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Wurmkur gescheitert
Parasiten zeigen keine eindeutige Wirkung gegen Immunleiden

Nach der Hygienehypothese bekommen Menschen in Industrienationen Autoimmunkrankheiten, weil sie zu sauber leben. Um dem entgegenzuwirken, entwickelten Forscher vor einigen Jahren eine Therapie, die das menschliche Immunsystem mithilfe von Wurmeiern wieder auf den richtigen Kurs bringen soll. Nun sind klinische Studien gescheitert, die eigentlich die Wirksamkeit dieser Kuren belegen sollten.

Von Christine Westerhaus | 29.12.2014
    Die Idee klingt nach einer Beschäftigungstherapie für das menschliche Immunsystem. Parasiten sollen es davon abbringen, körpereigene Zellen anzugreifen, so wie es bei Autoimmunerkrankungen geschieht. Schon 2004 konnte der US-amerikanische Mediziner Joel Weinstock in einer Pilotstudie zeigen, dass das tatsächlich funktionieren kann. Der Forscher von der Tufts Universität in Boston hatte Patienten, die an der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn litten, erfolgreich mit Eiern des Schweinepeitschenwurms behandelt. Später griffen Pharmaunternehmen diese Idee auf und testeten diesen Parasiten an insgesamt mehr als 500 Morbus Crohn Patienten. Eine Studie lief in den USA, eine in Europa. Doch die Ergebnisse dieser Untersuchungen, die nun veröffentlicht wurden, haben die Erwartung der Wurmpioniere gedämpft. Zwar ging es vielen Teilnehmern im Verlauf der Wurmkur besser. Doch auch ungewöhnlich viele Patienten aus der Plazebogruppe fühlten sich genesen. Obwohl sie gar keine Wurmeier, sondern nur ein Scheinmedikament zu sich genommen hatten. Joel Weinstock:
    "Bei beiden Studien fühlte sich einer von zwei Patienten aus der Plazebogruppe hinterher deutlich besser. Bei so einem ausgeprägten Plazeboeffekt ist es unmöglich zu zeigen, dass ein Medikament funktioniert. Das bedeutet also nicht, dass die Wurmeier nicht geholfen haben, sondern es heißt nur, dass die Studie keinen Beleg dafür liefern kann. Vermutlich lag das auch an der Klientel der Studienteilnehmer, die große Hoffnung in Naturheilverfahren setzen. Das könnte den hohen Plazeboeffekt verursacht haben."
    Joel Weinstock geht also davon aus, dass das Design der Studie dazu geführt hat, dass die Wurmeier keine klare Wirkung gezeigt haben. Jürgen Schölmerich, Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Frankfurt und Leiter der europäischen Studie, interpretiert die Ergebnisse jedoch etwas anders:
    "Wenn man die Laborwerte analysiert, dann sieht man, dass sich da nicht viel getan hat. Weder das CRP noch das Calprotectin im Stuhl haben sich deutlich bewegt. CRP ist ein Entzündungsprotein, das man im Serum also im Blut nachweisen kann und Calprotectin ist ebenfalls ein Protein, was von Entzündungsstellen freigesetzt wird und was man im Stuhl messen kann. Beide waren anfangs erhöht. Und blieben aber erhöht – auch bei den Patienten, die in diesem Score, der ja die subjektiven Parameter enthält, besser wurden, waren diese objektiven Werte nicht verbessert."
    "Ich glaube nach wie vor an die Hygienehypothese"
    Das bedeutet, dass die Darmentzündung auch bei denjenigen Patienten nicht gelindert wurde, die tatsächlich Wurmeier geschluckt haben. Dennoch haben die Forscher ihre Hoffnung nicht aufgegeben, dass Parasiten etwas gegen Autoimmunerkrankungen ausrichten können. Derzeit werden die Eier des Schweinepeitschenwurms noch in zwei weiteren Studien getestet: In einer Untersuchung werden Patienten mit Multipler Sklerose behandelt, in einer weiteren wird untersucht, ob die Parasiten die Symptome der rheumatoiden Arthritis lindern können.
    "Ich glaube nach wie vor an die Hygienehypothese als eine Hypothese, die erklärt, warum vermehrt Autoimmunerkrankungen auftreten und vermehrt auch solche Immunkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa existieren. Das glaube ich wohl, das sind klassische Zivilisationskrankheiten und die Hygiene ist eigentlich eine der guten Erklärungen, es gibt aber noch andere Erklärungen, die da zusammenpassen."
    Auch Joel Weinstock ist weiterhin davon überzeugt, dass Parasiten das überschießende Abwehrsystem immunkranker Menschen besänftigen können. Fraglich sei jedoch, ob tierische Parasiten wie der Schweinepeitschenwurm in Patienten die gleiche Immunreaktion auslösen können, wie Schmarotzer, die es naturgemäß auf den Menschen abgesehen haben.
    "Man darf nicht vergessen, dass wir die Patienten derzeit mit einem tierischen Parasiten behandeln. In manchen Menschen können diese Würmer überleben, aber nicht in allen. Außerdem muss man die Wurmeier, die ja lebende Organismen sind, mit Chemikalien behandeln, sie haltbar machen und lagern, wenn man daraus ein Arzneimittel machen will. Das könnte erklären, warum die Schweinepeitschenwürmer in den Pilotstudien einen Effekt gezeigt haben, in den großen klinischen Studien aber gescheitert sind."
    Anstatt Patienten mit lebenden Würmern zu behandeln, möchte Weinstock in Zukunft in die Trickkiste der Parasiten greifen und daraus Medikamente entwickeln. Deshalb sucht er derzeit nach den aktiven Substanzen, mit denen Parasiten wie der Schweinepeitschenwurm das Immunsystem ihrer Wirte manipulieren.