation des absolut geschützten Wolfes in Mittel- und Norddeutschland viel schneller als erwartet vergrößert.
    "Wir dürfen uns nicht so blauäugig verhalten, wie wir das jetzt tun. Ich hab nix gegen den Wolf. Soll er doch hier leben. Aber muss maßvoll begleitet werden und wir müssen so´ne Situation ausschalten. Also der ist für eigentlich nicht mehr haltbar, wenn der keine Scheu hat, ein Reh durch die Autos zu transportieren."
    Der Agrar- und Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), kann sogar von einer direkten Begegnung berichten - geschehen 2008 auf der nächtlichen Heimreise.
    "Hundertprozentig: Einer der ersten Wölfe, die wir hier hatten, streifte durch die Flut. Ich sah ihn im Scheinwerferlicht und ich sagte noch zu meinem Fahrer: 'Guck mal, das ist doch ein Wolf!'"
    Den meisten Bewohnern oder Besuchern von Mecklenburg-Vorpommern wird eine solche Begegnung vorerst nicht vergönnt sein, ist sich Backhaus sicher. Denn noch weiß man nur von zwei wildlebenden Wolfsrudeln in der Lübtheener Heide in Westmecklenburg und in ostvorpommerschen Ueckermünder Heide. Allein voriges Jahr kamen vier beziehungsweise fünf Welpen dazu. Wie sehr die Familien dieses Jahr gewachsen sind, weiß man noch nicht. Dennoch beantragten die Landtagsfraktionen der Großen Koalition Maßnahmen für die Versachlichung der Wolfsdebatte. Die agrarpolitische Sprecherin der CDU, Beate Schlupp, erklärt es so:
    "Die einen, die die Rückkehr des Wolfes uneingeschränkt befürworten, erwecken den Eindruck, es könne gar keine Probleme geben und es lässt sich alles managen. Auf der anderen Seite werden natürlich von denen, die mit der Rückkehr des Wolfes Probleme haben, Dinge überspitzt."
    Auch in ihrem Wahlkreis sind Spuren von Wolfsbissen entdeckt worden, sagt Beate Schlupp. Eltern sorgten sich um ihre Kleinkinder, Jogger und Hundehalter um freies Laufen im Wald. Sie befeuere die Ängste nicht, wolle aber auch nicht einfach so Entwarnung geben. Vor allem aber habe sie Verständnis für die Halter von Schafen, Ziegen und Hunden. Mehr Sachlichkeit bedeute also für sie:
    "Dass - da die Rückkehr des Wolfes gesamtgesellschaftlich gewünscht ist - auch die Lasten und Einschränkungen gesamtgesellschaftlich getragen werden und dass diejenigen, die unter der Rückkehr des Wolfes durch Ertragsausfälle oder Verluste leiden, unbürokratisch entschädigt werden."
    Dabei gibt es in MV seit 2010 schon ein staatliches Wolfsmanagement samt "FöRi Wolf". Das ist jene Förderrichtlinie, die die 75-prozentige Investitionsförderung bei Wolfschutzmaßnahmen vorsieht und die vollständige Entschädigung bei vom Wolf gerissenen Nutztieren. Wobei, so Agrarminister Backhaus: Entschädigt wird nur, wer sich geschützt hat. Denn wenn ein Wolf erst einmal in eine Herde einbrechen konnte, werde er wiederkommen.
    "Das sind die Schutzzäune, das sind die Herdschutzhunde. Es gibt Hinweise, dass man mit Eseln etwas machen kann und dass die Wölfe Lappen an den Zäunen nicht mögen. Über 100.000 Euro sind mittlerweile dafür zur Verfügung gestellt worden. Und die 154 Tiere, die wir verloren haben, haben einen Wert von immerhin 35.000 Euro ausgemacht, die auch entschädigt worden sind."
    Doch Beate Schlupp weist darauf hin, dass zwar die Anschaffung von Herdenschutzhunden unterstützt wird, nicht aber deren Unterhaltungs- und Tierarztkosten. Auch das arbeitsaufwendige Ein- und Umzäunen werde von kaum jemandem gewürdigt.
    Und: Wie sehr es den einen oder anderen Jagdberechtigten reizen mag, den Wolf zu erlegen, falls er ihm vor die Flinte kommt. Frei nach dem Motto der drei "S": "Schießen. Schaufeln. Schweigen."