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Wortkarriere
Lieber versifft als verbiestert

Alternativ - so nannten sich einmal Ökos und Weltverbesserer. Jetzt haben diejenigen das Wort gekapert, denen Deutschland über alles geht. Und der "America first"-Präsident schafft gleich alternative Fakten.

Von Christiane Florin | 24.01.2017
    Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA.
    Demonstranten der "Jungen Alternative" in Jena wollen Angela Merkel 2017 im Gefängnis sehen – eine Kopie der "Lock Her Up"-Kampagne von Donald Trump gegen Hillary Clinton in den USA. (dpa / picture alliance / Martin Schult)
    Hören gerade ein paar ältere Alternative zu? Schön. Bestimmt erinnern wenigstens Sie sich daran, was das einmal war: eine Alternative. Es gab zum Beispiel in der Politik die Alternative Liste für Umwelt und Naturschutz. Das war nicht nur eine Partei, das war eine Haltung. Man ging auf Anti-Atomkraft-Demos, schrotete sein Müsli selbst und batikte wahlweise für den Frieden oder gegen das Waldsterben. Die ersten alternativen Abgeordneten im Deutschen Bundestag strickten und stillten, auch die Männer. Sie fuhren Rad statt Dienstwagen und tauschten ihre Volksvertreter alle zwei Jahre aus. "Wer zwei Mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", hatten schließlich die Ahnherrn Ende der 60er gerufen. Im Bundestag hieß das Rotationsprinzip. Die anderen Parteien lachten darüber. Irgendwann verzichteten die Alternativen aufs Rotieren und blieben auch vier Jahre lang sitzen. Im Gegenzug kauften sich die Nicht-Alternativen eine Getreidemühle fürs Frischkornmüsli und CDUler, die zu Studentenzeiten noch jeden Atomkraft-Nein-Danke-Sticker von der Uni-Klotür gekratzt hatten, beschlossen den Ausstieg aus der Kernenergie. Das Aus für die Atomreaktoren sei alternativlos, sagte die Kanzlerin. Was jetzt noch rotiert, sind die Räder der Windkraftanlagen.
    Wenn die Alternative alternativlos wird, dann hat sie es geschafft. Vom Bioladenmuff der 70er zur strahlenden oder besser strahlenfreien Zukunftsverheißung. Mehr geht nicht.
    Aber Anderes. Seit einiger Zeit ist das Alternative wieder da. Für Deutschland. Für Amerika. Für Frankreich. Die "Alternative für Deutschland" will Schluss machen mit der links-grün-versifften Republik. Die alten Alternativen ängstigten sich vor dem sauren Regen, die neuen haben Angst vor fremden Menschen. Was den Alten die Stoppt-Strauß-Plakette war, ist den Neuen der Schlachtruf "Merkel muss weg".
    Die Alternative für Amerika hat gleich alternative Fakten geschaffen. Die höchste Besucherzahl, die es bei der Amtseinführung eines amerikanischen Präsidenten gab, wurde Donald Trump zuteil. Er ist kein Frauenfeind, sondern ein alternativer Feminist. Er hetzt und hasst nicht, er liebt alternativ. Echt jetzt. Lügen ist das andere ehrlich, rät seine Beraterin.
    "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" – auf diesen Satz könnte Donald Trump so inbrünstig schwören wie auf die Bibel seiner Mutter. Wenn er denn Humor hätte. Aber die Mienen der neuen Alternativen sind saurer als es der Reagan, Pardon, der Regen der 80er je war. Witzlos ist alternativlos, die Lage ist ernst. Joschka Fischer sagte einst im Hohen Haus: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch." Das Protokoll verzeichnete damals Erheiterung. "Ihr könnt mich alle mal" – eine solche Haltung im Weißen Haus findet niemand zum Lachen. Lieber versifft als verbiestert, möchte man seufzen. Geht aber nicht mehr. Verbiesterung heißt jetzt alternativer Humor.
    Für Alternative vom alten Schlag ist Angela Merkel nun die alternativloseste Alternative aller Zeiten. Menschenfreundin und Müslimischerin. Alternative vom alten Schlag wollten die Welt verbessern. Jetzt kommt die Welt abhanden vor lauter Amerika zuerst, Deutschland zuerst, Frankreich zuerst. Weltverbesserer sind das Allerletzte. Seit vorgestern haben wir hier einen Extra-Ticker für alternative Fakten. Und Sie, liebe Alt-Alternative und Weltverbesserer, werden daraus zuerst bedient. Gerade läuft eine neue Meldung ein: Donald Trump hat sich dem Marsch der Frauen angeschlossen, nur mit einem Batik-Shirt bekleidet und den jüngsten Sohn stillend.