Samstag, 20. April 2024

Archiv


Wozu eine Reformation für den Islam gut wäre

Einer der Vorwürfe, die man dem Islam und den islamischen Staaten macht, ist dass Staat und Kirche nicht streng genug getrennt seien. In Deutschland gibt es die strikte Trennung erst seit dem 11. August 1919, mit der Weimarer Verfassung. Vorher gab es von Gottes Ganden ein Kaiserreich.

Von Cajo Kutzbach | 02.12.2010
    Vor hundert Jahren lebten in Europa Muslime und Christen friedlich zusammen, als der österreichische Kaiser Franz Josef im annektierten Bosnien-Herzegowina einerseits jene Teile der Scharia, des islamischen Rechts, in Kraft ließ, die sich auf die Familie und den Gottesdienst beziehen, und andererseits Scharia-Richter ausbilden ließ, um die Modernisierung des Islams im Lande voranzutreiben. Dazu Prof. Enes Karič von der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität in Sarajevo:

    "Bosnien-Herzegowina, so berichtet Karič, war unter der Österreich-Ungarischen Herrschaft von 1878 bis 1918 ein säkulares Land. Damals wurden bereits Erfahrungen gesammelt, wie man in einer säkularen Gesellschaft mit islamischen Traditionen leben kann. Das könne auch ein Modell für die Etablierung des Islams in Europa sein."

    Enes Karič - der 1994 bis 1996 bosnischer Kultusminister war - verwies auf eine ganze Reihe prominenter muslimischer Denker und deren Bücher, die sich mit einer Weiterentwicklung des Islams beschäftigen:

    "In den muslimischen Gemeinschaften, so schildert Karič, gab es immer wieder Persönlichkeiten, die im 19. und 20. Jahrhundert eine Art von islamischen "Protestantismus" befürwortet haben, so ähnlich, wie bei Martin Luther."

    Es geht also nicht um eine Glaubensspaltung, sondern eine Reform des bestehenden Islams. Es gibt auch im Islam Denker, die eine Trennung von Staat und Glauben für sinnvoll halten. Die Religion bliebe dann eine Lehre, die einem sagt, wie man leben soll.

    Aber natürlich wirken der Glaube und seine Gebote auf den Staat zurück, erklärt Professor Stefan Schreiner, der sich an der Universität Tübingen mit Religionswissenschaft, Judaistik und Islam befasst:

    "Besonders deutlich wird das dann, wenn theologische Sätze, theologische Urteile etwa in Recht umgedeutet, oder uminterpretiert oder umgestaltet werden. Oder anders formuliert, wenn in rechtlichen Regelungen plötzlich religiöse Urteile zutage treten. Und das ist oft der Fall, wenn sie an das Kanonische Recht denken, oder auch das Scharia-Recht und so weiter, so gibt’s eine religiöse Wurzel dafür.

    Aber das Recht gewissermaßen ist ein Recht, dass die Gemeinschaft, oder Einzelne innerhalb einer Gemeinschaft, oder auch die Beziehungen zwischen Gemeinschaften im Alltag regeln. Das heißt, der religiöse Satz wird gleichsam umformuliert und in geltendes Recht gegossen."

    Schon am Beispiel der Ehe wird deutlich, dass sich Religion und Staat nicht vollständig sauber trennen lassen, denn für Katholiken ist die Ehe ein Sakrament, für den Staat eine Güter- oder Haftungsgemeinschaft.

    "Und da gibt es natürlich Probleme, wenn dann die Frage des Geltungsbereiches eines solch religiös begründeten Rechtes. Der säkulare Staat, der natürlich auf einer Trennung von Staat und Religion basiert, kennt aber dennoch den Bereich der sogenannten gemischten Angelegenheiten, der "res mixtae", wie man sie nennt.

    Also das heißt ein Zwischenbereich, manche nennen das auch eine "Grauzone", in denen es in einander übergeht sozusagen, was aus religiösen, was aus nicht religiösen Quellen kommt und dann im rechtlichen Bereich sich begegnet.

    Und es ist auch zugleich ein Bereich in dem Staat und Religion praktisch zusammenwirken, auch aufs Zusammenwirken angewiesen sind, wenn auch ein säkularer Staat, der damit leben muss, dass seine Bürger religiös geprägt sind, zurechtkommen will."

    Dass gläubige Juden, Christen oder Muslime sich mit Andersgläubigen schwer tun, hat grob vereinfacht zwei Gründe: Erstens beansprucht theologisch jede Religion aufgrund ihrer eigenen Offenbarungen Exklusivität. Für Juden und Christen erscheint undenkbar, dass es nach Moses, oder Christus noch eine Offenbarung gegeben haben soll. Muslime dagegen könnten sich als Vervollkommnung früherer Religionen fühlen, was die Ersteren nicht akzeptieren können. In Wirklichkeit haben sich die drei großen Weltreligionen so stark gegenseitig beeinflusst, dass selbst Fachleute Mühe haben die Zusammenhänge zu entwirren.

    Der zweite Grund ist zutiefst menschlich: Jeder möchte den rechten Glauben besitzen und nicht nur einen Glauben unter mehreren, denn jeder Mensch sehnt sich nach Sicherheit und danach das Richtige zu glauben und zu denken. Deshalb stellt jede andere Religion den eigenen Glauben infrage. Das auszuhalten fällt manchen Gläubigen schwer.

    Ist denn eine Weiterentwicklung des Islams vorstellbar; ein entspannteres Verhältnis zur Demokratie? Prof. Stefan Schreiner:

    "Ich denke schon, dass das durchaus möglich ist, denn wir müssen auch bedenken, dass sich Christentum und Demokratie miteinander vertragen, ist ja nicht so sehr das Ergebnis einer Entwicklung, die aus christlichen Quellen stammt, als vielmehr das Ergebnis - etwas scharf formuliert - der Domestizierung der Religion durch den säkularen Staat, beziehungsweise in diesem Fall sogar die Französische Revolution und die Folgen.

    Dann beginnt ein Umdenkungsprozess, der dann auf eine gewisse Aussöhnung zwischen Religion und Demokratie hin gelaufen ist. Aber: Der Anstoß kam zunächst einmal von außen. Und ich denke im Islam wird es nicht anders sein und ist es auch nicht anders.

    Und es ist wohl - glaube ich - kein Zufall, dass, so wie Prof. Karič sagt, die Anstöße aus der Begegnung sozusagen gekommen sind von unterschiedlichen Vorstellungen im Hinblick auf die Gestaltung der Gesellschaft. Und ich würde dem Islam prinzipiell nicht absprechen eine Entwicklung durchzumachen, die auch das Christentum genommen hat."

    Dass sich Religionen wandeln, ist wiederum für viele Gläubige schwer zu verdauen. Trotzdem rät der Islamwissenschaftler seinen Glaubensbrüdern in Deutschland dieses Land zu respektieren, Gesetze zu achten und den Islam als Religion zu leben. Er begründet das so:

    "Insgesamt sind in der Welt, auch in der islamischen Welt, die Länder stabiler, die säkular verfasst sind. Und außerdem, stellt Enes Karič fest, sei der Säkularismus in Europa nicht antireligiös."

    Säkulare Staaten sind sicher kein Allheilmittel, aber offenbar ein guter Kompromiss.
    Das im Aufbau befindliche Zentrum für Islamische Studien an der Universität Tübingen könnte also langfristig nicht nur dem besseren gegenseitigen Verständnis dienen, sondern auch zur Weiterentwicklung der Religionen und zu einem besseren, gelasseneren Umgang miteinander führen:

    "Das hoffe ich sehr, dass das gelingt. Es ist jedenfalls Teil des Projektes. Als der Wissenschaftsrat diese Empfehlungen Ende Januar dieses Jahres herausgegeben hat, war es ja auch zur Bedingung gemacht worden, für die Einrichtung eines solchen Zentrums, dass es sinnvollerweise dort entsteht, wo es einen entsprechenden Kontext gibt, nicht zuletzt in Gestalt von Theologischen Fakultäten und Philosophien und nicht konfessionellen Religionswissenschaften, Philologien und so weiter, um tatsächlich diesen Prozess der Akademisierung der islamischen Theologie auch entsprechend zu kontextualisieren. Dazu gehört natürlich das Gespräch über die Religionsgrenzen hinweg, über die Disziplinen hinweg. Dass das für beide Seiten Folgen haben wird, davon gehe ich mal aus."