Freitag, 19. April 2024

Archiv


Wolfgang Stock: Angela Merkel - eine politische Biografie.

Zur Zeit machen Bücher Politik in Berlin - im Visier die CDU und ihre drei letzten Vorsitzenden Kohl, Schäuble und Merkel. Die Jungvorsitzende als erste Frau an der Spitze der CDU spielt eine schwierige Vermittlerrolle. Ihrer Person gerecht zu werden versucht der Berliner Journalist Wolfgang Stock mit einer Biografie. Peter Quay hat sie bereits gelesen:

Peter Quay | 09.10.2000
    Frei nach Bill Ramsay besangen Unions-Delegierte im Frühjahr 2000 die spätere CDU-Vorsitzende Angela Merkel als "Zuckerpuppe aus der Schwarzgeldtruppe" oder als "Ossi-Biene mit der Pokermiene". Das ist auch das einzige Lustige in der ersten umfassenden Lebensbeschreibung, die der Focus-Redakteur Wolfgang Stock als besonderer Kenner der Union und vor allem von Frau Merkel geschrieben hat. Ein Fazit: Frau Merkel hatte allerdings wegen der vergangenen Monate wenig zu lachen. Sie entpuppt sich in der gelungenen Beschreibung als ernsthafte und ernst zu nehmende politische Größe in der allerersten Reihe, zäh, konsequent, aber flexibel, hoch intelligent, was sie als Brandenburgerin gut hinter dem alten preußischen Motto "Mehr sein als scheinen" versteckt. Sie ist, wie Stock durchgängig beleuchtet, alles andere als die graue Maus, das Mädchen, wie sie der Bewunderer Helmut Kohl oft tituliert hat. Dieser Helmut Kohl wird zur Schlüsselfigur oder gar Schicksalsfigur für den Aufstieg Angela Merkels, 1990, aber besonders 1999 mit der Spendenaffäre. Dazu schreibt Stock:

    "Im November 1999 ist der Naturwissenschaftlerin zu Beginn der Spendenaffäre schneller als allen anderen klar, dass die CDU aus eigener Kraft aufklären und sich aus dem Schatten ihres Übervaters Kohl lösen muss. Aber auch, dass es hinterher mit Kohl wieder eine Versöhnung auf einer abgeklärten Ebene geben müsse, spätestens zum Jahrestag der Einheit. Denn was ist die CDU ohne das politische Erbe Kohls?"

    So wird der Fall Kohl zum Höhepunkt der bisherigen Merkel-Geschichte. Das Buch analysiert:

    "Der Text, mit dem Kohl erst im CDU-Präsidium und dann in der Öffentlichkeit seine Verstöße gegen das Parteiengesetz bekennt, trägt Merkels Handschrift. Merkel ist es auch, die als Reaktion auf Kohls Fernseh-Geständnis am 16. Dezember, mehr als zwei Millionen Mark illegaler Spenden angenommen zu haben, in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erstmals die bittere Wahrheit ausspricht: Der Ehrenvorsitzende hat der Partei geschadet, die CDU muss ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen."

    Die Leistung der neuen Vorsitzenden seit November 99 besteht nicht nur darin, dass sie den Fall Kohl richtig angepackt hat. Zu lösen war und ist noch das Problem, in das Kohl und sein Nachfolger Wolfgang Schäuble die Partei mit ihrem Streit gestürzt haben. Frau Merkel stand Schäuble näher, er hat sie zur Generalsekretärin gemacht. Gegenüber Kohl empfindet Frau Merkel Loyalität wegen der historischen Leistung des Altkanzlers für die CDU, und damit muss die erste Frau auf dem Posten des Vorsitzenden erstmal fertig werden. Zwangsläufig ist die Geschichte der Angela Merkel und damit Stocks eine gelungene detaillierte Beschreibung der Spendenaffäre. Erstmals werden aber private Daten aufgeführt, auch wenn Frau Merkel ihr Privatleben schützt, wie Stock beschreibt.

    "Denn anders als die meisten prominenten Politiker kämpft Merkel wie eine Löwin um ihre Privatsphäre: Kein Fotograf, kein Journalist kommt in ihre Wohnung, weder in Berlin, noch in der Schorfheide. Selbst Fotoaufnahmen im Auto lehnt sie strikt ab: zu privat. Auch ihr zweiter Mann, der Chemieprofessor Joachim Sauer, ist für die Presse tabu. Dabei wäre der bestimmt ein interessanter Gesprächspartner, liegt er doch politisch eher auf CSU-, statt auf CDU-Linie."

    Es gibt trotzdem viel Privates, das Stock in 20 Stunden durch Interviews herausgeholt hat. Die Pfarrerstochter Angela Merkel war zwangsläufig in der FDJ, durfte trotz schlechter politischer Beurteilung der DDR-Funktionäre Physik studieren. Was ihre Beziehung zu dem Regime angeht, hat sie eine weiße Weste. Als der zweite deutsche Staat zu Ende ging, ging sie auf die Suche nach einer politischen Heimat in den Demokratischen Aufbruch. Sie schloß sich nicht den Gruppierungen der Widerständler in den Pfarreien an. Angela Merkel wollte die deutsche Einheit und keine andere, gereinigte Form des Sozialismus, sie gab der repräsentativen Demokratie wie in der Bundesrepublik den Vorzug vor einer Basisdemokratie. In dem Buch heißt es:

    "Mit den Träumen von einer anderen Sorte Sozialismus hat Angela Merkel nie etwas anfangen können und hat sich deshalb auch nicht für die Friedens-, Umwelt- und sonstigen alternativen Gruppen im kirchlichen Umfeld erwärmt."

    Über den Demokratischen Aufbruch und die Allianz für Deutschland kam Frau Merkel in die CDU. Nach ersten flüchtigen Kontakten wurde sie schnell in wichtige Funktionen hereingeholt, als stellvertretende Sprecherin von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere fiel sie den westlichen CDU-Größen auf. In Mecklenburg-Vorpommern erhielt sie dann mit viel List und Glück ein Bundestagsmandat, und dann machte Bundeskanzler Kohl sie 1991 zur Ministerin für Frauen und Jugend, und später dann zur Umweltministerin. Auf beiden Posten hatte sie unstreitig Erfolg, obwohl sie sich nicht drängte in der Parteienhierarchie. Schnell merkten ihre Freunde und sie selbst die Rivalen, dass sie konzeptionelle Begabungen hat. Sie drängte sich nach dem Abgang von Wolfgang Schäuble auch nicht auf den Posten des Parteivorsitzenden. Aber es gelang, wie der Parteitag in Essen zeigte. Dazu Stock nach der viel beachteten Grundsatzrede:

    "Alles hat sich in diese mutige Frau aus dem Osten projiziert - und nun hatte sie mit ihrer Essener Parteitagsrede über den Verstand auch die Herzen der Menschen erreicht. Sie hat die Brücke geschlagen zwischen sich und dem mit Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und auch mit Helmut Kohl verbundenen historischen Erbe der CDU. Die Frau, von der viele noch nicht recht wußten, wo sie programmatisch steht, ob sie eine Linke oder eine Wertkonservative ist - diese Frau hat sich als CDU-Repräsentantin dargestellt, die die Volkspartei in ihrer ganzen Breite abdeckt."

    Peter Quay rezensierte das Buch von Wolfgang Stock mit dem Titel: Angela Merkel - eine politische Biografie. Erschienen im Münchner Olzog-Verlag. 208 Seiten dick. Kostenpunkt: 36 Mark.