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Wolff: Italien hat noch Platz

Laut Hartfrid Wolff sieht das Schengenabkommen das von Rom angekündigte Durchreisevisum für Lampedusa-Flüchtlinge gar nicht vor. Dass der deutsche Innenminister als Reaktion darauf drohe, die Grenzen zu Italien zu überwachen, hält Wolff allerdings für "sehr, sehr problematisch".

Hartfrid Wolff im Gespräch mit Martin Zagatta | 11.04.2011
    Martin Zagatta: Die Bundesregierung protestiert heftig gegen das Vorhaben der italienischen Regierung, nordafrikanischen Flüchtlingen, die in Lampedusa landen, die Weiterreise in andere EU-Staaten zu erlauben. Der Streit wird zur Stunde bei einem Treffen der Innen- und Justizminister ausgetragen. Sie haben es gehört: Der deutsche Innenminister Friedrich droht damit, wieder Grenzkontrollen einzuführen, auch Flüge aus Italien zu kontrollieren, weil man kein Verständnis für das italienische Vorgehen habe. So auch Hans-Peter Uhl, der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag.

    O-Ton Hans-Peter Uhl: Das ist Theatralik von Berlusconi, die er da entfacht. Man muss einen nüchternen Blick auf die Zahlen der Migration richten. Danach sind 6500 Asylbewerber in Italien vermeldet worden im letzten Jahr, in Deutschland waren es dagegen 41.000, und auch wenn 20.000 Flüchtlinge dazukommen, ist das keine nennenswerte Größe, die Italien als Flächenstaat in Probleme bringt.

    Zagatta: Der Unionspolitiker Hans-Peter Uhl heute in unserem Sender, und mitgehört hat Hartfrid Wolff, der für die FDP im Innenausschuss des Bundestages sitzt. Guten Tag, Herr Wolff.

    Hartfrid Wolff: Ich grüße Sie.

    Zagatta: Herr Wolff, ist die Bundesregierung da im Recht, sich mit Italien anzulegen, sich querzustellen gegen das Vorgehen der Italiener?

    Wolff: Also aus meiner Sicht können Flüchtlingsraten und Flüchtlinge nicht zum Spielball innenpolitischer Interessen werden. Das gilt für Deutschland, vor allem auch in Bayern, aber es gilt auch für Italien. Insofern sollte man schon darauf achten, dass Italien sich nicht in Europa isoliert, sondern wir haben in Europa einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und keine kaltherzige egoistische Veranstaltung. Das gilt für Berlusconi, das gilt aber auch für Bayern.

    Zagatta: Das ist ja nicht nur Bayern, sondern Friedrich ist ja mittlerweile deutscher Innenminister, spricht also im Moment für die deutsche Regierung in Luxemburg.

    Wolff: Das ist richtig. Aus meiner Sicht ist es auch richtig, dass er in Luxemburg für die deutsche Regierung spricht, denn wir brauchen eine europäische Lösung, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen. Wie gesagt, aus meiner Sicht sollten wir zusehen, dass wir eine europäische Lösung für die Flüchtlingsthematik im Mittelmeer bekommen.

    Zagatta: Stimmen Sie denn mit dem überein, was Herr Friedrich da jetzt in Luxemburg fordert und dass er damit droht, wieder Grenzkontrollen einzuführen, notfalls auch Flüge aus Italien zu kontrollieren, wenn die Italiener bei ihrer Haltung bleiben?

    Wolff: Aus meiner Sicht sollten wir sicherstellen, dass die EU ein Raum der Freiheit auch bleibt. Das heißt, eine Schließung von Innengrenzen, oder auch eine Schließung außerhalb des Schengenbereichs halte ich für sehr, sehr problematisch. Ich habe auch den Eindruck, dass insbesondere der Innenminister in Bayern noch nicht ganz überblickt hat, dass er dafür nicht zuständig ist. Ich habe aber auch den Eindruck, dass in der aktuellen heißen Diskussion die Auswirkungen, die mit einer Schließung von Binnengrenzen innerhalb Europas verbunden wären, noch nicht ganz überblickt werden.

    Zagatta: Aber Schengen sieht so etwas ja eigentlich gar nicht vor, dass die Italiener da jetzt bestimmen können, sie lassen Flüchtlinge, die dort noch gar keinen Asylantrag gestellt haben, einfach weiterreisen. Da gibt es ja ganz eindeutige Rechtsvereinbarungen, gegen die Italien jetzt verstößt. Also ist da Italien nicht der Verursacher dieser Probleme?

    Wolff: Natürlich ist Italien Verursacher der Probleme. Ein Durchreisevisum ist nicht vorgesehen, und das, was Berlusconi dort auch aus innenpolitischen Gründen macht, das sind Solotänze, das ist ein Durchreisevisum, das nicht abgestimmt ist. Für Europa ist das, was in Italien gerade passiert, ein Affront, und insofern ist natürlich auch Berlusconi jemand, der hier ganz bewusst provoziert. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir gerade sehr nüchtern und sehr ruhig, gerade wenn es um humanitäre Fragen geht, gerade wenn es darum geht, Flüchtlinge aufzunehmen, zu reagieren haben, ruhig, nüchtern und zuzusehen haben, dass wir hier an der Stelle weiterkommen.

    Zagatta: Ruhig und nüchtern. Aber mit welchen Maßnahmen?

    Wolff: Wir sollten zusehen, dass wir ein europäisches System hinbekommen. Da müssen wir auch das Flüchtlingssystem neu justieren. Ich habe da große Hoffnungen auch an die Innenkommissarin Malmström, dass wir hier bald ein vernünftiges Asylsystem und Flüchtlingssystem hinbekommen. Wir haben ja durchaus beispielsweise seitens des Bundesverfassungsgerichts, aber auch seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Hinweise bekommen, dass wir nachjustieren müssen, was das Flüchtlings- und Asylrecht angeht. Sicher und wichtig ist an der Stelle, dass wir humanitären Standards gerecht werden. Noch mal: Europa ist keine kaltherzige oder egoistische Veranstaltung, und das gilt insbesondere für Herrn Berlusconi genauso.

    Zagatta: Was heißt das jetzt im ganz konkreten Fall, weil langwierige Verhandlungen kann man ja in dieser Situation, wo so viele Flüchtlinge im Moment kommen, kaum abwarten. Wenn die Italiener diese Visa zur Weiterreise erteilen, was sollen die deutschen Grenzbehörden machen, beziehungsweise wie soll die Bundesregierung reagieren?

    Wolff: Zunächst einmal müssen wir Druck auf Italien ausüben, dass hier diese Durchreisevisa nicht stattfinden. Italien darf kein Einzel-Solotänzer hier sein.

    Zagatta: Das macht ja der Innenminister, damit droht er ja.

    Wolff: Das ist auch gut so, aus meiner Sicht muss Italien wieder eingebunden werden. Und wir müssen auch meiner Sicht auch zusehen, dass wir hier sicherlich sehen, dass Italien nicht überfordert ist, wenn es darum geht, die akuten Fragen zu lösen. Es ist durchaus so, dass Italien noch Platz hätte, es ist ein modernes Industrieland, wo wir durchaus Flüchtlinge noch lassen können. Andererseits sollen wir diese Zeit auch nutzen, um schnellstmöglich auf europäischer Ebene, aber nüchtern und nicht nur mit schreierischen Haltungen wie in Italien hier voranzukommen, dass wir ein vernünftiges System in Europa hinbekommen, und auch da hat natürlich Innenminister Friedrich durchaus schon gezeigt, dass man hier auch durchaus humanitäre Standards sehen kann, siehe auch die Aufnahme von Flüchtlingen auf Malta beziehungsweise auch auf Zypern.

    Zagatta: Sollte man, wenn Italien jetzt so vorgeht, aus Ihrer Sicht, wenn Sie die Freiheit dort betonen, zumindest vorübergehend diese Flüchtlinge einreisen lassen?

    Wolff: Man sollte zusehen, dass Italien seiner Verantwortung gerecht wird.

    Zagatta: Wenn das nicht gelingt?

    Wolff: Ich gehe davon aus, dass wir dann eine europäische Lösung finden. Ich halte es aber nicht für richtig, hier jetzt an der Stelle schon zu präjudizieren. Wir sollten den Diskussionsprozess an der Stelle abwarten.

    Zagatta: Die Flüchtlinge, um die es da jetzt geht, das sind ja nicht die Menschen, die aus Libyen vor einem Bürgerkrieg fliehen, sondern da geht es um Tunesier. Aus Sicht der meisten sind das Wirtschaftsflüchtlinge, die eigentlich gar keinen Anspruch auf Asyl haben. Stellt sich die Debatte dann überhaupt?

    Wolff: Wir haben eine große Verantwortung am Mittelmeer, das ist unsere unmittelbare Nachbarschaft. Deswegen sollten wir auf der einen Seite mit den Tunesiern sehr, sehr, sagen wir mal aus meiner Sicht, humanitär sinnvoll und auch sehr, sehr persönlich umgehen und nicht irgendwie bürokratisch damit umgehen. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass wir in Europa nicht jeden aufnehmen können, sondern Wirtschaftsflüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge sind, die jedenfalls nicht dem Flüchtlingsrecht oder dem Asyl entsprechend einen Anspruch haben, gegebenenfalls auch hier ein Asylverfahren zu bekommen. Deswegen muss auch klar getrennt werden, was sind Wirtschaftsflüchtlinge und was sind Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen ihr Land verlassen müssen, und letztere sind diejenigen, die wir auch in Europa aufnehmen können.

    Zagatta: Muss man diese Tunesier dann, um die es jetzt ja in diesem Streit geht, nicht von vornherein zurückweisen?

    Wolff: Aus meiner Sicht sollten wir zusehen, dass wir mit der tunesischen Regierung oder der Nachfolgeregierung und aber auch mit allen anderen Ländern, die an Europa angrenzen, zusehen, dass wir hier eine vernünftige Vereinbarung finden. Grundsätzlich hat auch Deutschland ein großes Interesse daran, dass sich Tunesien stabilisiert, und das heißt auch gleichzeitig, dass ein Wirtschaftsflüchtlingsstrom aus Tunesien auch nicht im Interesse Deutschlands sein kann und Europas sein kann. Wir müssen hier an der Stelle wie gesagt humanitäre Standards gelten lassen, wir müssen vernünftige Verfahren finden, wir dürfen auch nicht unsere Nachbarn abschrecken, auch die Menschen aus den Nachbarländern abschrecken, sondern wir müssen nüchtern und auch an der Stelle offen mit ihnen ins Gespräch kommen.

    Zagatta: Aber wenn es um Wirtschaftsflüchtlinge geht und man spricht dann in der Diskussion von humanitären Standards und dass man da jetzt neue Verfahren entwickeln müsse, lockt das nicht noch weitere Flüchtlinge an beziehungsweise spielt das dann nicht in die Hände von Schlepperorganisationen?

    Wolff: Schlepperorganisationen müssen mit aller Härte bekämpft werden, und deswegen ist auch die Zusammenarbeit gerade mit den nordafrikanischen Staaten von großer Bedeutung. Schlepperorganisationen gaukeln den Menschen eine falsche Zukunft vor, und insofern brauchen wir hier auch die komplette Härte der europäischen Innenpolitik.

    Zagatta: Dann könnte man ja in dem Fall jetzt sagen, nein, tunesische Flüchtlinge lassen wir auf keinen Fall ins Land.

    Wolff: Woher wissen Sie denn, wer ein tunesischer Flüchtling ist und wer nicht? Sie müssen individuell berücksichtigen, dass wir ein Asylrecht und auch ein Flüchtlingsrecht haben. Deswegen müssen wir mit den Menschen, die nach Europa wollen, verantwortungsvoll und offen umgehen. Diejenigen, die einen Flüchtlingsgrund haben, diejenigen, die ein Anrecht haben auf Asyl, die sollen auch dieses Asylverfahren bekommen, und alle anderen müssen auch wieder zurück.

    Zagatta: Der FDP-Politiker Hartfrid Wolff heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Wolff, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Wolff: Ich danke Ihnen auch.