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Wortspiele in Fukushima

Kernenergie. - Neun Monate nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima hat die japanische Regierung das Atomkraftwerk Fukushima für sicher erklärt und beruft sich dabei auf die Betreiberfirma Tepco. Die durch Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten Reaktoren seien in einer Kaltabschaltung unter Kontrolle gebracht worden. Die Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich erklärt im Gespräch mit Jochen Steiner, was darunter zu verstehen ist..

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Jochen Steiner | 16.12.2011
    Steiner: Frau Röhrlich, wenn der japanische Ministerpräsidenten Noda erklärt, die Atomruine sei unter Kontrolle, sollte man ihm das abnehmen?

    Röhrlich: Das kommt dann sehr darauf an, wie man das Wort "Kontrolle" definiert. Wenn man glaubt, es sei so, dass dann alles in Ordnung ist und nichts mehr passieren kann, dann kann man ihm das leider nicht abnehmen. Es ist so, dass die akute Situation vorüber ist. Also wenn jetzt aus irgend einem Grund, sei es ein neuer Tsunami oder was auch immer da möglich ist, die Kühlung ausfiele, dann würde es nicht binnen Stunden eine neue Katastrophe geben. Man hat jetzt sehr viel mehr Zeit zu reagieren, ehe dann wieder sich diese erstarrte Schmelze, die sich in dem Beton reingefressen hat in den drei Druckbehältern, oder auch die Brennelemente, die in den Brennelementebecken lagern, ehe die sich dann wieder so weit aufgeheizt haben, dass es dann wieder zu schlimmeren Freisetzungen kommen könnte. Wobei unklar ist, wie schlimm das noch einmal werden kann. Das wird Wochen dauern. Aber es ist nicht so, dass es vorbei ist. Und man kann auch nicht sagen, es gibt keine Kettenreaktion mehr, oder es kann keine Kettenreaktion mehr geben. Denn im Moment liegen ja die früheren Brennelemente als erstarrte Schmelze mehr oder weniger erstarrte Schmelze unten in den Reaktordruckbehältern und zum Teil noch sehr viel tiefer, dass sie sich ins Fundament eingebrannt haben. Und da können durchaus Nester sein, wo der Kernbrennstoff so beieinander liegt, dass es wieder für eine kurze Zeit zu einer Kettenreaktion kommen kann. Die wird sich aber dann wieder selbst, falls sie überhaupt ans Laufen kommt, wieder selbst sozusagen auslöschen. Nur, unter Kontrolle im Sinne von "Alles ist geregelt", ist es nicht.

    Steiner: Es heißt ja, die Atommeiler seien im Zustand der Kaltabschaltung. Was bedeutet das denn eigentlich?

    Röhrlich: Das ist ein Begriff, der eigentlich nur für einen normalen Reaktor, der in Ordnung ist, zutrifft. Dann ist die Temperatur unter 95 °C, es ist kein Druck mehr in dem System drin und es wird kaum noch Strahlung freigesetzt, nämlich dieses eine Millisievert pro Jahr, was jetzt gesagt wird, was der Grenzwert ist für normale Bürger, die um ein Kernkraftwerk wohnen oder eine sonstige Anlage. Die sollen insgesamt durch irgendwelche kerntechnischen Anlagen nicht mehr als ein Millisievert pro Jahr an zusätzlicher Strahlung abbekommen. Und Tepco erklärt, diese Werte seien jetzt erreicht, aus diesen Anlagen käme nicht mehr als ein Millisievert pro Jahr heraus. Aber das sind natürlich keine normalen Anlagen, das sind völlig zerstörte Reaktoren, und von daher ist Kaltabschaltung schon sehr euphemistisch ausgedrückt.

    Steiner: Wie ist denn momentan die Lage vor Ort? Was wird getan, um die Radioaktivität weiter einzudämmen?

    Röhrlich: Dass demnächst erklärt wird, dass der Unfall kalt abgeschaltet ist, weil Tepco den Ausdruck so gerne verwendet, das war eigentlich schon klar, seitdem Soldaten in die 20-Kilometer-Zone geschickt worden sind. Denn nun ist ein Schnitt erreicht, wo man sagt, es wird nichts gravierendes mehr passieren. Wir können die Leute dort, wo die Strahlung nicht zu hoch ist, zurückholen. Und es ist so, dass die Soldaten dort jetzt eingesetzt werden, um in einigen Kleinstädten und Dörfern sozusagen Stützpunktgebiete zu reinigen, von denen aus man dann in die flächige Reinigung hineingehen kann. Und in Fukushima selbst, im Reaktor, da werden jetzt für die Reaktoren 2 und 3 Ummantelungen vorbereitet. Man ist derzeit dabei aufzuräumen und man wird eine große Mauer bauen, um zu verhindern dass aus dem Untergrund stark belastetes Grundwasser ins Meer gelangt. Da sind viele Arbeiten, die laufen. Aber ehe das ganz in Ordnung sein wird, da wird im Moment davon ausgegangen, dass es 40 Jahre dauern wird.