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"Work in Progress"
Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit

Wie wird die Zukunft der Arbeit aussehen? Das wurde beim jährlichen Kongress "Work in Progress" in Hamburg diskutiert. Eröffnet wurde die Veranstaltung, auf der hauptsächlich die digitale Elite zu Wort kam, von dem amerikanischen Soziologen Jeremy Rifkin.

Von Dirk Schneider | 16.03.2015
    Eine Person bedient einen Laptop mit einer Mouse.
    Wie lässt sich verhindern, dass dabei mehr prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen durch die Digitalisierung entstehen? (picture-alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    "Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft" heißt Jeremy Rifkins bekanntestes Buch, dessen Titel schon zum geflügelten Wort wurde. In seinem neuesten Buch, "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft", legt Rifkin noch einmal nach: Die digitale Revolution ist für ihn die "dritte industrielle Revolution" und wird unsere Welt komplett umkrempeln.
    Rifkin ist bei den Mächtigen der Welt als Berater gefragt, und auch in seiner Keynote-Rede auf dem Kongress "Work In Progress" verkauft er sich und seine Sache gut: Wer seinem Rat folgt, wird nicht nur Wirtschaftsmacht der Zukunft, er wird auch den Klimawandel besiegen - am Ende stellt Rifkin sogar noch den Weltfrieden in Aussicht. Bei so viel amerikanischem Optimismus folgt erst mal ein tiefer Fall, wenn es anschließend auf dem Kongress um die Niederungen der digitalen Alltagswelt geht: Wie wird die zunehmende Digitalisierung unsere Arbeit verändern, und vor allem: Wie lässt sich verhindern, dass dabei noch mehr prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen entstehen? Vorzeigeprojekt ist die Berliner Agentur Dark Horse, die große Unternehmen in Fragen der digitalen Welt berät. 30 Leute arbeiten dort ohne hierarchische Strukturen, völlig gleichberechtigt. Der Vorteil davon?
    "Erst mal befähigt es den Einzelnen, Entscheidungen treffen zu können, und das macht uns schnell. Wir wollen uns als Gemeinschaft vertrauen und befähigen, weil wir wissen, dass jeder einzelne das Gesamtunternehmen im Blick hat. Dann kann er auch jederzeit für das Gesamtunternehmen entscheiden. Und das macht uns einfach schnell", erklärt Christian Beinke, einer der Mitgründer von Dark Horse.
    "Schnelligkeit" versteht er gar nicht zuerst als Effektivität, sondern als Möglichkeit, sich flexibel den Veränderungen einer immer komplexeren Welt anzupassen. Ausgerichtet wird der Kongress "Work in Progress" von der Hamburg Kreativgesellschaft, dem Wirtschaftsförderungsverband der Hamburger Kreativindustrie. In diesem Bereich lässt sich besonders gut über die Zukunft der Arbeit forschen, denn, so Egbert Rühl, Chef des Verbandes:
    "Eine der Spezifika der Kreativwirtschaft ist ja, dass wir wirklich sehr viele kleinste und kleine Strukturen haben, die sich immer wieder vernetzen, um sozusagen temporär anwachsen zu können, die aber auch wieder in der Lage sind zu schrumpfen. Die nicht diese Riesenapparate aufbauen, wie wir es von großen Industrieunternehmen gewohnt sind."
    Befürchtung einer digitalen Spaltung in Deutschland
    Es ist dann auch vor allem eine digitale Elite, die auf dem Kongress zu Wort kommt. Das gibt Gesche Joost zu bedenken. Die Berliner Designprofessorin ist Beraterin der Bundesregierung und war Expertin für Digitales im Wahlkampfteam von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Sie fürchtet eine digitale Spaltung in Deutschland, die sich nicht nur an Altersgrenzen festmacht:
    "Die digitale Spaltung ist vielleicht heute schon Realität. Es gibt ganz viele Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, weil sie gar nicht begreifen, wie stark der digitale Wandel auch ihren Alltag durchdringt. Und diese Idee, dass man auch offline sein könnte, ist einfach nicht mehr durchführbar. Es betrifft nicht nur eine Altersspaltung, sondern auch Zugang zu Technologien beispielsweise: Viele haben gar keinen Rechner zuhause oder haben keinen Internetzugang auf dem Lande."
    Hier ist sicherlich die Politik gefragt. Ansonsten hört man auf dem Kongress immer wieder, dass der Wandel von unten ausgehen muss, dass Menschen eigenständig neue Lebens- und Arbeitsmodelle ausprobieren sollen. Dafür braucht es Experimentierräume in den Städten. Als solcher versteht sich das Hamburger Gängeviertel, das vor sechs Jahren von Künstlern besetzt wurde und heute mit der Stadt um seine Selbstverwaltung kämpft. "Urbane Resilienz" nennt Michael Ziehl vom Gängeviertel das, was dort erprobt wird:
    "Das bezeichnet die Widerstandsfähigkeit der Stadt durch Anpassungsfähigkeit an die Folgen von Krisen. Wir haben bisher das Leitbild der Nachhaltigkeit, wo man immer versucht, Krisen vorzubeugen. Und mittlerweile schlägt die Einsicht durch, dass Krisen sich nicht vermeiden lassen und wir Umgang finden müssen mit den Folgen."
    Zwischen Aufbruchseuphorie und Endzeitstimmung
    Dabei geht es vor allem darum, soziale Strukturen wie nachbarschaftliche Hilfe wieder zu aktivieren, die früher selbstverständlich waren, in einer zunehmend funktionalisierten und anonymisierten Stadt aber verloren gegangen sind. Die Stimmung auf dem Kongress schwankt zwischen Aufbruchseuphorie und Endzeitstimmung: So vieles scheint möglich in der digitalen Welt, nur die Frage, wie sich dabei Geld verdienen lässt, bleibt weitgehend unbeantwortet. Die Videobotschaft, mit der sich Arbeitsministerin Andrea Nahles an die Kongressteilnehmer wendet, verrät vor allem Ratlosigkeit. Auch Egbert Rühl von der Kreativgesellschaft setzt keine Hoffnung in die Politik:
    "In diesen Phasen der Orientierungslosigkeit gibt es natürlich immer eine Strategie, und die heißt: Das Alte sichern. Rente mit 63, Mütterrente, aber auch der Mindestlohn, das sind Strategien von gestern, die natürlich die Fragen der Zukunft nicht beantworten können."
    Bessere Antworten auf diese Fragen waren auf dem Kongress allerdings auch Mangelware.