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Wortmusik

Gereist wird bei Brigitte Kronauer oft ins Gebirge. So auch in ihrem neuen Buch "Errötende Mörder". Kronauer nimmt dafür Anleihen bei Krimi, Western, erotischer Legende und Roadmovie.

Von Jörg Plath | 05.11.2007
    "Errötende Mörder" ist eine beinahe typische Wendung von Brigitte Kronauer. Sie zwingt tödliche Gewalt und zarte Scham zusammen, und bevor die Haltlosigkeit der Kombination offenbar werden kann, hat der Binnenreim mit "ö" beides am Bewusstsein vorbeigeschleust. "Errötende Mörder" heißt der neue Roman der Hamburger Schriftstellerin. Nach der Hommage an den Maler James Ensor in ihrem letzten, kunstvollen und nicht immer leicht zu lesenden Roman "Verlangen nach Musik und Gebirge" handelt es sich um ein Werk, bei dem sich Brigitte Kronauer allem Anschein nach gut amüsiert hat.

    Der Roman "Errötende Mörder" enthält eine Geschichte mit demselben Titel, in der sich ein 39-jähriger Motorradfahrer in Ledermontur unvermittelt in einem Bus voller ihm unbekannter, munter, weniger munter und auch dement plappernder Senioren wiederfindet. Niemand außer ihm wundert sich, und aussteigen kann er auch nicht.

    "Für mich war der Anfang die 'Errötenden Mörder', also diese Zentralgeschichte von den alten Leuten, bei der das, sagen wir mal, die Herausforderung für mich darin bestanden hat, über dieses ja eigentlich todtraurige Thema, was ich auch nicht so gerne bei anderen Leuten lesen würde, und auch die Berichterstattung über alte Leute mich oft entgeistert, dass ich es auf jeden Fall durch irgendeinen Dreh komisch machen müsste. Anders ist das nicht zu ertragen, und in Wirklichkeit sind ja auch viele Aspekte komisch. Und dann schien mir trotzdem, dass diese Geschichte allein so nicht stehen sollte. Ich fand, die müsste irgendwie flankiert werden."

    Also kamen noch zwei Geschichten hinzu und eine verbindende Rahmenhandlung mit einem 40-jährigen Kleinunternehmer namens Jobst Böhme, der sich wie ein Pappkamerad fühlt. Er sieht seiner Scheidung von der gleichaltrigen Ehefrau und der Neuverheiratung mit einer 23-jährigen Angestellten nicht nur ohne die erwartbaren Gefühle, sondern sogar fast ohne Gefühle entgegen. Einer seiner Kunden rät zum Kurzurlaub und bietet eine Gebirgshütte an. Als einzige Gegenleistung verlangt der freundliche Mann, ein Schriftsteller, die Lektüre dreier Manuskripte von ihm - es sind jene Geschichten, zu denen auch "Errötende Mörder" gehört. Böhme fährt ins Gebirge, wandert, vertieft sich jeden Tag gewissenhaft in ein anderes Manuskript und verändert sich unmerklich, aber gewaltig.

    Solche erstaunlichen Konsequenzen des Lesens glaubhaft zu machen, ist nicht leicht. Doch Brigitte Kronauer bringt in den nur drei Tagen zudem noch eine unio mystica sowie stärkste Hassgefühle unter.

    "Also, ich hoffe eigentlich, dass das fast lautlos in einer sich natürlich beschleunigenden Steigerung passiert.""

    Das tut es, weil Kronauer ein Gespinst aus Andeutungen entwirft, in dem Naturwahrnehmungen, Namensverwechslungen, Erinnerungsbruchstücke, selbst eine dunkle Öffnung hinter einem Waschbecken beständig über sich hinausweisen. Etwas gesucht wirkt nur Böhmes Hass auf einen anderen Wanderer, der sich am Ende bis zur Mordlust steigert. Mehr lässt sich allerdings, ohne den Verdacht der Banalität zu erregen, nicht nacherzählen von den etwa 80 Seiten der andeutungsreichen, aber ansonsten ausgesprochen kargen Rahmenhandlung.

    Brigitte Kronauer lag mehr an der Wortmusik. Insbesondere in der Erzählung "Errötende Mörder" plappern die Alten wunderbar haltlos und sogar etwas zu lange drauflos. Die kollektive Suada der "Betagtenbande" aus Goethe-Versen, kleinen Gemeinheiten, Erinnerungen und Phrasen, Phrasen, Phrasen zermürbt den Motorradliebhaber, bis er am Strand der Ostsee seine Mutter als junge Frau und ein Segelschiff erblickt. Es ist eine mystische Erfahrung, die ihm beinahe den Kopf sprengt, was Kronauer von einem spöttischen Erzähler kommentieren lässt.

    Von der Kraft der Worte handelt die dritte Erzählung: In ihr stellt sich eine Frau im Dom eine Touristengruppe vor und erzählt dieser vor einem beinahe unkenntlich gewordenen Steinfries von ihren Begegnungen mit einem so unheimlichen wie anziehenden Mann als Heiligengeschichte. Schmiegt sich die Frau in eine alte Form, so sucht in der ersten Erzählung ein von seiner Freundin verlassener und wunderlich gewordener Mann Rettung bei den Dingen: Er häuft sie in seiner Wohnung an und glaubt, ein Fremder wolle ihm den Schatz seiner Sammlung rauben. Der Sammler in der Wohnung, der Motorradfahrer unter Alten, die Beinahe-Ehebrüchige mit der Heiligengeschichte - die recht schrägen Anleihen bei Krimi, Roadmovie, Legende, erotischer Erzählung und Western präsentieren Einsame, aus der Bahn Geworfene.

    Einsame? Nun, einsam seien ihre Figuren ja meist, wendet Brigitte Kronauer nicht zu Unrecht ein.

    "Man könnte ja diese drei inneren Geschichten und auch diese, wenn man das jetzt Rahmengeschichte nennt, durchaus alle vier, als Geschichten über das Wegwerfen, über das Betrachten der Dinge, oder das zum Abfall deklarierende, das meiner Ansicht nach ein ganz wesentliches mentalitätsbestimmendes Faktum unserer Gegenwart ist ... "

    Auf dem Abstellgleis befinden sich Böhmes Ehefrau, die vom Sammler geretteten Dinge, die Alten um den Motorradfahrer, auch der beunruhigend-attraktive Fremde der Touristenführerin. Doch Böhme wirft am Ende nichts weg. Er bleibt im Gebirge und rüstet sich für einen Western-Showdown mit dem anderen Wanderer: Der Pappkamerad hat den Karton verlassen. Wie schon in dem Roman "Teufelsbrück" wählt Kronauer die Berge als Szenerie dieser Papp-Entgrenzung. Was reizt die in Hamburg nahe der Elbe Wohnende an den Gipfeln?

    "Ganz, sagen wir, platt zunächst mal könnte ich sagen: das Extrem. Und wenn ich das etwas mir so vor Augen führe, was ich da genau mit meine, dann ist das nicht nur die Höhe, sondern es ist das Wegfallen des Mittelgrundes. Eine Mittelgebirgslandschaft ist dagegen viel lieblicher, aber auch konventioneller. Während eben im Hochgebirge manchmal durch eine kleine Wölbung alles, was jetzt zwischen dem Steilaufragenden, zwischen der Felswand, noch ist, weggeschnitten wird und wirklich zwei scharf die Räumlichkeit eigentlich leugnende Extreme gegeneinander gesetzt werden - hier das Niedrige, und dann, umso gewaltiger, der Hintergrund. Also, es wirkt außerordentlich unkonventionell auf meine Flachländeraugen, und, ja, das ist wohl auch etwas, was mich in der Literatur besonders fesselt."

    Das wiederum gilt für fast alle Bücher von Brigitte Kronauer. Mit ihnen verglichen ist "Errötende Mörder" trotz seiner 330 Seiten ein ungemein schlankes Werk: Kronauer hat noch mehr als sonst den Mittelgrund ausfallen lassen. Beinahe ohne Handlungszierrat grenzen die Niederungen im grellen Licht einer oft komischen Wortmusik an steile Grate. Ein Tonfall gewohnt präziser und gewitzter Garstigkeit fährt kräftig drein in die "Generalscheußlichkeit" der Welt, zwischen die "sowohl krachbunten wie nebelkrähengrauen Besichtigungstrupps" der Touristen und den ununterbrochenen Siedlungsbrei aus "Tattoo Piercing, Dancing, Dorfkrug, Autosalon, Sparkassenfiliale, House of Hair". Über weite Strecken ist "Errötende Mörder" absurdes Gegenwartstheater.

    Brigitte Kronauer: Errötende Mörder
    Klett-Cotta, Stuttgart 2007
    334 Seiten, 21,50 Euro