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Xenobiologie
Außerirdisches Leben im Labor

Xenobiologen wollen die Abläufe der Biologie nicht nur ausreizen, sondern neu konstruieren. Sie erforschen derzeit, wie man die DNA, die allem Leben auf der Erde zugrunde liegt, aushebeln kann. Umcodierten Bakterien beispielsweise könnten Viren nichts mehr anhaben.

Von Michael Lange | 26.05.2016
    Ein EHEC-Erreger in einer Petrischale
    Das Arbeitspferd der Biologen, das Bakterium Escherichia coli, soll Stoffe produzieren, die resistent gegen Krankenhauskeime sind. (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    Mit nur zwanzig Aminosäuren kann die Natur alles bauen, was sie so braucht. Blätter, Wurzeln, Knochen, Muskeln, Gehirne – alles. Aus Sicht eines Chemikers ist das eine nicht notwendige Beschränkung, meint Tobias Baumann von der Technischen Universität Berlin. Seine Kollegen vom Institut für Chemie haben deshalb Escherichia coli-Bakterien dazu gebracht, eine neue, nicht natürliche Aminosäure in ihre Proteine einzubauen – statt der natürlichen Aminosäure Tryptophan.
    "Man möchte eine möglichst fundamentale biologische Veränderung machen. Andererseits darf sie aber auch nicht so stark sein, dass der Organismus danach nicht mehr überlebensfähig ist. Das heißt: Man muss einen Kompromiss finden, wie stark man eine Änderung einführt. Und deswegen sind wir aus chemischer Sicht noch relativ nah an der natürlichen Aminosäure Tryptophan geblieben."
    Die leicht veränderte Aminosäure ist erst der Anfang. Xenobiologen wollen die Abläufe der Biologie nicht nur ausreizen, sondern neu konstruieren. Bakterien sollen einen neuen Code erhalten, der es ihnen möglich macht, nicht natürliche Stoffe herzustellen. Das ist mehr als die Gentechnik zu leisten vermag. Dabei wurden Gene von Art zu Art übertragen. So lernten Bakterien zum Beispiel, menschliches Insulin herzustellen. Die Grundlagen des Lebens bleiben dabei unverändert.
    Arbeitspferd der Biologen: das Bakterium Escherichia coli
    Die Xenobiologie kombiniert verschiedene Techniken. Tobias Baumann plant die Konstruktion von neuartigen Wirkstoffen gegen resistente Krankenhauskeime. Herstellen soll sie schließlich das Arbeitspferd der Biologen: das Bakterium Escherichia coli.
    "Da versuchen wir über die Kombination von Synthesechemie und Biologie/Biochemie anzusetzen, indem wir halt neue Bausteine einbringen. Wir nehmen das natürlich vorgegebene Grundgerüst und versuchen das chemisch zu erweitern."
    Die neuen Wirkstoffe sind der Natur fremd. So wird es den Erregern schwer gemacht, gegen diese Substanzen Resistenzen zu entwickeln. Um solche Ziele zu erreichen, haben Wissenschaftler Lebewesen umcodiert. Dabei wird nicht nur der Aufbau des Erbmoleküls DNA verändert, sondern seine Bedeutung. Was in der Natur ein Stoppsignal für den Aufbau eines Proteins ist, steht nun für eine neue Substanz. So erweitern die Forscher das Alphabet des Lebens und schaffen eine neue genetische Sprache, die nicht aus der Natur stammt, sondern von Wissenschaftlern wie Farren Isaacs von der Yale University entwickelt wurde.
    "By basically changing the genetic code of this organism, we changed the way genes are expressed."
    "Indem wir den genetischen Code grundsätzlich verändern, verändern wir die Art und Weise wie Gene abgelesen und übersetzt werden. Vieles erhält eine neue Bedeutung. So schaffen wir eine Barriere zwischen der natürlichen Biologie und der neuen Biologie."
    Viren können den umcodierten Bakterien nichts mehr anhaben
    Viren können den umcodierten Bakterien nichts mehr anhaben. Denn ihnen fehlt der Schlüssel zum neuen genetischen Code. Ihn zu knacken ist nahezu unmöglich. Der Gen-Austausch zwischen manipulierten und natürlichen Organismen wird so unterbunden.
    In den Labors der Biotechnologie entsteht eine biologische Welt mit neuen chemischen Möglichkeiten.
    "We can now use that to change important properties …"
    "Wir können Proteinen jetzt völlig neue Eigenschaften verleihen, neue enzymatische Aktivitäten oder neue Strukturen mit einer besseren Stabilität. Und es geht noch weiter. In den umcodierten Organismen entstehen auf biologischem Weg bisher unbekannte Moleküle und Materialien."
    Die Zahl der Ideen, die von den Xenobiologen bei ihrem Treffen in Berlin präsentiert wird, ist riesig. Was davon brauchbar ist, lässt sich heute noch nicht sagen.