Freitag, 19. April 2024


You have mail!

Bis vor drei Monaten berichtete Klaus Remme aus Washington und den USA für das Deutschlandradio. Zurück in Berlin verfolgt ihn die Korrespondenten-Vergangeheit: Da trudeln dutzendfach Warnmails zum Hurrikan "Sandy" ein - und ein gewisser Herr Obama bittet um Wahlkampfspenden.

Von Klaus Remme | 30.10.2012
    "Räumen Sie die Terrasse, bringen Sie Bänke, Stühle, Tische, Grill in Sicherheit. Sammeln Sie lose Gegenstände im Garten, packen Sie einen Erste-Hilfe Kasten, legen Sie Vorräte an, vergessen Sie das Tierfutter nicht." Keine Frage: Es droht (wieder einmal) ein lebensgefährliches Unwetter.

    E-Mail-Ratschläge wie diese erreichen mich im Stundenrhythmus. Dabei ist die Wetterlage über Berlin stabil und weitgehend freundlich. Nein, noch immer sind es die Katastrophenschützer von Montgomery County, Maryland, USA, einem Landkreis vor den Toren Washingtons, die sich um mich und meine Familie sorgen. Bis vor drei Monaten haben wir dort gelebt. Gar nicht so einfach, von E-Mail-Verteilern gestrichen zu werden.

    "Sandy ante portas": Bitte keine Blätter auf die Straße fegen, sie könnten Abflüsse verstopfen! Bitte Vorsicht mit Kettensägen nach dem Sturm, Strom führende Leitungen könnten kreuz und quer auf dem Boden liegen! Die Schutzräume sind geöffnet, die Schulen geschlossen. So liest sich eine Warnung nach der anderen. Ist die hohe staatliche Aufmerksamkeit im Vorfeld von Mega-Stürmen möglicherweise Kompensation für die Tatsache, dass man nach der "Katastrophe" für eine Weile oft gar nichts mehr hört, weil der Strom weg ist, die Straßen unpassierbar sind? Auch die seit Wochen geöffneten Wahllokale sind wetterbedingt geschlossen, lese ich in einer E-Mail. Nun gut, als Ausländer hat meine Stimme ohnehin nie gezählt. Auch das politische E-Mail-Netz ist nach dem Umzug übrigens nur schwer aufzulösen. Vom Verteiler des Weißen Hauses konnte ich mich noch durch zwei Klicks streichen lassen. Aber die Wahlkampfgruppen sind da hartnäckiger.

    E-Mail-Adressen, das ist harte Währung für Obama und Romney Strategen. Da klärt mich eine "Kampagne für die Niederlage von Barack Obama" jetzt darüber auf, dass sie ein dringliches Problem hat. Die Anzeigenpreise seien plötzlich und deutlich gestiegen. Man brauche sofort 57.000 Dollar und mit einer Spende oberhalb von 200 Dollar sei mir der Platz auf einer sogenannten Helden-Liste sicher. Tom aus Dallas wird mir als leuchtendes Beispiel empfohlen und John aus Brooklyn. 31 Namen sind genannt, 23 Männer darunter. Scheint zu stimmen, dass sich die Republikaner schwer tun mit weiblichen Wählern. Die Tea-Party schreibt, man will mir den neuen Anti-Obama Werbespot zeigen. Ich soll der Erste sein, der ihn sieht! Und natürlich bekomme ich noch immer regelmäßig Dinner-Einladungen von "Barack" und "Michelle". Die beiden wollen mich noch immer kennenlernen, mit mir plauschen, vorausgesetzt ich gewinne bei der Lotterie, in die ich mich durch wenige Dollar einkaufen kann. Wie ich auf den Verteiler gekommen bin, ist schnell erklärt. Vor vier Jahren habe ich in Boulder, Colorado, für einen Freund in Deutschland einen Obama/Biden Stoßstangen-Aufkleber gekauft. Ein Dollar 50 hat der gekostet, plus meine E-Mail-Adresse! Heute weiß ich: Das war illegale Wahlkampffinanzierung. Und doch würde ich heute glatt noch mal 1 Dollar 50 einsetzen – und sei es nur, um von der E-Mail-Liste 'runterzukommen.

    Mehr zum Thema:
    Die US-Wahl in den Programmen des Deutschlandradios
    Portal US-Wahl 2012
    Der Verlauf der US-Wahl - Zahlen, Daten, Fakten, Liveticker