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"Woran erkenne ich einen Gott und wofür ist der zuständig?"

In der Staatlichen Antikensammlung München findet man derzeit Göttliches: Direktor Florian Knauß hat das Depot durchforstet und präsentiert antike Götter samt Peripherie als Gesamtkunstwerk. So lernen wir über die Mythengeber der alten Zeit - und begreifen, dass auch Götter letztlich nur Menschen sind.

Das Gespräch führte Michael Köhler | 22.07.2012
    Göttervater Zeus - auch nur ein Mensch
    Göttervater Zeus - auch nur ein Mensch (picture alliance / dpa)
    Michael Köhler:
    Da ihr noch die schöne Welt regieret,
    An der Freude leichtem Gängelband
    Selige Geschlechter noch geführet,
    Schöne Wesen aus dem Fabelland!
    Ach, da euer Wonnedinets noch glänzte
    wie ganz anders, anders war es da!
    da man deine Tempel noch bekränzte Venus Amathusia!

    Da der Dichtung zauberische Hülle
    Sich noch lieblich um die Wahrheit wand -

    Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder,
    Holdes Blütenalter der Natur!

    Bekannte Zeilen: Schillers Götter-Griechenlands-Gedicht - Bewunderung und Wehmut über den untergegangenen Götterhimmel, die sprechen aus diesem Gedicht, ja sprechen, denn Verlustgefühle gebären gerne Dichtung, die spricht und erzählt und ist damit dem Mythos wieder nah und sie gebiert Balladen.
    Der neue Direktor der Staatlichen Antikensammlung München braucht keine Balladen zu dichten, der braucht nur ins Depot zu greifen: Er hat eine Ausstellung über "Die Unsterblichen" gemacht, die großen Zuspruch findet, und das muss Gründe haben. Wiederkehren soll nach Schiller eine Zeit, wo Götter menschlicher und Menschen göttlicher waren. Nun kann man die Kenntnis der antiken Götterwelt nicht mehr voraussetzen, darum habe ich den Direktor der Münchener Antikensammlung Florian Knauß zu seiner Ausstellung "Die Unsterblichen" gefragt: Was haben Sie denn da gemacht, ein Lexikon des antiken Götterhimmels zusammengestellt?

    Florian Knauß: Ja, ein Lexikon wollten wir gerade nicht schreiben, oder ein Kompendium, was all das Wissen, was für uns verfügbar ist, nun auch dem Besucher zugänglich macht, sondern wir bemühen uns und hoffen, dass das gelingt, dem Besucher, der ja heute immer weniger an Vorkenntnissen mitbringt, als noch frühere Generationen wenigstens von humanistisch gebildeten Abiturienten, ihm einen Zugang zu dieser überbordenden Vielfalt an griechischen Göttern zu verschaffen und ein Ordnungsgerüst, und das eben immer anhand unserer schönen, ungeheuer reichen und höchst qualitätvollen Münchener Sammlungsbestände. Wenn wir damit anfangen, wie Thale von Milet sagt, "Alles ist voll von Göttern", und konfrontieren den Besucher gleich zu Beginn damit, dass etwa Hesiod über 300 Götter kennt und gleich eingesteht, dass es aber noch viel mehr gibt und er die leider gar nicht alle nennen könne, dann rennen uns die Leute sicher davon, sondern wir haben versucht, zunächst mal mit den wichtigsten, den olympischen Göttern anzufangen und dem Besucher etwas an die Hand zu geben, ein Handwerkszeug, um die einzugrenzen und einordnen zu können, also woran erkenne ich einen Gott und wofür ist der zuständig, und dann erst in einem zweiten Schritt die höchst spannenden und auch unterhaltsamen Göttergeschichten vermitteln.

    Köhler: Das ist ein ganz guter Zugang, denn wenn man heute Zeus oder Hera sagt, kann es einem passieren, dass man zur Antwort kriegt, wo spielt der denn, bei AC Rom oder Mailand oder sonst wo – ich will es nicht karikieren. Sie sagten gerade so schön: "Woran erkenne ich ihn?" Das ist, glaube ich, ein gelungenes Konzept, was Sie angewendet haben, so eine Art Dreischritt, dass Sie nach der Wesenheit der Götter fragen, danach, was die so anstellen und treiben, also ihr Handeln im Mythos, und dann noch, wie sozusagen die Verbindung zu den irdischen Wesen, sprich Menschen herzustellen ist, denn das hat ja Schiller auch in seinem Götter Griechenlands Gedicht ganz schön an einer Stelle gesagt: Es gab eine Zeit, in der die Götter menschlicher und die Menschen göttlicher waren. Also eigentlich können die uns gar nicht so fremd sein, wie wir immer glauben.

    Knauß: Ja. Sie sind uns einerseits im Idealfall deswegen nicht so fremd, weil wir doch noch diese griechischen Mythen kennen, entweder traditionell durch Gustav Schwab oder in neueren Adaptionen, "Percy Jackson" von Rick Riordan und andere, aus meiner Sicht durchaus gelungene Mythenadaptionen. Bei uns ist es natürlich so: Als Archäologen arbeiten wir mit den Bildern. Das ist ja noch mal ein bisschen was anderes, denn die Bilder, also die antiken Bilder auf Vasen, oder Marmorskulpturen, oder Bronzegeräte, die auch wieder die griechischen Götter in Aktion vorstellen, das sind ja nicht einfach Illustrationen zu antiken Autoren, sondern die Götter sind von den Bildkünstlern ganz eigenständig gestaltet worden. Den griechischen Göttern haben zunächst – das ist antike Auffassung – die Autoren Homer und Hesiod Gestalt verliehen, aber aus unserer Sicht mindestens genauso die griechischen Künstler.

    Köhler: Davon haben Sie ja vieles zu bieten, an Vasen und so weiter. – Der Witz ist doch ein bisschen dabei: diese Gipsköpfe, sage ich jetzt mal mit Wieland, die für uns ja oft die antike Götterwelt ist, wenn sie uns als Repliken oder als Kunstwerke in den Museen begegnen, hatten ja keine Orthodoxie oder Religion im engeren Sinne, sondern das, was ich jetzt mal eine Logo-Paxie, also Erzählungen. Sie leben eigentlich in, aus und durch Erzählungen, die wir von ihnen weitergeben, tradieren, die wir uns machen. Wollen Sie dieses Erzählen künftig wieder beleben? Und vor allem: Wie stellen Sie das an?

    Knauß: Ich denke, dass diese Erzählungen, dass die einfach zu unserem ganz wesentlichen europäischen Kulturerbe gehören, das uns nach meinem Dafürhalten mehr, stärker und dauerhafter zusammenhält als eine gemeinsame Währung. Diese Geschichten sind einerseits ja großartig; andererseits, wenn wir daran denken, dass das Geschichten von den Göttern sind, dann macht das auch wiederum deutlich, wie fremd uns diese Götter sind, denn diese Götter sind ja zwar unsterblich – deswegen der Titel der Ausstellung -, aber sie sind weder allwissend, noch allmächtig oder allgegenwärtig, sie sind mit ganz menschlichen Schwächen ausgestattet, und das verstört uns natürlich aus unserer christlich oder wie auch immer geprägten Sicht. Das ist eben etwas, was ja zunächst mal ganz fremd ist, dass da Götter sind, die stehlen, betrügen, Ehe brechen und so weiter.

    Köhler: Eine der Lieblingsfiguren von mir ist Hermes, der Götterbote, der zugleich Gott der Diebe und Kaufleute ist.

    Knauß: Ja! Diese Sympathie für Hermes, der ja heute nur noch durch Paketdienste oder Staatsbürgschaften bekannt ist, diese Sympathie, die kann ich durchaus teilen. Der ist ja ungeheuer vielfältig. Zu dem, was Sie schon gesagt hatten, ist er auch noch der Gott der Athleten aufgrund seiner Gewandtheit. Aber er erfindet auch noch am Tag seiner Geburt ein Musikinstrument, was er dann später seinem Bruder Apoll in die Hand drückt.

    Köhler: Und er legt falsche Fährten!

    Knauß: Und er legt falsche Fährten, auf die sein Bruder nur mit Mühe kommt. Ja, richtig.

    Köhler: Wie erklären Sie sich den Erfolg? Nicht nur, dass Sie einfach ein Neuer sind, sondern kann das sein, dass Sie da einen Nerv unserer Zeit getroffen haben, wenn ich so an die ganzen Diskussionen um multikulturelle Gesellschaft, Kampf der Kulturen, um religiöse Fundierung Ihrer Lebens- und Alltagspraxis und so weiter denke. Haben Sie da offenbar einen Nerv getroffen, könnte das sein?

    Knauß: Es wäre schön, wenn es so ist. Ich weiß gar nicht, ob wir schon von Erfolg reden dürfen, denn die Ausstellung läuft jetzt gerade mal zwei Tage.

    Köhler: Das Feuilleton ist voll des Lobes, das darf man ruhig mal sagen.

    Knauß: Dann freut uns das, also das freut auch meine Mitstreiter, die die letzten Wochen häufig bis tief in die Nacht im Museum gesessen und gearbeitet haben. Als Museumsmann ist man eigentlich immer auf der Suche: Wie gelingt es uns, die Antike, die uns als Profis, als Archäologen natürlich sehr nahesteht, auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und da kann man eigentlich immer nur neue Versuche unternehmen. Ein Patentrezept gibt es nicht, und wenn uns das diesmal gelungen sein sollte, dann sind wir froh und vielleicht auch ein bisschen stolz darauf. Aber wenn ich es erklären könnte, dann wäre ich sehr viel schlauer.

    Köhler: ... , sagt Florian Knauß, Direktor der Münchener Antikensammlung, über seine Ausstellung "Die Unsterblichen".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Staatliche Antikensammlung München: "Die Unsterblichen"