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Wunder der Pflanzenwelt

Pflanzenkunde. Blumen bezaubern den Menschen durch bunte Farben, filigrane Blüten und Wohlgeruch. Mit all dem kann die tropische Riesenblüte Rafflesia arnoldii nicht aufwarten. Ihre Blüte ist eher grob, riesig groß, und sie stinkt wie ein Tierkadaver. Vielleicht ist es den Botanikern deshalb so schwer gefallen, die tropische Blütenpflanze aus Ostasien in ihre Systematik einzuordnen.

Von Michael Lange | 12.01.2007
    Charles Davis vom Herbarium der Harvard-Universität in Cambridge bei Boston nennt Rafflesia arnoldii das größte Wunder der Pflanzenwelt. Wenn er von seinem Forschungsobjekt erzählt, dann geht das nur in Superlativen.

    "Diese Blumen sind unverwechselbar, absolut bemerkenswert. Sie bilden Blüten, größer als ein Meter im Durchmesser. Einige wiegen mehr als sieben Kilogramm. Sie sehen aus und riechen wie verwesendes Fleisch."

    Für Fliegen ist das ein Wohlgeruch. Sie steuern die Blüte gezielt an, in der Hoffung, einen Tierkadaver zu finden. Stattdessen landen sie in der Riesenblüte, berühren die Pollenbehälter in der Blüte und sorgen beim Herauskrabbeln für die Bestäubung.

    "Die Pflanze ist nicht nur spektakulär, sie ist fast schon außerirdisch, wie aus einer anderen Welt. Deshalb war es für uns Wissenschaftler so schwierig, nahe Verwandte in der Pflanzenwelt zu finden."

    Rafflesia ist unter anderem deshalb so außergewöhnlich, weil sie ein absoluter Parasit ist. Sie lebt auf und von anderen Pflanzen. Sie besitzt keine übliche Wurzel, keinen Stängel und keine Blätter. Ihre Energie, alle Nährstoffe und auch Wasser bezieht sie aus den pflanzlichen Wirten, auf denen sie wächst.

    Auf die bei Pflanzen übliche Photosynthese kann sie daher verzichten. Deshalb scheiterten zunächst auch die Molekularbiologen bei der systematischen Einordnung. Normalerweise vergleichen sie das Erbgut der Chloroplasten. Das sind Zellbestandteile, die für die Photosynthese zuständig sind. Bei Rafflesia fehlen sie.

    Das Team um Charles Davis musste deshalb ganz anders ansetzen.

    "Der Durchbruch gelang, als wir die Gene in den Mitochondrien untersuchten, den kleinen Kraftwerken in allen Zellen. Erst nachdem wir mehrere Gene bei einer großen Zahl von Pflanzenarten verglichen hatten, fanden wir die Lösung. Und die war wirklich überraschend."

    Die Riesenblüte Rafflesia stammt von kleinen, unscheinbaren Wald- und Wiesenkräutern ab. In nur sechs Millionen Jahren Evolution entwickelten sich ihre Blüten auf das 80-Fache der ursprünglichen Größe.

    "Die Zahlen sind beeindruckend, eine Vergrößerung um den Faktor 80. Das ist, als ob ein Zwei-Meter-Mensch sich zu einer Größe entwickelt, die den Pyramiden von Gizeh in Ägypten entspricht."

    Die neuen Verwandten von Rafflesia gehören zur Familie der Euphorbiaceen, der Wolfsmilchgewächse, eine der größten Pflanzenfamilien mit über 5000 Arten. Dazu zählen der auf deutschen Fensterbänken verbreitete Weihnachtsstern, der Kautschukbaum oder die Maniokpflanze. Die meisten Vertreter der Wolfsmilchgewächse sehen immer noch so ähnlich aus wie ihre Vorfahren: unscheinbare Allerweltsgewächse mit winzigen Blüten. Aber seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen, auch nicht als nahezu außerirdisches Wunder der Pflanzenwelt".