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Würmer als Sparringspartner

Medizin. - Das Kind juckt es im Po, in seinem Stuhl schlängeln sich kleine, weiße Maden - Zeit für eine Wurmkur. Doch Forscher meinen, dass Darmwürmer auch ihre positiven Seiten haben, nämlich als Trainer für das Immunsystem.

Von Frank Grotelüschen | 27.06.2005
    Madenwurm, Hakenwurm, Peitschenwurm. Spulwurm. Hört sich nicht gerade appetitlich an, was Professor Jo Weinstock von der Tufts Universität in Boston da aufzählt.

    "Einige Arten sind nur ein paar Millimeter lang. Andere messen 30 Zentimeter. Milliarden von Menschen haben sie in ihrem Darm."

    Laut Weinstock gehören Würmer ebenso wie Darmbakterien zur normalen Darmflora. Vor 100 Jahren dürften in Deutschland alle Kinder Würmer gehabt haben, und niemand hätte sie behandelt.

    "Nur sehr wenige dieser Würmer verursachen Krankheiten. Trotzdem wurden die Würmer während der letzten Jahrzehnte eliminiert – durch Medikamente, bessere Hygiene, sauberes Essen. In den reichen Ländern haben die Kinder nur noch selten Würmer."

    Jahrmillionen lang koexistierten Mensch und Wurm in trauter Eintracht. Heute dagegen leben wir in einer wurmlosen Gesellschaft. Aber: Wir haben da vielleicht einen Fehler gemacht, vermutet Jo Weinstock. Denn:

    "Es gab in den letzten 50 Jahren einen dramatischen Anstieg bei den Immunkrankheiten: Asthma, Heuschnupfen, Morbus Crohn, die chronische Dickdarmentzündung. Und die Hinweise verdichten sich, dass ein Mangel an Darmparasiten dazu führt, dass unsere Kinder mit gestörten Immunsystemen aufwachsen. Sie scheinen nicht die angemessenen Regulationsmechanismen zu entwickeln, die wir brauchen, um ein Überschießen des Immunsystems zu verhindern."

    Das würde heißen: Würmer sind Freunde, keine Schmarotzer. Sie dienen unserem Immunsystem als eine Art Sparringspartner. Fehlt dieser Sparringspartner, entwickelt das Immunsystem eine Überreaktion, eine Hyperaktivität. Dann geht es zum Beispiel bei Morbus Crohn auf die gesunde Darmflora los – mit dem Resultat, dass der Darm chronisch entzündet ist. Eine gewöhnungsbedürftige Hypothese, das weiß auch Jo Weinstock.

    "Es ist noch zu früh, um Empfehlungen abzugeben. Wir können noch nicht wirklich sagen, was Eltern mit ihren Kindern machen und wie Kranke behandelt werden sollen. Aber es gibt schon Behandlungsansätze mit sehr ermutigenden Ergebnissen."

    Einen solchen Behandlungsansatz entwickelt die Hamburger Firma Ovamed. Deren Geschäftsführer heißt Detlev Goj.

    "Der Patient bekommt einen Drink. Sieht aus wie ein Schluck Wasser. Und in dieser klaren Flüssigkeit schweben etwa 2500 mikroskopisch kleine Eier eines ganz bestimmten Parasiten. Dieser Parasit nennt sich Trichuris suis und ist normalerweise im Schwein ein natürlicher Gast."

    Sauwohl fühlt sich der Wurm nur im Schwein. Im Menschdarm kann er sich weder einnisten, noch vermehren. Auf unser Immunsystem aber scheint der Fremdling dennoch einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

    "Das Ei siedelt sich im Dünndarm an der Darmwand ab, haftet und überlebt dort etwa zwei Wochen – und fordert so das Immunsystem des Menschen heraus. Möglicherweise scheidet es irgendwelche Proteine oder Enzyme aus, das wissen wir noch nicht so genau. Somit wird mit der Präsenz dieser Parasiteneier das Immunsystem derart stimuliert, dass es ein aus der Balance geratenes Immunsystem wieder ins Gleichgewicht bringen kann."

    80 Prozent der bisher behandelten Morbus-Crohn-Patienten seien nach der Wurmkur symptomfrei gewesen, behauptet Goj. Das Zulassungsverfahren läuft, klinische Studien sind in Vorbereitung. Sie sollen zeigen, inwieweit die Parasitentherapie tatsächlich wirkt und ob sich Risiken und Nebenwirkungen in Grenzen halten. Auf die Vollzulassung hoffen die Experten für 2010. Dann könnten sie sich sogar vorstellen, mit dem Schweinewurm ein Volksleiden in den Griff zu bekommen – Heuschnupfen und sonstige Allergien.