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Wunsch nach PID zu verweigern, wäre "ein Verstoß gegen unser Grundgesetz"

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Peter Hintze befürwortet die PID in speziellen Fällen. Dazu sollten in Deutschland lizenzierte Zentren für die Präimplantationsdiagnostik aufgebaut werden, in denen Eltern eine Beratung erhielten und eine Ethikkommission abschließend entscheide.

Peter Hintze im Gespräch mit Silvia Engels | 07.07.2011
    Silvia Engels: Heute erleben wir also einen der seltenen Fälle, in denen im Bundestag ohne Fraktionszwang fern der Parteigrenzen diskutiert und abgestimmt wird. Das geschieht meist nur dann, wenn es um grundsätzliche ethische Fragen geht, so auch heute. Es geht eben um die Präimplantationsdiagnostik. Zu denjenigen, die die PID in den Fällen erlauben wollen, in denen schwere Erbkrankheiten zu befürchten sind, gehört Peter Hintze (CDU), er ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Hintze.

    Peter Hintze: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Zum Verständnis: Wie sieht Ihr Vorschlag heute genau aus?

    Hintze: Wir folgen mit unserem Vorschlag den Linien, die der Bundesgerichtshof gezogen hat. Wir wollen die Präimplantationsdiagnostik für zwei Situationen zulassen: zum einen für die Situation, dass Eltern um eine schwere erbliche Vorbelastung wissen und deswegen die PID begehren, damit sie diese dramatischen Erlebnisse, wie sie sie oft bei der ersten Geburt erlebt haben, nicht noch mal erleben müssen, eine ganz verhängnisvolle Erbanlage weiterzugeben, etwa eine Krankheit, die zum Erstickungstod ihres Kindes führt, und zum zweiten in Fällen, wo Frauen Tod- und Fehlgeburten erlebt haben und die Tod- und Fehlgeburt nun ausschließen wollen.

    Engels: Wie könnte man denn, angenommen, Ihr Vorschlag setzt sich durch, in der Praxis schnell entscheiden, wann PID wegen dieser Erbkrankheitsgefahr zulässig ist und wann nicht?

    Hintze: Die Idee in unserem Entwurf ist, dass wir überall in Deutschland lizenzierte Zentren für die Präimplantationsdiagnostik haben, an denen eine Ethikkommission ist und an denen ein Elternpaar, was PID wünscht, eine ausführliche Beratung bekommt, eine genetische Beratung, aber auch eine Beratung, was die Situation für sie bedeutet. Und dann würde, wenn sie sich für die PID entscheiden, eine Ethikkommission über die Zulässigkeit entscheiden, damit die Grenzen, die der Bundesgerichtshof gezogen hat und die wir in unserem Gesetz ziehen, auch eingehalten werden.

    Engels: Nun ist es ja so, dass einzelne oder eigentlich ein großer Teil Ihrer eigenen Parteifreunde, aber auch Kirchen, die PID nach wie vor strikt ablehnen. Da gibt es zahlreiche Argumente, zum Beispiel das: Die Warnung davor, den Anspruch oder die Illusion zu erleichtern und zu fördern, das perfekte Kind bekommen zu können. Was entgegnen Sie?

    Hintze: Dieser Gedanke geht an der Lebenswirklichkeit ja voll vorbei. Bei der PID geht es ja ausschließlich darum, ein Verhängnis, um das ich weiß, nicht weitergeben zu müssen. Eine Mutter, deren Kind in den eigenen Armen erstickt ist, die das erlebt hat, die das für ihr Leben praktisch belastet, die sagt, ich möchte gerne ein Kind bekommen, aber ich kann das nicht noch einmal durchstehen, und ihr diesen Wunsch zu verweigern, fände ich, wäre ein Verstoß gegen unser Grundgesetz, gegen die europäische Menschenrechtskonvention und gegen die Menschlichkeit überhaupt. Also ich finde, von der Sache her müssen wir das zulassen. Die Eltern, die das begehren, sind ja Eltern, die sich sehnlich ein Kind wünschen, und all die Fantasien, die sich gegen PID richten, sind ja in den vielen europäischen Ländern, in denen PID seit zwei Jahrzehnten praktiziert wird, klar widerlegt.

    Engels: Wir haben in dieser Sendung allerdings auch Eltern erbkranker Kinder gehört, Kinder, die lebensfähig sind, aber eine kürzere Lebenserwartung haben, und Eltern, die sich eine bessere Beratung wünschen, die aber bei der Zulassung von PID für viele Fälle fürchten, dass die gesellschaftliche Akzeptanz für Menschen mit Behinderung künftig weiter sinken werde. Wie gewichten Sie dieses Argument, denn es kommt ja auch aus der Praxis von Menschen, die sich nun wirklich sehr fest mit diesem Thema befasst haben?

    Hintze: Unser Gesetzentwurf ist von dem Gedanken getragen, dass jedes Leben gleich wertvoll ist, ob es kurz dauert, oder ob es lange dauert, ob es gesund ist, oder ob es mit einer schweren Krankheit oder schweren Behinderung belastet ist. Also der absolut gleiche Lebenswert für jeden Menschen, die Achtung und die Würde, die jedem Menschen zukommt, achten wir sehr. Und deswegen hat unser Gesetzentwurf einen ganz anderen Ansatz: Wir wollen, dass ein Schwangerschaftskonflikt, bevor er entsteht, abgewendet werden kann. Sehen Sie, wir haben bei uns ja in Deutschland die Situation, dass unser Grundgesetz den Schwangerschaftsabbruch zulässt, in den ersten drei Monaten straflos lässt, bis zur Geburt erlaubt, wenn die Gesundheit der Mutter bedroht ist, und wenn Menschen von vornherein wissen, dass sie in eine solche Situation hineingeraten, muss man sie doch nicht dort erst hereintreiben, um sie dann da wieder herauszulassen. Das finde ich jedenfalls unmenschlich. Ich finde es auch im Umgang des Staates mit seinen Bürgern falsch, wenn wir den Menschen nicht als einen verantwortlich entscheidenden Menschen wahrnehmen. Wenn jemand sagt, ich habe eine schwerwiegende Behinderung in meiner Familie und ich kann das auch tragen, dann würde ich dem dazu immer zuraten. Ich würde ihn begleiten und würde sagen, das ist gut und das machst du richtig. Der Punkt ist doch: Für Menschen, die das nicht tragen können, oder für Situationen, die so schwerwiegend und verhängnisvoll sind, dass sie in ein Martyrium oder in ein Trauma führen müssen, und da nicht vorher die Möglichkeit geben auszuweichen, fände ich nicht in Ordnung. Für mich ist es ein großer Unterschied, eine befruchtete Eizelle in einer Glasschale nicht einzupflanzen, als etwa eine Abtreibung im Mutterleib vorzunehmen.

    Engels: Herr Hintze, dann schauen wir von der ethischen Debatte auf die Abläufe heute im Bundestag. Drei Anträge gibt es. Im Vorfeld hat man immer angenommen, dass die meisten Parlamentarier, für die ja der Fraktionszwang aufgehoben ist, sich hinter Ihrem Antrag versammeln könnten. Wie sind da Ihre letzten Informationen?

    Hintze: Wir haben an absoluter Stimmenzahl die meisten Unterstützer, aber wie die Abstimmung heute ausgeht, das halte ich für offen. Es ist ja sehr, sehr viel Arbeit im Vorfeld geleistet worden, sehr viele Abgeordnete sind angesprochen worden. Es ist leider auch sehr viel mit Angst operiert worden. Professor Graf, der evangelische Theologe, hat gesagt, das ist eine Heuristik der Furcht, die hier verbreitet wird, also ein Erkenntnisprinzip so nach dem Motto, was könnte möglicherweise passieren, dem darfst du nicht zustimmen, und das finde ich sehr schade, zumal wenn wir daran denken, dass das Emanzipation von der Natur bedeutet. Wir würden ja auch nie sagen, hier ist eine schreckliche Krankheit, die nehmen wir hin, wir gehen nicht zum Arzt, wir lassen uns nicht helfen, wir nehmen keine Medizin. Also die Geschichte der Menschen, die Geschichte der Medizin ist doch die Geschichte des Versuchs, Leid zu überwinden und Menschen Hilfe zu geben. Aber immerhin: Da ist sehr viel im Vorfeld gearbeitet worden. Deswegen weiß ich nicht, was herauskommt. Wir haben die meisten Unterstützer, das stimmt, aber es gibt ja drei Anträge und viele Kolleginnen und Kollegen haben sich nicht auf einen Antrag festgelegt, und deswegen warte ich mit Respekt das Ergebnis heute ab.

    Engels: Herr Hintze, Sie sagen es, neben Ihrem Antrag gibt es zwei weitere Anträge: einer, der die PID strikt ablehnt, und einer, der die PID-Zulassung sich vorstellen kann, aber auf noch weniger Ausnahmefälle begrenzen will. Das gilt gemeinhin als Kompromiss. Aber genau dieser Vorschlag hat bislang wohl die wenigsten Unterstützer, und deshalb könnte er bei dem wahrscheinlich anstehenden Abstimmungsverfahren als Erster herausfallen. Ist das unglücklich, weil möglicherweise hier ein Kompromissvorschlag zu früh herausfällt?

    Hintze: Es handelt sich überhaupt nicht um einen Kompromiss. Das ist ein Weg, der, glaube ich, falsch ist. Also es gibt Menschen, die sagen, man darf die befruchtete Eizelle in der Petrischale überhaupt nicht anschauen und muss das Schicksal hinnehmen, auch wenn es Einen möglicherweise zerstört. Das sind die Totalverbieter. Und es gibt Menschen, die meinen Antrag unterstützen, die sagen, wir müssen doch den Frauen die Chance geben, wenn sie von einer verhängnisvollen Erbanlage wissen, sich für die PID zu entscheiden. Und dieser Versuch dazwischen hat ja deswegen so sehr wenige Unterstützer nur, weil er weder den Konflikt auflöst, was wir gerne wollen, noch diese grundsätzliche Verwerfung befürwortet, wie es die Totalverbots-Unterstützer wollen. Insofern sehe ich ihn in der heutigen Debatte eher als aussichtslos an.

    Engels: Peter Hintze (CDU), er ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und gehört zu denjenigen, die die PID in Fällen erlauben wollen, in denen schwere Erbkrankheiten drohen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hintze: Bitte schön.

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.