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Wollen oder müssen

Christoph Ahlhaus, der designierte erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, betritt die Höhle des Löwen. Direkt vor dem Saal der freien Akademie der Künste halten Demonstranten Pappplakate hoch. "Wir sind die GAL – und treiben es mit allen und überall" ist darauf zu lesen.

Eine Sendung von Verena Herb, Jürgen Zurheide, Barbara Roth | 19.08.2010
    Viele der knapp 20 Demonstranten haben sich Ahlhaus-Masken aus Papier übers Gesicht gezogen. Es sind keine Grünenanhänger, sondern gehören einem überparteilichen Aktionsbündnis an. Der Innensenator kämpft sich durch die Menge. Gefragt, was er erwartet, raunt er nur kurz ins Mikrofon:

    "Och, dass das ein informativer Abend für alle wird ..."

    Und schon wird er von seinen Leibwächtern abgeschirmt in den Saal geschoben. Es gibt "Ahlhaus zum Anfassen". Bevor am Wochenende die Grünen auf ihren Parteitagen über die Zukunft von Schwarz-Grün entscheiden, stellt sich der Innensenator noch einer grünen Fragerunde. Katharina Fegebank, die Vorsitzende der Hamburger Grünen, lehnt an der Eingangstür des Saales. Als sie sieht, dass circa 400 Parteimitglieder gekommen sind, wirkt sie etwas nervös.

    "Das ist eine besondere Situation. Ich weiß nicht, ob es das schon mal gegeben hat, dass sich ein Bürgermeisterkandidat der Basis des Koalitionspartners stellt, bevor er sich der eigenen Partei noch mal in Gänze vorgestellt hat. Und entsprechend aufgeregt bin ich, wie der Abend auch verlaufen wird."

    Viele sind gekommen, um den amtierenden Innensenator erstmals "live" zu erleben.

    "Ich möchte sehen, ob ich Herrn Ahlhaus soweit vertrauen kann, dass ich glaube, dass man jetzt auch in der restlichen Legislaturperiode das, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, weiterhin umsetzen kann."

    "Ich guck mir das einfach mal an, was Herr Ahlhaus uns zu sagen hat. Und bin skeptisch, kritisch – und vielleicht ändert sich das ja während der Sitzung."

    Das beschreibt die Grundstimmung der Grünen ziemlich präzise: skeptisch – aber zum Fortsetzen der Koalition bereit. Dennoch vorsichtig: Wird Ahlhaus den recht liberalen Politikkurs seines Vorgängers Ole von Beust beibehalten?

    "Ich befürchte, dass es zu konservativ wird. Und dass die Themen, die unter Ole von Beust schon schwierig umzusetzen waren, noch weniger Aufmerksamkeit erlangen und bald gar nicht mehr durchgesetzt werden."

    Gegen zwanzig nach sieben schließt sich die Saaltür. Das Frage-Antwort-Spiel ist auf drei Stunden angesetzt. In diesen drei Stunden muss Christoph Ahlhaus alle Fragen beantworten. Ein eher ungewöhnliches Spektakel. Schließlich sitzen im Publikum nicht die eigenen Parteimitglieder, sondern die kritischen Unterstützer des kleineren Koalitionspartners.

    Grün ist alles, was Ahlhaus derzeit hat – ohne die GAL kommt er nicht auf den Bürgermeisterthron. Bei seiner Wahl nächsten Mittwoch in der Hamburger Bürgerschaft braucht er die Stimmen der grünen Abgeordneten.

    "Hardliner oder nicht. Das Richtige ist, oder das Wichtige ist – die Balance zu finden, zwischen dem berechtigen Interesse der Menschen, sicher in diesem Land und in dieser Stadt zu leben, und auf der anderen Seite aber auch nicht das Augenmaß zu verlieren."

    So antwortet der INNENSENATOR Christoph Ahlhaus, bevor er als designierter Bürgermeister ins Rennen geht. Vor knapp zwei Wochen wird bekannt: Ahlhaus war einst Mitglied – wenn auch nur ein Gastmitglied - in der schlagenden Verbindung "Turnerschaft Ghibellinia" in Heidelberg. Die Grünen sind empört. Ahlhaus lässt sich daraufhin flugs von der Mitgliedsliste der Turnerschaft streichen. Falsch verbunden – weg damit.

    Ahlhaus muss und will um den Bündnispartner buhlen, das weiß auch Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90 die Grünen. Er unterstützt generell die Koalition von CDU und GAL, macht aber deutlich:

    "Was bei uns sein muss, das sind die Inhalte, und darum geht´s jetzt. Wir erwarten jetzt nicht, dass er über Nacht in die Grünen eintritt. Er soll sein schwarzes Parteibuch ruhig behalten, und er soll ja auch die CDU mitnehmen ..."

    Und gerade das wird in den kommenden eineinhalb Jahren die große Herausforderung für den neuen Bürgermeister sein. Christoph Ahlhaus muss mit den Grünen regieren, ohne dabei seine eigene Klientel zu vergrätzen. Die aber rebelliert schon seit Monaten. Viele Konservative sind entrüstet, dass die Christdemokraten das Thema Bildung an die Grünen abgetreten haben. Die CDU überlasse dem kleinen Koalitionspartner das Agenda-Setting. Und so tönt es von der Basis: "Da wedelt der Schwanz mit dem Hunde. Schluss mit dem Kuschelkurs. Zurück zum konservativen Profil."
    Wie viel Spielraum bleibt Christoph Ahlhaus? Er steht zum schwarz-grünen Bündnis. Das macht er schon gleich nach der Nominierung deutlich:

    "Schwarz-Grün hat in den vergangenen gut zwei Jahren eine engagierte Arbeit für Hamburg geleistet. Diese möchte ich fortsetzen, sie hat unserer Stadt außerordentlich gut getan."

    Als sich gegen 22 Uhr 15 die Saaltür in der Akademie der Künste öffnet, hört man Applaus. Nach und nach strömen die Zuschauer nach draußen. Jo Müller, ein Grüner der ersten Stunde, fasst zusammen, wie der Abend verlaufen ist:

    "Erstaunlich friedlich. Das finde ich gut. Viele Fragen, unendlich viele Fragen. Er hat alle beantwortet. Auch sehr konkret. Er hat Beifall bekommen – hab ich auch nicht so in dem Maße erwartet, aber eindeutig. Er hat die Differenzen deutlich gemacht, das war richtig."

    Die meisten Parteimitglieder verlassen den Saal mit einem Lächeln im Gesicht. Auch Katharina Fegebank, die Landesvorsitzende, macht einen erleichterten Eindruck. War sie am Anfang doch skeptisch, wie sich Christoph Ahlhaus schlagen wird, stellt sie ihm nun ein positives Zeugnis aus und überschlägt sich fast mit Lob:

    "Herr Ahlhaus hat sich sehr, sehr wacker geschlagen. Er hat nen wahnsinnig guten Auftritt hingelegt. Er hat nicht nur erläutert, welche Vorstellungen er von der Zukunft der gemeinsamen Zusammenarbeit hat, er hat sich sehr viel Mühe gegeben, die Fragen unserer Mitglieder zu beantworten, die teilweise sehr dezidiert, dediziert und fachspezifisch waren ..."

    Während sich die Besucher an der Theke einen Wein bestellen, sitzt Christoph Ahlhaus noch immer auf der Bühne, führt bilaterale Gespräche, bis ihn seine Pressesprecherin drängt, vor die Mikrofone zu treten:

    "Für mich steht eines am Ende dieses Abends fest, noch mehr fest als vorher: Wir haben hervorragende Chancen diese schwarz-grüne Zusammenarbeit fortzusetzen. Ich glaube, es wäre ein Gewinn für diese Stadt."

    Man kann davon ausgehen, dass bei der Mitgliederversammlung der GAL am Sonntag die Mehrheit für ein Fortsetzen des Bündnisses stimmt. Doch muss sich Christoph Ahlhaus in erster Linie daran messen lassen, wie er die Regierung nach seiner Wahl weiterführt – und wie er mit dem Druck aus der eigenen Partei umgeht. Zum jetzigen Zeitpunkt steht aber fest: Die erste Hürde hat er genommen.

    Bundesumweltminister Norbert Röttgen hingegen hat bei seinem Hürdenlauf gerade erst den Startblock verlassen. Er hat lange gewartet, bis er sich offiziell für den Landesvorsitz der nordrhein-westfälischen CDU beworben hat. Vor seiner Entscheidung für die Kandidatur hat er wohl über eine Frage besonders gründlich nachgedacht: Wie lange hält die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf? Sollte sie schon bald auseinanderbrechen und es zu Neuwahlen kommen, müsste er sich ganz für das größte Bundesland entscheiden. Vorausgesetzt natürlich, er gewinnt die Auseinandersetzung mit Armin Laschet um den Vorsitz der Landespartei.

    Dann müsste er auch seinen Platz im Kabinett Merkel aufgeben und in Düsseldorf gegen Hannelore Kraft antreten. Auch auf die Gefahr hin, dass er als Oppositionsführer im Landtag Platz nehmen muss. Weil Röttgen das absolut nicht will, dürfen wir davon ausgehen, dass er – ohne es je laut zu sagen - von einem anderen Szenario ausgeht: Die Minderheitsregierung wird länger halten als viele im Moment voraussagen. Er kann Minister in Berlin bleiben und muss sich erst in fünf Jahren entscheiden, ob er den Schritt nach Düsseldorf wagt. Dann allerdings, das hat er auch bedacht, beflügelt seine Kandidatur die Koalitionsfantasien. Denn mit ihm wäre auch eine schwarz-grüne Regierung in der Landeshauptstadt möglich.

    Die aktuellen Koalitionäre in Düsseldorf wollen davon allerdings nichts hören, sie beschwören die Einigkeit des rot-grünen Bündnisses mit der einen fehlenden Stimme, so lautstark, dass es schon wieder auffällt. Die Übereinstimmung wird geradezu zelebriert, selbst zum Interview erscheinen die beiden Fraktionschefs, Norbert Römer von der SPD und Reiner Priggen von den Grünen, gemeinsam und ergänzen sich gut:

    "Ich war immer sehr zuversichtlich, dass wir aus eigener Stärke eine Situation erreichen würden, dass wir gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen eine gemeinsame Regierung bilden. Das ist auch passiert. Der Koalitionsvertrag ist eine gute Grundlage für die Zukunft. Und ich bin sicher, dass Bündnis 90/Die Grünen mit uns gemeinsam diese Landesregierung mehr und mehr stabilisiert und für eine gute Politik sorgen wird."

    Vor der Landtagswahl Anfang Mai klang das bei den Grünen noch anders. Offiziell hieß die Parole der Partei: Rot-Grün ist unsere bevorzugte Koalition. Das war aber angesichts der SPD-Schwäche wohl eher ein frommer Wunsch; die eigene Mehrheit kaum realistisch. Deswegen gehörte zur Wunschpartner-Floskel auch immer noch der Zusatz: In erster Linie geht es um die Umsetzung grüner Ziele. Und den Grünen gelang das Kunststück, gegen die schwarz-gelbe Landesregierung zu polemisieren, auch Regierungschef Jürgen Rüttgers heftig anzugreifen und trotzdem eine schwarz-grüne Koalition nicht auszuschließen. Hinter den Kulissen bereiteten die grünen Strippenzieher, zu denen Reiner Priggen zählt, sich sogar programmatisch auf ein Bündnis mit der CDU vor. Es gab fast eine schwarz-grüne Grundstimmung, sagt Reiner Priggen heute:

    "Es ist einfach so gewesen, dass wir rot-grün natürlich viele kommunale Koalitionen hatten. Zehn Jahre Rot-Grün im Land regiert haben. Und Schwarz-Grün im Land eine gewisse Attraktivität hatte. Und deswegen eine der Spielarten war in der öffentlichen Diskussion. Weil es natürlich auch eine spannende Frage war."

    Vielen erschien Schwarz-Grün im Land sogar die logische Fortsetzung der zahlreichen Bündnisse auf kommunaler Ebene zu sein. Nicht selten vorangetrieben von Landespolitikern. Armin Laschet, der CDU-Kreisvorsitzender in Aachen ist, hat ein schwarz-grünes Bündnis mit aus der Taufe gehoben. Im Rhein-Sieg-Kreis, aus dem auch Norbert Röttgen kommt - immerhin der zweitgrößte Kreis der Republik - entschied sich die CDU für die Grünen, obwohl auch schwarz-gelb möglich gewesen wäre. Vor allem aber im Ruhrgebiet zog es die Grünen in vielen Fällen eher zur CDU als zu den Genossen. Die taten sich lange schwer, den Verlust der jahrzehntelangen absoluten Mehrheit zu verarbeiten und trieben ihren kleinen Koalitionspartner deshalb in die Arme der CDU, die bei vielen Grünen bald als der verlässlichere Partner galt.

    Auch das erste rot-grüne Bündnis in Düsseldorf, das immerhin zehn Jahre hielt, beschreiben manche Grünen immer noch als eine Zeit mit Streit, Qualen und Demütigungen seitens der alten SPD-Garde. Unter Hannelore Kraft soll sich das nicht wiederholen, sagt Reiner Priggen:

    "Es ist auch anders, das muss man ehrlich sagen, im Klima als es in der Koalition vor zehn Jahren, vor 15 Jahren war. Wir haben, glaube ich, beide dazugelernt. Und dass es ansonsten in der politischen Landschaft viele Koalitionen gibt, wo die SPD mit der CDU, mit der FDP oder auch mit uns regiert, das ist genauso, wie es bei uns auch andersrum ist, das gehört ein Stück weit zur demokratischen Landschaft dazu."

    In Baden-Württemberg aber wäre rot-grün eine Sensation. Beflügelt werden diese Koalitionsfantasien gerade durch eine neue Umfrage. Sieben Monate vor der Landtagswahl im kommenden März liegen SPD und Grüne knapp vor der in Stuttgart regierenden Koalition aus CDU und FDP. Das Institut TNS Infratest ermittelte Ende Juli für Rot-Grün 45 und für Schwarz-Gelb 44 Prozent. Möglich macht dieses Ergebnis der bündnisgrüne Höhenflug. Laut Umfrage kommt die Ökopartei im Ländle auf 20 Prozent.

    "Da ist eine Menge Stammwählerschaft drunter, das wissen wir. In Baden-Württemberg sind wir traditionell immer über dem Bundesschnitt. Aber da sind auch eine Menge Leute dabei, die sich die Grünen gerade anschauen, weil andere Parteien vorbei gehen an den Realitäten des Landes. Stichwort Stuttgart 21, Stichwort Atomkraft. Aber wir wissen auch, das sind alles noch keine Grün-Wähler. Da müssen wir noch eine Menge tun oder um es auf Schwäbisch zu sagen: Schaffe, schaffe, Häusle bauen."

    … sagt der schwäbisch schwätzende Bundesvorsitzende mit türkischen Wurzeln, Cem Özdemir. Er führt die Spätzle-Realo-Connection an, zu deren prominenten Mitgliedern Fritz Kuhn, Boris Palmer oder Dieter Salomon zählen. Sie sind aufgewachsen in einem konservativen Umfeld. Berührungsängste mit der CDU-Klientel haben sie nicht. Sie fischen längst im bürgerlichen Lager, setzen auf grüne Wirtschaftskompetenz. Umgekehrt haben die findigen schwäbischen Unternehmer schon lange erkannt, dass man mit grünen Ökothemen wie Solarenergie gute Geschäfte machen kann. Palmer und Salomon regieren als Oberbürgermeister Tübingen beziehungsweise Freiburg; mit CDU-Stimmen schafften sie es ins Amt. Dem baden-württembergischen Landtag gehören die Grünen seit 30 Jahren an. Immer wieder mal wird in beiden Parteien mit einem schwarz-grünen Bündnis kokettiert.

    "Es gibt eine Menge in der CDU, die zu uns kommen und sagen, macht Druck, das ist auch gut für uns. Weil es uns hilft, dass wir das ökologische Profil schärfen können; aber auch die Frage Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das wäre doch alles vor einigen Jahren völlig unvorstellbar gewesen. Als ich in Baden-Württemberg in die Grünen eingetreten bin Anfang der 80er, da wäre man wegen solchen Positionen aus der CDU in Schimpf und Schande ausgeschlossen worden."

    "Oben bleiben Hauptbahnhof ..."

    Eine sich seit Wochen in der schwäbischen Metropole beinahe täglich wiederholende Szene: Vor der wuchtigen Fassade des Hauptbahnhof laufen Demonstranten auf und ab, die "Oben bleiben, Hauptbahnhof!" skandieren. Allein heute protestieren rund 20.000 Menschen gegen Stuttgart 21, gegen das gut 4,1 Milliarden Euro teure Vorhaben, in der Innenstadt den Bahnhof samt Gleisanlagen unter der Erde zu versenken.

    "Es ist doch unverantwortlich, wenn man Investitionen tätigt, die nicht rentabel sind. Man darf das nicht zulassen, was da mit uns gemacht wird. Die unterschätzen die Stuttgarter Bürgerschaft. Die unterschätzen sie völlig. Die lassen sich das nicht bieten von der Politik. Ich finde es einfach einen Hammer, dass man das hier durchzieht, obwohl so viele Leute dagegen sind."

    Jeder zweite Stuttgarter – heißt es in Umfragen – sei gegen das gigantische Bauprojekt. Die gemeinhin als bieder, brav und fleißig geltenden Schwaben machen mächtig Druck. Und die politischen Parteien, die Pro Stuttgart 21 sind, bekommen es zu spüren. Bei den Kommunalwahlen 2009 straften die Wähler in der Landeshauptstadt CDU, FDP und SPD ab. Heute stellen die Grünen im Stuttgarter Stadtrat die stärkste Fraktion.

    "Unsere Position war immer: Wir wollen das Projekt nicht um jeden Preis, aber in der Sache ist es richtig. Und im Übrigen: 80 Prozent des Projektes zahlt nicht das Land. Ich könnte auch mal sagen, seit wann sind denn Schwaben und Württemberger gegen was, wenn sie was Tolles kriegen und 80 Prozent zahlen andere, meine Damen und Herren."

    Im Februar erst übernahm Stefan Mappus das Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Stuttgart 21 erbte er mit. Er weiß um die aufgeladene Stimmung. Trotzdem hält er am milliardenschweren Bahnprojekt fest. Das Risiko, dass er bei der Landtagswahl den Grünen in Stuttgart die Wähler in die Arme treibt, nimmt der Vorsitzende des rund 75.000 Mitglieder zählenden Landesverbandes in Kauf.

    "Und jetzt mein Lieblingsthema Schwarz-Grün. Aber natürlich muss es denkbar sein, dass man mit den Grünen eine Koalition macht. Nur, ich rate davon ab im politischen Sandkasten zu sitzen und die Burgen zu bauen nach dem Motto, was ist jetzt gerade modern. Also ich kann nur sagen, ich strebe, solange ich in der Politik sein werde, immer an, dass ich gar keinen Partner brauche."

    Seit 58 Jahren regiert in Baden-Württemberg die CDU. Seit 1996 in einer Koalition mit der FDP. Am 27. März 2011 muss sich Mappus als Regierungschef erstmals dem Wählervotum stellen. Der als bodenständig Geltende spricht die ländlichen, die traditionellen Wählerschichten an, die treusten Anhänger der Union also. Der Modernisierungskurs der Bundesvorsitzenden Angela Merkel ist seine Sache nicht. Er bekennt sich offen zu deutschen Tugenden, deutscher Leitkultur und klassischer Familienpolitik.

    "Ich versuche mir gerade vorzustellen die ziemlich dicke Tischplatte, in die Herr Mappus beißen müsste, wenn er das Gespräch mit den Grünen suchen muss. Nachdem er ja damals, als Oettinger Ministerpräsident war, als Fraktionsvorsitzender genau diese Gespräche verhindert hat."

    Günther Oettinger wusste um die Attraktivität der Grünen für den ebenso konservativ wie weltoffenen, ökologisch angehauchte Besserverdienende in der Stadt. Der Ex-Ministerpräsident glaubte, der grünen Konkurrenz in Stuttgart, Tübingen oder Freiburg mit einer in Nuancen modern auftretenden CDU Paroli bieten zu können. Er wucherte mit einer Gruppe türkischstämmiger Parteimitglieder. Er erlaubte einem seiner Minister, ein Grußwort auf dem Christopher Street Day der Schwulen und Lesben zu sprechen. Die Wertkonservativen um Mappus – damals Fraktionschef - kochten. Der Minister trat zurück – schließlich verlor auch Oettinger seinen Job. Die Bundeskanzlerin lobte ihn als EU-Kommissar nach Brüssel weg – weil sie fürchten musste, dass der unkonventionelle Oettinger auch noch die letzten treuen Stammwähler verprellen könnte.

    "Von hinten sehen Sie aus wie der Strauß. Des freut mich besonders - Gelächter. Und von vorne sprechen Sie zwar nicht ganz so brutal wie er. Aber doch immerhin relativ deutlich."

    Es sollte ein Kompliment sein. Doch Stefan Mappus lächelt auf einer Basiskonferenz seiner CDU gequält. Seiner ähnlich gedrungenen Statur, seines Stiernackens wegen, wird der 44-Jährige gerne mit Franz Josef Strauß verglichen. Es gibt schlimmere Beleidigungen, schüttelt er den Vergleich mit seinem CSU-Idol ab. Dass er ein ähnlich temperamentvoller, polarisierender und verbal wenig zimperlicher Vollblutpolitiker ist, kann und will er nicht leugnen.

    "Ich glaube einfach, dass wir in der CDU uns wieder darauf besinnen müssen, was diese große Volkspartei immer ausgemacht hat: dass wir in der ganzen Bandbreite die Themen anbieten und dass wir zu unseren Wurzeln generell zurückkehren: zu dem Christlich-sozialen, zu dem Liberalen und zu dem Konservativen. Und wir das stringent tun, dann ist mir nicht bange, dass wir die Wähler vor allem auch die Stammwähler, die vielleicht teilweise verloren gingen, auch wieder zurückgewinnen können."

    Die Zeche für Berliner Fehler jedenfalls will Mappus nicht zahlen. Entschlusskraft, klare Linie und Berechenbarkeit fordert er von den Seinen ein. Wer nicht auf Linie ist, gegen den bläst er zu Attacke. Im Streit um längere Reaktorlaufzeiten etwa legt er sich mit CDU-eigenen Bundesumweltminister Norbert Röttgen an. Einer der Gründe, warum der Grünen-Parteichef Özdemir skeptisch ist.

    "Jeder muss wissen, der die Grünen möchte: Mit uns gibt es keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Mit uns gibt es keinen Abbau von Bürgerrechten. Mit uns gibt es keine Politik, die Kinder nach der Herkunft von Eltern sortiert und sagt, Gymnasialkinder sind wertvoller als Hauptschulkinder. Wer uns möchte, muss sich in diesen Fragen bewegen, ansonsten gibt es halt keine Koalition."

    So – Zitat - billig wie die FDP sei seine Partei nicht, sagt Cem Özdemir. Und ganz ehrlich: Mit Mappus wird es mit Schwarz-Grün wohl eher nichts.

    "Ich möchte, dass man am meisten CDU-Politik durchsetzen kann. Und wenn Sie sich in Baden-Württemberg mal Grüne, FDP und SPD anschauen, dann kann doch jeder sehen, dass wir inhaltlich die meisten Überschneidungspunkte mit der FDP haben. So einfach ist das."

    Im Klartext: Schwarz-Grün im Ländle müsste der Wähler erzwingen. Indem er im Stammland der Liberalen, als das Baden-Württemberg ebenfalls gilt, der FDP den Wiedereinzug in den Stuttgarter Landtag verwehrt. Dann, nur dann wäre Stefan Mappus bereit, die Grünen als Koalitionspartner hinzunehmen.