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Yoga-Zentrum in Ostwestfalen
Die Gurus im Kurort

Um Yoga zu erleben, muss man nicht in einen Aschram nach Indien reisen. Das größte Meditationszentrum Europas befindet sich in Bad Meinberg, der alten Kurstadt am Teutoburger Wald. Betrieben wird es von einem Verein der Yoga-Strömung "Yoga Vidya". Das Ziel des Zentrums: das "Yoga-Schlaraffenland" zu sein.

Von Michael Hollenbach | 03.08.2015
    Yoga-Seminarhaus und -Ausbildungszentrum in Bad Meinberg
    Yoga-Seminarhaus und -Ausbildungszentrum in Bad Meinberg (Yoga Vidya e. V.)
    Frühmorgens um fünf. Acht Frauen und zwei Männer sitzen im Lotussitz auf dem Boden des Hula-Raums.
    Yogalehrerin Shaktipriya eröffnet die Feuerzeremonie. Zuerst soll Agni, das Wesen des Feuers, beruhigt werden. Dann spritzt Shaktipriya zuvor geweihtes Wasser in alle Himmelsrichtungen, um den Raum für die heilige Zeremonie vorzubereiten. Nun wird das Feuer in einer Metallschale angezündet.
    Mit einem Mantra, das 108 Mal wiederholt wird, soll die Kraft des Feuers verstärkt werden. Mehr als 20 Minuten dauert diese Mantra-Litanei.
    Die morgendliche Feuerzeremonie ist eine von rund 2000 Veranstaltungen, die Yoga Vidya jährlich anbietet. Dass die Yogis in den alten Kurort Bad Meinberg gekommen sind, ist für Bürgermeister Eberhard Bock ein Glücksfall. Denn nach den Gesundheitsreformen der 90er Jahre sackten die Übernachtungszahlen von einer Million auf 300.000 ab.
    "Yoga ist mir bekannt gewesen, was aber eine große Frage war, womit sich der Rat der Stadt und auch ich mich beschäftigen musste: Ist Yoga-Vidya eine Sekte?"
    In den Köpfen der Ost-Westfalen spukten die Bilder von Hare-Krishna-Anhängern und von orange gekleideten Bhagwan-Osho-Sannyasins.
    "Und damals habe ich den Sektenbeauftragten der Bundesregierung eingeschaltet und da nachgefragt und da kam von allen offiziellen Stellen: Nein, da brauchen Sie keine Sorge haben, es ist keine Sekte."
    Nun leben und arbeiten rund 300 Yogis in dem kleinen Städtchen. Barfüßige junge Menschen, kahlköpfige Asketen, gesundheitsbewusste Veganer gehören mittlerweile zum Stadtbild:
    "Es ist eine Art von Lebensphilosophie, aber bei mir ist es auch so: Ich bin Vegetarier. Vegane Ernährung ist mir ein Schritt zu weit, aber ich ernähre mich seit 30 Jahren vegetarisch, und das ist für mich nicht so was Fremdes."
    "Unser Anspruch ist, das Yoga-Schlaraffenland zu sein"
    Die meisten Angebote im Zentrum richten sich an ein breites Publikum. Yoga, das bedeutet: gymnastische Übungen, Erlernen von Atemtechniken, Entspannung, gesunde Ernährung, aber auch fernöstliche Philosophie und hinduistische Spiritualität.
    Der Chef von Yoga Vidya ist Volker Bretz. Er trägt ein gelbes Hemd, weiße Hose, Badelatschen. Kurzes gescheiteltes Haar, eine schlichte kantige Brille. Den Guru eines Aschrams stellt man sich anders vor. Doch Volker Bretz ist schon als junger Sinnsucher zum Yoga gekommen:
    "Ich bin ja aufgewachsen in einer Unternehmerfamilie, konnte also sehen irgendwo, Geld macht nicht glücklich, und Einfluss zu haben macht auch nicht glücklich. Ich hatte aber auch hohe Ideale und meine Familie war auch philosophisch interessiert. So bin ich schon mit 16 zur Meditation gekommen und habe mit Yoga angefangen. Und Yoga erschien mit das Logischste: Da ist eine schöne spirituelle Philosophie, das sind praktische Übungen, wo man sich wohlfühlen kann, was mir zu tiefen Erfahrungen verholfen hat. So bin ich dann bei Yoga geblieben."
    Volker Bretz wird in der Yogaszene nur Sukadev genannt - sein spiritueller Name: Engel der Wonne. Nach dem Abitur ging er nach New York und absolvierte dort seine Ausbildung zum Yogalehrer. Geprägt wurde er von den Yoga-Meistern Swani Sivananda und seinem Lehrer Swani Vishnu-Devananda. Zahlreiche Bilder erinnern in dem Yoga-Zentrum an die beiden Gurus. Vor zwölf Jahren kam Bretz nach Bad Meinberg, um in den ehemaligen Kurkliniken ein Zentrum zu errichten:
    "Unser Anspruch ist, so das Yoga-Schlaraffenland zu sein. Das heißt, was auch immer es auf dem Gebiet von Yoga gibt, wollen wir anbieten, wenn es zusammenpasst. Wir haben Meditation, wir haben Massage, Ayurveda, wir haben traditionelle chinesische Medizin, wir haben Yoga-Therapie, auch indische Rituale."
    Die rund 25.000 Gäste pro Jahr sind zu mehr als zwei Drittel Frauen - die meisten im mittleren Alter und aus einem bestimmten Milieu:
    "Es gibt ja diesen neudeutschen Ausdruck LoHaS, Lifestyle of Health and Sustainibility. Da gibt es eine ganze Menge, die auch sonst darauf achten gesund zu leben, umweltgerecht leben, bewusster einkaufen, essen, kleiden, sodass da auch ein gewisser Schwerpunkt ist."
    Vor acht Uhr morgens und nach 22 Uhr soll im Haus geschwiegen werden; auf Kaffee, Alkohol und Zigaretten verzichtet werden. Kein Radio, kein Fernsehen, keine Zeitungen. Abschalten und entspannen.
    Der nächste Kurs. Meditieren und Singen im Lotus-Sitz. Ganz entspannt. Vorne auf der Bühne – die Yogalehrerin Ramashakti.
    Unterstützt von einem Harmonium besingt sie spirituelle Meister: nicht nur hinduistische, auch Jesus und Mohammed werden erwähnt. An der Stirnwand der Halle hängen großformatige Fotos der Yoga-Meister, aber ebenso ein Bild von Jesus. Ein religiöser Mix, sagen Kritiker. Für die Yoga-Lehrerin Edith, eine gebürtige Katholikin, die seit elf Jahren in Bad Meinberg arbeitet, passen Karma und Kreuz, Shiva und Heiliger Geist, gut zusammen:
    "Als Hinduistin würde ich mich niemals bezeichnen, weil ich mich schon meinem christlichen Glauben in gewisser Hinsicht verbunden fühle Aber was ich schon gemacht habe, ist, mich zu öffnen und mehr an Spiritualität und Religiosität zuzulassen. Da bin ich nicht mehr festgelegt, und das tut mir auch sehr gut."
    "Diene, Liebe, Gib"
    Yoga passt zum Zeitgeist, sagt Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Es geht um die individuelle Vervollkommnung von Körper, Seele und Geist, es geht um Entschleunigung, um Achtsamkeit. Und es geht um eine Spiritualität ohne Dogmatik:
    "Wir kommen - so wird das von vielen wahrgenommen - aus erstarrten kirchlichen Traditionen, wo man das und jenes glauben muss und nicht machen darf. Und wenn da die Verheißung ist, da ist spirituelle Entwicklung möglich ohne Gängelung von oben, dann wird das für viele attraktiv."
    Eißler ist kein Gegner von Yoga; aber er gibt zu bedenken, dass Yoga nicht nur als eine Art indische Gymnastik verstanden werden darf.
    "Yoga ist nicht zu denken ohne den Kontext des hinduistischen Weltbildes und der Vorstellung, dass der Mensch in die Dualität der Welt hineingeworfen ist, aber sich aus ihr wieder befreien muss. Und aus dem Kreislauf der Wiedergeburt muss sich der Mensch wieder befreien und zu seinem Innersten finden, das dann mit Gott identisch erkannt wird."
    Doch die meisten Gäste besuchen Europas größten Aschram nicht so sehr wegen der hinduistischen Philosophie, sondern eher wegen LoHaS, wegen des gesunden und ökologischen Lebensstils. Zudem sind die Angebote von Yoga Vidya relativ günstig. (Rund 400 Euro für eine Seminarwoche.) Das dürfte auch daran liegen, dass die rund 150 Mitarbeitenden, die sogenannten Sevakas, nur rund 300 Euro im Monat bekommen, plus freie Kost und Unterkunft. So auch die Yogalehrerin Edith:
    "Das, was man nicht machen kann, ist sparen auf irgendeine Zukunft hin oder um sich Dinge leisten zu können. Aber man hat eine gute Grundversorgung und man hat ein Taschengeld und die Devise von Swami Sivananda ist ja: Bescheiden leben, aber erhaben denken. Insofern ist dieses System so ausgerichtet."
    Über dem Mitarbeiterbrett des Zentrums steht unter einem Bild des Gurus die Aufforderung: Diene, Liebe, Gib.
    "Man kann hier nicht gehen und erwarten, dass man einen Mindestlohn bekommt, weil die Ausrichtung eine andere ist."
    Wegen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns habe man die Statuten von Yoga Vidya geändert, sagt Edith, damit man das alte Niveau der Entlohnung beibehalten kann. So sind in Bad Meinberg durch Yoga Vidya auch kaum neue Arbeitsplätze entstanden, die Steuereinnahmen gebracht haben. Und das Programm im Yoga-Zentrum, das am Rande von Bad Meinberg liegt, ist so eng getaktet, dass für ambitionierte Gäste kaum Zeit bleibt, einmal in den Ort zu gehen. Dort steht jedes fünfte Ladenlokal leer. Die Yogis bleiben doch eher unter sich.