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Wortlabyrinth

Manchmal, und das ist durchaus typisch für die Erzählerin Anne Weber, wechselt der Ton vom Ironisch-Verspielten ins Ernsthaft-Bedeutsame über. Alle Deutung des Sichtbaren, schreibt sie in ihrem neuen Prosabuch Besuch bei Zerberus, sei "in Wahrheit" - ja, so emphatisch steht es da – sei in Wahrheit nur des Betrachters eigener Wunsch nach Verstehen und, darauf kommt es an, die persönliche, unermüdlich wiederholte Deutung seiner selbst.

Von Martin Krumbholz | 07.07.2004
    In jeder Blume, jedem Kerzenflackern, jeder Vogelbahn am Himmel, sogar im erahnten Überirdischen sieht der Schauende, jedenfalls solange er das Bedürfnis nach Deutung nicht unterdrücken kann, immer wieder die eigene Wut, das eigene Aufbegehren, die eigene Resignation. Diese Egozentrik ist ihm unvermeidbar und als Unmöglichkeit, über sich hinaus- oder hinweg-, hinter- oder vor sich her- oder unter sich hindurchzudenken, angeboren. In der Körperhaltung eines Pfaus oder der Mimik eines Schimpansen kann er nur die Ausdrucksvariationen erblicken, deren er selber fähig ist.

    Egozentrik, sagt Anne Weber, darin ist ein Tadel unüberhörbar; man könnte auch von Subjektivismus und Projektion sprechen. Das deutende Subjekt nimmt an sich selber Maß. Das letzte Buch von Anne Weber hieß: Erste Person.
    "Ich werde niemanden erfinden, denn ich berge die Welt", wurde dort selbstbewusst erklärt. Heraus kam am Ende so etwas wie ein humoristischer Essay über das Ich und die Welt, ein geistreiches Assoziationslabyrinth. Das Geschichtenerzählen aber war passé. Und so ist der eingangs benutzte Begriff "Erzählerin" eigentlich zurückzunehmen. Erzählt wird nicht, macht die Autorin des Bändchens Besuch bei Zerberus klar. Dieses wortverliebte schmale Buch besteht aus lauter Verneinungen. Kein Plot, keine erfundenen Figuren, keine allgemeinen Wahrheiten. Was bleibt, neben dem Assoziations- und Bedeutungsnetz, in dem die Dichterin wie eine Spinne sitzt und eine metaphorische Fliege nach der anderen verspeist, ist die Keimzelle einer Fabel: eine Reise in den südfranzösischen Ort Cerbère, kurz vor Port Bou gelegen, dem Ort, an dem Walter Benjamin sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm.

    Aber zur handgreiflichen Fabel ausgesponnen wird das Motiv nicht; bald verdichtet es sich zu einem mythologischen Fluchtpunkt: der Ortsname erinnert an den des Zerberus, des dreiköpfigen Hundes, der den Eingang der Unterwelt bewacht.
    An der Schnittstelle zwischen profaner Realität und Mythologie oder eben auch, in diesem Fall: am Eingang zur Hölle hält Anne Weber sich gern auf. In ihrem wunderbaren alttestamentarischen Geschichtenbuch Im Anfang war hat sie die prallen und oft genug schrecklichen Geschehnisse, die wir aus der Bibel zu kennen glauben, neu gelesen, paraphrasiert, dekonstruiert, auf den Kopf gestellt. Ein Feminismus der sanften Art war das, denn die Geistesblitze, die Anne Weber in die heiligen Texte unserer Väter sausen liess, schlugen ein, ohne zu zerstören; sie zeigten Konsistenzlücken auf oder auch Leerstellen, die Autorin und Leser beschäftigten. Im Zerberus-Buch richtet Anne Weber ihren Schreibehrgeiz, so sagt sie, auf einen Text, "in dem die Sprache umgestülpt wäre wie ein Strumpf":

    Die Welt nach links zu drehen, das wäre eine Beschäftigung, an der ich dauerhaft Freude haben könnte. Nun finge es natürlich schon damit an, dass die deutsche Sprache, wenn sie nach links drehen sagt, in Wahrheit das Innere nach außen kehren meint. So geht das dann immer weiter, ein Missverständnis gibt das andere.

    Hier wird das Programm ein wenig unscharf. Worin besteht das Missverständnis? Meint die Autorin etwas anderes als "die deutsche Sprache"? Was könnte es bedeuten, "die Welt nach links zu drehen"?

    Die Antwort hat Anne Weber in Im Anfang war gegeben: es heißt, den Sachen auf den Grund gehen, sie wörtlich nehmen, eigensinnig hinterfragen. In ihrem jüngsten Buch verliert die Autorin viel Zeit damit – es ist ihr Ausdruck -, mögliche Optionen auszuschließen: keine Geschichte, also kein Roman, keine Novelle, aber auch keine Aphorismen; kein Whiskey – zum Whiskey gehörte "eine ganz andere, eine viel härtere Prosa als die meine" -, keine Zigarette im Mundwinkel, kein Agentenvorschuss, keine sorgfältig miteinander verflochtenen Erzählstränge. Was aber dann? Was passiert an der erwähnten Schnittstelle zwischen Realität und Mythologie, zu der Weber den Ort Cerbère verdichtet? Zunächst wird der Hund für einmal aus der Mythologie befreit, es ist ein Allerweltshund, wie er jedem Passanten nach springt, und dezidiert unfreundlich ist er auch nicht:

    Ich umhalse den Hund wie einen struppigen Liebhaber; Bedeutungen fliessen als warme Strömungen unter uns hinweg. – Schliesslich steigen wir zusammen aus dem Wortfluss heraus und schütteln uns das Wasser aus dem Fell: so entsteht ein gutes Buch, das auch Generationen später noch in Klarsichtfolie eingepackt in den Schulranzen liegt.

    Ist es so einfach? Oder ist im ironischen Zersetzungsprogramm dieses Textes auch das "gute Buch" nur eine Chiffre für den allgemeinen Unsinn, der mit Verachtung zu strafen ist?" Gedanken führen zu nichts, das ist das Schöne an ihnen." Schön in ihren eleganten Schlingerbewegungen ist auch diese Prosa, und auch sie führt zu nichts. Vielleicht wird diese Ausweitung der Leerstelle aber doch eine Spur zu kokett betrieben. Vielleicht hat Anne Weber sich diesmal auf elegante Weise in den Fallstricken der Selbstdeutung verfangen, sich im eigenen Wortlabyrinth begeistert verlaufen.
    Martin Krumbholz

    Anne Weber
    Besuch bei Zerberus
    Suhrkamp, 111 S., EUR 18,90