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Workshop
Wie Blinde fotografieren

Fotografieren scheint ein eher unübliches Hobby für Blinde zu sein. Doch die Berlinerin Silja Korn fotografiert seit Jahren, ohne sehen zu können. Ihre Bilder veröffentlicht sie auf einem Blog. Nun hat sie in einem Workshop ihre Kenntnisse an andere Blinde weitergegeben.

Von Juliane Neubauer | 21.12.2015
    Eine Frau fotografiert das Brandenburger Tor in Berlin
    Eine Frau fotografiert das Brandenburger Tor in Berlin: Silja Korn unternimmt regelmäßig Foto-Streifzüge durch die Stadt. (imago/Westend61)
    "Hast du schon eine Idee, was du fotografieren willst, oder sollen wir dir was hinstellen?" - "Ein Gruppenfoto von allen." - "Er will ein Gruppenfoto machen, also stellen wir uns mal alle zusammen hin."
    In der kleinen Galerie, in der Berliner Brotfabrik, wagen rund ein Dutzend Neugierige ein Experiment. In einem Workshop wollen sie erfahren, wie man auch ohne zu sehen bewusst fotografieren kann. Jörg ist groß, trägt einen schicken Anzug, eine Art Jägermütze und eine dunkelblaue Augenmaske. In den Händen hält er eine kleine silberne Digitalkamera, auf deren Display zu sehen ist, was er fotografieren wird. Neben ihm steht Sami und assistiert ihm, sodass er den gewünschten Bildausschnitt finden kann. Der Sozialpädagogikstudent hat schon Erfahrung mit blinden Fotografen. Sami schaut auf die Digitalanzeige und beschreibt, was er sieht:
    "Also oben hast du noch sehr viel Platz" - "Also könnte ich runter gehen." - "Genau, jetzt hast du auf der rechten Seite noch ein bisschen viel Wand und links hast du nicht alle Personen mit drauf." - Ja das meinte ich, das hatte ich schon so im Gefühl, von dem akustischen Reiz. Dann so." - "Genau."
    Auch Geburtsblinde wagen sich ans Fotografieren
    Sami ist über Silja Korn auf das Thema "Fotografien von Blinden" gestoßen. Silja ist seit ihrem 12. Lebensjahr durch einen Unfall erblindet. Das war vor 38 Jahren. Zur Fotografie ist sie vor zehn Jahren gekommen. Inspiriert durch eine Künstlerin, die sie gebeten hat, in Berlin einige Fotos aufzunehmen. Für Silja Korn war das ein Schlüsselerlebnis:
    "Wie sie mir dann später beschrieben hat, was sie auf meinen Fotos sieht, sind wir in den Kontakt getreten, und da habe ich gemerkt, da geht wieder so ein Fenster auf zu der Welt, die ich ja verlassen musste, weil ich blind geworden bin und das fand ich sehr interessant und sehr schön."
    Eine Frau steht in der Ecke eines Raumes, an den weißen Wänden hängen Fotografien, rechts und links neben der Frau stehen Kleiderpuppen.
    DLF-Reporterin Juliane Neubauer, fotografiert von Silja Korn. (Silja Korn)
    Die blinde Fotografin veröffentlicht ihre Fotos auf ihrem Blog im Internet. Oft wirken ihre Bilder wie Schnappschüsse. Sie kennt blinde Fotografen, die Helligkeit wahrnehmen können und mit Schatten arbeiten, erzählt sie. Ob denn auch Blinde, die mit ihrem Handicap geboren wurden, Interesse am Fotografieren hätten, fragen die Workshop-Teilnehmer. Es sei zwar schwierig, sich die Bilderwelt Sehender vorzustellen, erklärt Silja Koch, doch die Kunstwelt öffne sich zunehmend auch denjenigen, die sie nicht sehen können.
    "Dadurch, dass es auch viele Führungen für Blinde gibt im Museum und so weiter, gibt es schon mehr Interesse auch, dass Geburtsblinde da auch daran teilnehmen und sich auch da heran wagen."
    Assistent soll keine Tipps zum Bildaufbau geben
    Meistens geht Silja ohne Assistenten auf Fototour, sagt sie, dennoch habe es Vorteile jemanden an ihrer Seite zu haben, um Dinge wahrzunehmen...
    ".., die ich so gar nicht erspüren kann, zum Beispiel die Skulpturen, die habe ich gar nicht so gemerkt. Ich habe gemerkt, dass die Wände hier irgendwas haben, aber ich dachte, dass wären vielleicht so Vorsprünge, aber dass hier Skulpturen sind, das habe ich gar nicht so gewusst, und das würde ich ja dann durch den Assistenten schon erfahren, das hier eine Skulptur ist, die vielleicht interessant für mich sein könnte, wo ich sie mir vorher abtaste und dann versuche sie zu fotografieren."
    Dabei sei es wichtig, dass der Assistent möglichst objektiv beschreibt, was der Fotograf im Visier hat - ohne Tipps zum Bildaufbau zu geben. Schließlich möchte der Fotograf selbst entscheiden, wann er das richtige Motiv gefunden hat.
    "Jetzt hast Du alles Personen mit drauf, von den Füßen bis zum Kopf hin. – Ah, das ist gut."
    Gut drei Minuten versucht Workshop-Teilnehmer Jörg mithilfe von Assistent Sami, den Bildausschnitt so zu treffen, wie er es sich vorstellt. Er löst aus.
    "Ich mach mal hier jetzt."
    Es geht um mehr als Ästhetik
    Gespannt nimmt er seine Augenmaske ab, um das Ergebnis zu begutachten. Jörg sieht sich das Bild auf dem kleinen Display der Digitalkamera an und beschreibt, was er fotografiert hat:
    "Wir haben hier eine Gruppe von neun Personen vor Bildern und die Leute stehen hier schön aufgereiht und gucken in die Kamera."
    Jörg bemerkt, dass ihm die Bildbeschreibung schwerfällt. Er bittet die Workshop-Teilnehmer um Hilfe. Silja Korn, die auch Teil der abgelichteten Gruppe ist, bietet an zu beschrieben, wie sie sich das Bild, ohne es sehen zu können, vorstellt.
    "Wie man so beim Gruppenfoto steht, vorne und hinten ein paar Leute." – "Ja" – "Und dann standen wir dort und haben versucht zu lächeln. Was immer schwer ist, wenn man das so lange machen muss." – "Ja, und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es den Leuten ein bisschen lange gedauert hat."
    Jörg sieht sich noch einmal das Foto an und fokussiert auf der Digitalkamera die Gesichter. Er ist überrascht. Tatsächlich sieht man den Personen die Ungeduld in ihren Gesichtern an. Vor allem der Austausch mit Sehenden über ihre Arbeit mache für sie die Faszination der Fotografie aus. Denn die Wirkung eines Fotos gehe für sie und schließlich auch für die sehenden Workshopteilnehmer über die reine Ästhetik hinaus.