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Wolfgang Thierse
"Die AfD ist keine konservative Partei, sie ist eine aggressive Partei"

Der frühere Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse warnt davor, die Anziehungskraft der AfD auf Christen zu unterschätzen. Gerade deshalb müssten die Kirchen zeigen, wo die Grenzen dessen sind, was sich mit dem Christentum vereinbaren lasse, sagte er im Deutschlandfunk. "Zum Christentum gehört auch gelegentlich klare Kante."

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Monika Dittrich | 07.12.2016
    Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht in der Bundespressekonferenz
    Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse spricht in der Bundespressekonferenz (picture-alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Dittrich: Herr Thierse, dürfen Christen die AfD wählen?
    Thierse: Wir können es ja nicht verhindern, aber ich finde, dass das, was die AfD ausmacht, ihr Grundsatzprogramm, aber vor allem auch die vielen Äußerungen führender AfD-Politiker sich mit christlichen Grundüberzeugungen und Werten nicht wirklich vereinbaren lässt.
    Dittrich: Das heißt, es ist richtig, was der Kölner Erzbischof gesagt hat, man soll im Zweifelsfall das Programm neben die Bibel legen und vergleichen?
    Thierse: Das ist richtig und ich unterstütze auch den Bischof von Erfurt, der abgelehnt hat, dass der wunderbare Erfurter Dom und die Severikirche nächtens beleuchtet zum Hintergrund für hetzerische Kundgebungen der thüringischen AfD mit Herrn Höcke an der Spitze - der nun wahrlich ein Rassist ist, der hetzt, und da sollte die Kirche ganz klar zeigen, wo die Grenzen auch dessen sind, was sich mit Christentum vereinbaren lässt.
    "Christen sollen aktive Verteidiger der offenen Gesellschaft sein"
    Dittrich: Aber ist das richtig, dass die Kirchen sich so in Parteipolitik einmischen? Ist das ihre Aufgabe?
    Thierse: Das ist nicht so sehr Parteipolitik, sondern es geht um eine Grundfrage, nämlich um die Verteidigung unsrer offenen Gesellschaft, also der liberalen Demokratie als der politischen Lebensform der Freiheit. Und eines deren wesentlichen Elemente ist die Religionsfreiheit, die Grundlage unseres Lebens. Und Christen sollten aktive Verteidiger dieser offenen Gesellschaft, dieser liberalen Demokratie sein.
    Dittrich: Wir haben eben im Beitrag gehört: Da geht es um zwei Kandidaten der AfD, die auch aktive Kirchenämter haben, wie sollten die Kirchen damit umgehen?
    Thierse: Also ich glaube schon, dass man da diskutieren muss mit den Betroffenen. Ich kann kein allgemeines Urteil über die Person sagen, aber ich glaube schon, dass wir das in den Kirchen brauchen, auch in der katholischen Kirche. Denn das wissen wir ja, dass die Anhängerschaft, die Sympathien für die AfD bis in die christlichen Gemeinden hinein reichen. Also müssen wir das Gespräch, die Diskussion suchen, danach fragen, welches sind die Motive, warum Menschen plötzlich einer autoritären Partei sich zuneigen, um welche Probleme geht es, welche Ängste, welche Nöte, welche Kritik artikuliert sich da. Um dann aber auch zu diskutieren, dass die AfD eben eine problematische Antwort auf die Probleme und Nöte und Ängste ist, eine Antwort, die unsere offene Gesellschaft, unsere Demokratie gefährdet.
    Dittrich: Es könnte ja auch an den Themen und Positionen der AfD liegen, die vielleicht manchen Katholiken und Protestanten gefallen, etwa wenn es um den Lebensschutz geht oder auch das traditionelle Bild von Ehe und Familie.
    "Die AfD ist keine konservative, sondern eine latent nationalistische Partei"
    Thierse: Das ist ohne Zweifel so. Das ist dann die Frage, welche andere Partei könnte diese im wohlverstandenen Sinne des Wortes konservativen Anliegen und Überzeugungen vertreten und wo sind da Fehlstellen. Aber man muss doch dann auch sagen, wenn das verbunden ist mit einem mehr oder minder deutlichen Nationalismus, mit einer entschiedenen Ablehnung von Ausländern, von Fremden, verbunden ist mit einer Ablehnung unseres demokratischen Systems und unserer offenen Gesellschaft, dann kann man doch Menschen erklären, dass ihr eure konservativen Besorgnisse zu der falschen Partei tragt. Das muss man auch unter Christen diskutieren und ich wünsche mir sehr, dass da die Bischöfe beider Konfessionen, die Laienvertretungen, ein deutliches Wort sprechen.
    Dittrich: In der "FAZ" wurden Sie kürzlich mit dem Satz zitiert, man solle die Anziehungskraft der AfD auch auf kirchlich engagierte Katholiken nicht unterschätzen. Das heißt, es gibt schon etwas, was speziell in der AfD Christen, Katholiken, Protestanten, anspricht?
    Thierse: Ja, man sieht das ja, das ist ja nicht nur in Deutschland so, unter den Trump-Wählern waren überdurchschnittlich viele Evangelikale, aber auch katholische Christen. Und wenn man ringsum sieht, ist das ja vergleichbar. Also es gibt schon, ich sag das ganz unpolemisch, eine bestimmte Anfälligkeit, eine Geneigtheit gerade unter den christlichen Bürgern für die konservativen Werte. Aber ich sag das nochmal: Die AfD ist keine konservative Partei, keine Wertkonservativepartei. Sie ist eine aggressive Partei, die sich gegen Ausländer richtet, gegen Europa richtet, also eine latent nationalistische Partei. Und da müssten wir Deutsche und auch die Christen darin doch ein gutes Gedächtnis haben, wohin das führt. Schließlich gab es auch mal vor 70, 80 Jahren unter den Christen eine Menge Anhänger eines falschen Systems.
    Dittrich: Wenn Sie sagen, die AfD ist ja gar keine konservative Partei, haben dann vielleicht die anderen Parteien, die konservativen Parteien diese Themen vernachlässigt, die jetzt die Christen in der AfD anziehend finden?
    Thierse: Das könnte schon so sein, ich glaube schon, dass konservative Anliegen wichtig sind und von den anderen mitvertreten werden sollten. Aber es geht ja immer drauf an, wie die Anliegen beantwortet werden. Ich bin der Überzeugung, dass die Familie eine ganz wichtige, auch in unsrer Gesellschaft, ist, prägend für Biographien, prägend für Bildung, prägend für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Und dass Politik auch so viel wie möglich tun muss, um Familien zu unterstützen, Familien, Bildung zu stabilisieren, das glaube ich schon, das ist Aufgabe von CDU/CSU und von Sozialdemokraten, also der beiden Volksparteien, die es ja noch in bestimmten Grenzen sind.
    "Klare Kante gehört zum Christentum"
    Dittrich: Wenn nun die Kirchenleitungen sich so klipp und klar zur AfD äußern, wie sie das ja auch tun und beispielsweise auch das Licht ausknipsen, wenn Pegida oder AfD dort ihre Kundgebungen abhalten, dann könnte das ja manch einen ja auch verprellen. Also tun die Kirchen genug für diejenigen Menschen, die sich vernachlässigt fühlen, abgehängt fühlen, wie es jetzt immer heißt?
    Thierse: Tut die AfD irgendetwas für diejenigen, die sich abgehängt fühlen? Sie schreit, sie schimpft, sie wütet, gegen das System, gegen die bürgerliche Presse, gegen Caritas und Diakonie und das ist doch ein schönes Beispiel. Wenn von der AfD gehetzt wird gegen Caritas und Diakonie und ihre Hilfsbereitschaft auch gegen Fremden und Flüchtlingen, dann verrät das etwas von dem antichristlichen Geist, der in der AfD doch ganz sichtig ist. Und das sollten die Christen bedenken, die da Sympathien empfinden oder die da sogar eintreten und kandidieren.
    Man erinnere sich daran, dass von AfD-Anhängern Bischof Schick aus Bamberg mit Morddrohungen überschüttet worden ist et cetera, das darf man doch nicht übersehen und sich die AfD schönreden und sagen, sie ist doch eine ganz angenehm konservative Partei, das ist sie nicht. Sie ist das auch, aber vor allem ist sie eine anti-europäische, Anti-system-Partei, eine ausländerfeindliche Partei et cetera. Das muss man immer wieder klar sagen. Und da gibt es auch nicht die Pflicht der Kirchen mit Rücksicht darauf, dass das vielleicht ein paar Kirchenmitglieder, Gemeindemitglieder übelnehmen, dass man dann leisetritt und weichwäscht, das soll nicht sein. Zum Christentum, zum christlichen Bekenntnis gehört auch gelegentlich klare Kante.
    Dittrich: Sollten die Kirchen klare Wahlempfehlungen aussprechen?
    Thierse: Sie sollten jedenfalls sagen, es geht im kommenden Wahljahr um die Verteidigung unserer offenen Gesellschaft, die Verteidigung der liberalen Demokratie, die Verteidigung der Grundfreiheiten gegen Rechtsextremismus, gegen Rechtspopulismus, gegen Neo-Nationalismus und Rassismus, das sollten die Kirchen schon sagen, darum geht es, es geht um eine Grundfrage unserer Zukunft.
    Dittrich: Sagt Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident, Sozialdemokrat und Katholik. Herr Thierse, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Thierse: Bitteschön, gerne gemacht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.