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Wüstenstrom für den Eigenbedarf

Energie. - Vor drei Jahren sorgte das Industriekonsortium Desertec (DII) für Schlagzeilen. Strom sollte in den Wüsten des Maghreb erzeugt und nach Europa exportiert werden, gleichzeitig die regionale Energieversorgung sichern und vor Ort neue Arbeitsplätze schaffen. Doch der Weg von der Vision zur Wirklichkeit ist weit. Noch ist kein einziges Projekt konkret geworden. Auf der dritten DII-Konferenz in Berlin wurde wieder nichts verkündet.

Von Ralf Krauter | 09.11.2012
    Die Industrie-Initiative Desertec könnte dringend einen Erfolg gebrauchen. Gelingt es ihr nicht bald, ein großes Referenzprojekt aufs Gleis zu setzen, läuft sie Gefahr, als Papiertiger zu enden. Noch unmittelbar vor der Konferenz in Berlin, zu der sich hunderte Fachleute aus Europa, Nordafrika und dem Mittleren Osten eingefunden hatten, sah es so aus, als stünde der Durchbruch bevor. Ein 600 Millionen Euro Projekt in Marokko schien fast schon in trockenen Tüchern: Ein 150 Megawatt-Sonnenwärmekraftwerk in Ouazazarte, einem Wüstenort südöstlich von Marrakesch. Doch die beteiligten Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Marokko haben die Absichtserklärung leider noch immer nicht unterzeichnet, erklärt Desertec-Geschäftsführer Paul van Son.

    "Die Probleme liegen selbstverständlich nicht auf der technologischen Ebene. Weil die Technologie, die Netze, gibt es schon. Und ein solarthermisches Kraftwerk bauen ist an sich auch nichts Besonderes. Das wäre in Marokko das zweite oder dritte Projekt dieser Art."

    Das Besondere an dem Projekt ist, dass sich Spanien bereit erklären müsste, den Solarstrom aus Marokko, der über bereits existierende Unterwasserkabel in der Meerenge von Gibraltar fließen soll, an seine europäischen Nachbarn weiterzuleiten. Spanien würde damit zum Energie-Transitland. Ein Novum, für das es einen gesetzlichen Rahmen braucht, um den auf politischer Ebene weiter gefeilscht wird.

    "Also, das ist absolut einzigartig. Und leider ist damit verbunden, dass es etwas dauert."

    An den Marokkanern jedenfalls liegt es nicht, dass es nicht schneller voran geht. Weitgehend unabhängig von den Desertec-Plänen legt das Land ein beeindruckendes Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien vor. Der Grund für die 2009 beschlossene Energiewende: Die Regierung will den rasant wachsenden Energiebedarf der aufstrebenden Nation decken, ohne immer mehr Öl und Gas importieren zu müssen, erklärt Moustapha Bakkoury, Chef der Solarenergiebehörde Masen.

    "Unser Ziel bei der Windenergie ist: 2000 Megawatt bis 2020. Dasselbe gilt für die Solarenergie. Diese zweimal 2000 Megawatt aus Wind und Sonne sind für unseren Eigenbedarf gedacht. Zusätzlich wollen wir aber auch noch Strom aus erneuerbaren Energien produzieren, den wir nach Europa exportieren. Wieviel das sein wird, haben wir noch nicht festgelegt. Das wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern in Europa entscheiden. Wenn alle Voraussetzungen geschaffen wurden, könnten das große Mengen sein."

    Die Desertec-Pläne sehen vor, dass Europa bis 2050 15 Prozent seines Energiebedarfs mit grünem Strom aus der Wüste decken könnte. Ob diese Vision Wirklichkeit wird, hängt auch davon ab, ob sich Investoren finden, die bereit sind, zig Milliarden in weitere Kabel unter dem Mittelmeer zu stecken. Die Politik, stellte EU-Energiekommissar Günther Oettinger bei seiner Rede klar, könne nur Starthilfe leisten.

    "Den Löwenanteil muss die Industrie aufbringen. Öffentliche Förderung kann nur dazu dienen, die Risiken für private Geldgeber zu mindern, damit Investitionen in erneuerbare Energien attraktiver werden."

    Auf regionaler Ebene braucht es heute schon keine Überzeugungsarbeit mehr. Nach Marokko verfolgt inzwischen auch Algerien einen ambitionierten Solarplan und will bis 2030 knapp 40 Prozent des Strombedarfs mit Sonne und Wind decken. Saudi Arabien will in den nächsten 20 Jahren über 100 Milliarden Euro in Erneuerbare investieren und zum "Königreich der nachhaltigen Energie" werden. Die Vision vom Wüstenstrom zieht also immer weitere Kreise. Der Fokus liegt momentan aber auf der regionalen Versorgung. Nennenswerte Stromexporte nach Europa bleiben Zukunftsmusik. Desertec-Geschäftsführer Paul van Son freut sich dennoch und ist überzeugt, dass die positive Entwicklung zumindest zum Teil auch aufs Konto der 2009 gegründeten Industrie-Initiative geht.

    "In allen Ländern in Nordafrika und dem mittleren Osten – ohne Ausnahme – ist das Phänomen Strom aus der Wüste Bestandteil des nationalen Energieplans mittlerweile. Innerhalb von drei Jahren haben wir das geschafft."