Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Wollen wir nicht lernen?"

Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, verlangt Konsequenzen aus dem vereitelten Amoklauf an einer Kölner Schule. "Was soll dieser Umgang mit Soft-Air-Pistolen, was soll dieser Umgang mit Armbrust, braucht man das wirklich, um als junger Mensch aufzuwachsen in Deutschland?", fragte Jansen und sprach sich für schärfere Waffengesetze sowie einen erschwerten Zugang zu gewaltverherrlichenden Computerspielen aus.

Moderation: Silvia Engels | 19.11.2007
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Klaus Jansen, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Guten Morgen, Herr Jansen!

    Klaus Jansen: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Wir haben es gerade gehört ( MP3-Audio , Beitrag von Christine Heuer), beim Kölner Fall haben offenbar Freunde und Schulleitung ihre Sorge vor einem möglichen Attentat der Polizei gemeldet, und die hat das auch ernstgenommen. Hat man also aus den früheren Amokläufen von Erfurt und Emsdetten hier gelernt?

    Jansen: Also, ich glaube, dass bei der Polizei eine deutliche Sensibilisierung diesbezüglich natürlich vonstatten gehen musste. Ich betrachte es natürlich nicht als Erfolg, dass der 17-Jährige nach einer Befragung letztendlich Selbstmord begangen hat, das ist zu klären, inwieweit in dieser Situation der 17-Jährige nicht vielleicht auch hätte weiter betreut werden müssen. Sie selber haben darauf hingewiesen, dass eine Woche vorher ein 15-Jähriger in die psychologische Abteilung eingewiesen wurde. Wir müssen davon ausgehen, dass junge Menschen nach wie vor - und das ist eigentlich auch nichts Neues - offensichtlich Gewaltfantasien haben und diese Gewaltfantasien auch immer wieder ausleben. In dem Zusammenhang muss man sich fragen: Dieser Konsum von gewaltverherrlichendem Material, ist das wirklich eine Sache, die wir unseren jungen Menschen anbieten sollten? Wie bei der Klimakatastrophe weiß eigentlich jeder, dass solche Sachen die Umwelt zerstören, die Klimakatastrophe, die entsprechenden Sachen dazu, kann man nicht davon ausgehen, dass Gewaltverherrlichung auch für junge Leute in manchen Phasen eine schwierige Sache ist? Auch darüber sollten wir auf jeden Fall nachdenken.

    Engels: Da kommen wir gleich noch drauf zu sprechen. Bleiben wir erst mal bei dem konkreten Fall.

    Jansen: Gerne.

    Engels: Ist die Polizei generell genügend geschult, um solche möglichen seelischen Schieflagen bei mutmaßlichen Tätern zu erkennen?

    Jansen: Manchmal habe ich Bauchschmerzen dabei. Sie müssen davon ausgehen, dass jeder einzelne Fall entsprechend bewertet werden muss, das heißt, Sie brauchen flächendeckend, auch gerade in den großen Bundesländern, den entsprechenden Ausbildungshintergrund, solche Sachen fein auseinanderzusortieren, damit man auch nicht unnötig junge Menschen kriminalisiert. Zusätzlich brauchen Sie eine erhebliche Kompetenz, um solche Dinge dann auch absichern zu können durch Ermittlungen. Sie müssen nämlich in der Lage sein, im Internet im Einzelfall nachzuvollziehen, hat dort jemand entsprechende Internetseiten sich angesehen? Daraus würde sich ja ein Verdacht ergeben. Ob die Polizei dazu flächendeckend in der Lage ist, weiß ich nicht. Es gibt jetzt ein Angebot, und das halte ich für einen sehr wichtigen Schritt, dass Leute, die in Chatrooms solche Hinweise bekommen, dieses auch entsprechend ablegen können bei einer sogenannten Internet-Polizeiwache, damit diese Information frühzeitig zur Polizei kommt. Aber auch da brauche ich natürlich das kompetente Personal, was damit umgehen muss.

    Engels: Sie sprechen es an, es gibt eine sogenannte Polizeiwache in Chatrooms. Wie wird das genutzt? Erreicht man auch das Bewusstsein der Jugendlichen, dass es eben keine Petzerei ist, wenn man so einen Fall meldet?

    Jansen: Dieser Fall zeigt sehr deutlich, dass die Jugendlichen funktioniert haben, das, finde ich, ist mit das Positivste, die haben nämlich mitbekommen, dass hier jemand etwas eingestellt hat, was in ein Internetportal einer Schule nicht hineingehört. Da würde ich sagen, ein ganz großes positives Zeichen daran machen. Ja, diese Sachen werden genutzt, und gerade die Schwierigkeit ist, dass da natürlich auch viele Verdachtsanzeigen reingeschmissen werden in unterschiedlichen Bereichen, wo es eigentlich keinen Hintergrund gibt, also sogenanntes Anschwärzen, oder vielleicht auch einfach mal auch aus Daffke so was zu machen - das auseinanderzusortieren, ist die Aufgabe der Polizei. Und um das zu können, brauchen Sie die technischen und die psychologischen Fertigkeiten, um das auch vernünftig machen zu können.

    Engels: Sie haben es angesprochen, das auseinanderzuhalten, ist das eine ernsthafte Drohung oder soll da jemand angeschwärzt werden, ist ein Dauerproblem. Haben Sie denn da genug finanzielle Mittel, brauchen Sie irgendwelche weiteren Fahndungsinstrumente oder mehr Manpower?

    Jansen: Ich glaube, dass wir in jedem Fall eine Qualifizierung der Leute benötigen, die mit diesem Phänomen auf Dauer zu tun haben werden, denn das ist eine Sache, die offensichtlich Konjunktur hat, Nachahmungstaten, entsprechende Daten, junge Leute wollen da offenbar im Einzelfall auch sogenannte Fanale setzen, wir brauchen da also eine Qualifizierung, und Qualifizierung kriegen Sie nur, indem Sie auch Geld investieren in die Aus- und Fortbildung von Leuten. Die technische Ausrüstung, meine ich, ist soweit bei der Polizei vorhanden, wir brauchen allerdings auch die Möglichkeiten, im Einzelfalle gleich feststellen zu können: Was ist auf dem Rechner von einem Beschuldigten los?

    Und da kommen wir zu dem Thema Onlinedurchsuchung: In einer zeitkritischen Situation haben wir nicht die Zeit, vielleicht erst zu demjenigen nach Hause zu fahren, den Rechner sicherzustellen, den neu aufzubauen, den dann zu durchsuchen, sondern Sie müssen im Einzelfall aus der Distanz, nämlich das Internet ist ja dieses distanzlose Medium, müssen Sie in der Lage sein, vielleicht sagen zu können, wir müssen Direktschutzmaßnahmen an einer Schule fahren oder nicht. Ich glaube, dass wir das Thema Onlinedurchsuchung auch vor dem Hintergrund dieser Tat, beziehungsweise dieses Versuchs, noch mal neu diskutieren müssen.

    Engels: Das wäre eine Gesetzesänderung, eine andere nannten Sie bereits, ob man eben den Umgang, den Zugang zu möglicherweise gewaltverherrlichenden Computerspielen noch einmal überdenken muss. Und dann lautet das Stichwort auch wieder Waffengesetze, denn bei den Kölner Jugendlichen wurden wieder - wir haben es gehört - gefährliche Waffen gefunden.

    Jansen: Genau. Ich meine, was soll dieser Umgang mit Soft-Air-Pistolen, was soll dieser Umgang mit Armbrust, braucht man das wirklich, um als junger Mensch aufzuwachsen in Deutschland? Ich halte das für groben Unfug, und wenn jetzt Gott sei Dank oder wenn jetzt nicht gefunden wurden Hinweise auf Molotow-Cocktails, einen Molotow-Cocktail haben Sie relativ schnell zusammengebastelt, wir reden ja in diesem Zusammenhang immer von Amoktaten. Amok bedeutet, aus blinder Wut heraus unmittelbar zu handeln. Auch in diesem Fall sehen wir, dass die jungen Leute sich offensichtlich lange damit beschäftigt haben, sie haben es geplant, und gerade diese Planung gibt uns ja die Möglichkeit, auch die Planung mitzubekommen und zu intervenieren. Der Begriff "Amok" ist hier eigentlich falsch angebracht.

    Wir sollten Zugang zu solchen Waffen wirklich absolut erschweren. Es macht keinen Sinn, dass junge Menschen mit solchem Kram hantieren, und es macht auch keinen Sinn, dass wir die ungeschützt mit Gewaltvideos und Gewaltspielen, Ego-Shootern und Ähnlichem, umgehen lassen. Immer wieder bei entsprechenden Analysen von derartigen Taten kommen wir auf die Kombination: Zugang zu Computerspielen, Zugang zu Gewaltvideos, Zugang zu Waffen. Ich glaube, das ist ein Raster. Das sollten wir in der Politik wirklich nutzen, um der Jugend solche Sachen aus den Fingern zu nehmen.

    Engels: Nun hatten wir diese Diskussionen ja schon mehrfach nach leider früheren Fällen von solchen Gewalttaten an Schulen. Warum hat sich denn nichts getan?

    Jansen: Frau Engels, ich verweise auf die Diskussion um unsere Klimakatastrophe. Jeder weiß es eigentlich, dass es die auslösenden Faktoren sind, und trotzdem reden wir auch nach 20 Jahren oder nach 30 Jahren über die Klimakatastrophe. Den Leuten in der Praxis, den Eltern kann die Politik nicht vormachen, dass es eigentlich nicht schaden würde, wenn man so was begrenzen würde beziehungsweise die Zugänge zu solchen Sachen wirklich reduzieren würde. Warum die Politik da nicht handelt - für mich ist das ein Riesen-Fragezeichen und auch ein Versäumnis. Wollen wir aus Situationen nicht lernen? Manchmal habe ich das Gefühl. Und ich muss Ihnen sagen, für mich als Polizist ist es tragisch, dass hier ein 17-Jähriger, der in der Vorbereitung zu einer Tat war, dann ums Leben kam, sich vor eine Straßenbahn geschmissen hat. Auch das ist für mich ein Opfer, hier müssen wir als Gesellschaft deutlicher eingreifen. Wir lassen unsere jungen Menschen offensichtlich auch manchmal alleine.

    Engels: Herr Jansen, in der letzten Woche wurde aufgrund einer möglichen Drohung eine Schule in Mainz geschlossen, zuvor gab es Warnungen aus dem Internet für eine Schule in Göttingen vor einer Bluttat. Nehmen solche Androhungen von Amokläufen zu, oder wird nur mehr darüber berichtet?

    Jansen: Es ist so wie kommunizierende Röhren: Ich glaube, dass wirklich auch Schüler sehr aufpassen, weil sie mitbekommen haben, ich kann hier auch Opfer werden, und das ist eine positive Sache. Dass es Trittbrettfahrer gibt, die gab es früher auch bei Brandalarm, damit Schulen geschlossen werden. Das Problem ist hier, sachgerecht auseinanderzusortieren. Ich habe das Gefühl, dass die Schulleitungen dort auch anfangen, nachdenklicher zu werden und Gewalt im Zweifelsfalle auch anzuzeigen, und das halte ich für den richtigen Weg, denn Gewalt und Gewaltfantasien haben an Schulen nichts zu tun und beschädigen, glaube ich, auch nicht den Ruf von Schule, so dass dieses alte Argument, Schulen zeigen Gewalt nicht an, glaube ich, von vorvorgestern ist. Hier gibt es eine neue Awareness heißt es heutzutage, also ein neues Bewusstsein, dass man handeln muss, und das halte ich für wichtig. Wenn die Polizei dann im Einzelfall mehr zu tun bekommt, dann sei es drum. Wenn wir Straftaten verhindern wollen, Leute aus solchen schwierigen Situationen auch rausholen wollen, dann ist das der richtige Weg.

    Engels: Klaus Jansen, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Jansen: Gerne, Frau Engels.