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Ypsilanti konzentriert sich auf programmatische Maulwurfarbeit

In dem von ihr mitgegründeten "Institut Solidarische Moderne" arbeitet die einstige Frontfrau der Hessen-SPD, Andrea Ypsilanti, mit führenden Linken und Grünen seit Anfang 2010 am großen Wurf linker Politikkonzepte. Im Roten Club wird sich getroffen und debattiert.

Von Anke Petermann | 15.09.2011
    Etwa fünfzig Besucher finden sich am frühen Abend im alternativen Gallus Theater im alten Fabrikgebäude der Frankfurter Adlerwerke ein, mit rotem PVC-Boden wie geschaffen als "Roter Club". Doch das von Andrea Ypsilanti im vergangenen Jahr gegründete Gesprächsforum ist ein mobiles - mal im Theatersaal, mal im Gewerkschaftshaus zu Gast, da eben, wo die Initiatorin Räume zu günstigen Konditionen mieten kann. Referenten aus dem linken Spektrum lädt sie ein, Katja Kipping von der Linken und der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel waren ihre ersten Gäste.

    "Ich mach das nicht privat, sondern als Landtagsabgeordnete, aber natürlich mit einem sehr ureigenen Engagement dabei, denn es kommt auch in der Partei zu kurz, breit angelegt zu diskutieren. Die Möglichkeit möchte ich aber jedem, der mitdiskutieren und jeder, die mitreden will eröffnen."

    Wie man den unabhängigen Journalismus trotz Zeitungskrise retten kann - darüber reden sich an diesem Abend die Besucher des Roten Clubs die Köpfe heiß. Viele der Sozialdemokraten und SPD-Wähler, die den Roten Club frequentieren, sind enttäuscht von der Partei, beklagen Rechtsruck und Profilverlust. Jüngere sind an diesem Abend in der Minderzahl, zu vielleicht achtzig Prozent dominiert die Generation Fünfzig plus. Endlich stößt mal wieder jemand in der SPD linke Visionen an, freuen sie sich.

    "Das hat in letzter Zeit gefehlt. Man hatte in letzter Zeit das Gefühl, alle Parteien sind eins, und man kann nur so gefühlsmäßig wählen, und wenn wieder mehr Struktur da rein kommt, und durch so was kommt wieder mehr Struktur rein, denke ich, das ist ne gute Sache."
    "Andrea Ypsilanti versucht, wichtige gesellschaftliche Themen aufzugreifen, und diese Rolle hat Andrea versucht, immer zu spielen, und es ist gut, dass sie das auch weiter vorantreibt."

    Die Themen "bedingungsloses Grundeinkommen" oder "mehr Glück durch weniger Wachstum" diskutierte Ypsilanti mit jeweils weit mehr als 100 Besuchern im dezenten Licht zweier Stehlampen – auf deren rotem Schirm ein SPD-Logo. Themen, die sozusagen nur noch im Hinterzimmer der Sozialdemokratie Platz haben?

    "Vielleicht war es zu sehr im Hinterzimmer, man hat sich zu sehr diesem neoliberalen Gedankengut geöffnet, hat die Finanzmarktgesetze durchgewunken, weil kein Widerspruch da war. Lafontaine und damals Strauss-Kahn waren die Einzigen, die gesagt haben, nee, nee, wir wollen ganz was anderes. Der Rest hat die Thematik nicht verstanden, und so hat man's getan. Das Ergebnis haben wir dann alle bekommen. Das Problem ist, das was die SPD auszeichnet, muss am Ende ganz klar die soziale Gerechtigkeit sein."

    "Ich hoffe, dass es eher ein kleines Pflänzchen ist, das da keimen könnte. Also nicht als Restprodukt, sondern als kleinen Neubeginn."

    Mit einem kleinen Neubeginn gibt sich Andrea Ypsilanti allerdings nicht zufrieden. In dem von ihr mitgegründeten "Institut Solidarische Moderne" arbeitet sie gemeinsam mit führenden Linken und Grünen wie Katja Kipping und Sven Giegold seit Anfang 2010 am großen Wurf linker Politikkonzepte. Das Institut versteht sich als parteiunabhängige Programmwerkstatt und lädt ab morgen zur dreitägigen "Summer Factory" nach Kassel. Thema frei nach dem Buch des verstorbenen SPD-Solar-Experten Hermann Scheer: "Der Energet(h)ische Imperativ - eine soziale Frage". Hochrangige Wissenschaftler und Politiker von SPD, Grünen und Linken diskutieren mit dem Spitzenpersonal von Umweltschutzverbänden, Attac, Transparency International und anderen Nichtregierungsorganisationen. Arbeitet Andrea Ypsilanti in Kassel und anderswo mit an einem Programmentwurf, den die Bundes-SPD bei einem Wahlsieg 2013 aus der Tasche ziehen könnte?

    "So überheblich bin ich nicht, dass ich den Input gebe für eine Regierungsbildung. Das ist überhaupt nicht mein Anspruch. Mein Anspruch ist überhaupt erst mal, den Kopf zu öffnen für politische Alternativen. Denn wären wir in einer Großen Koalition, würden wir nicht wirklich politische Alternativen diskutieren, und es wäre auch die Frage, ob eine rot-grüne Koalition wirklich einen Politikwechsel einleiten würde. Aber die Stimmung, die Offenheit dafür zu schaffen und die Leute dafür zu begeistern, das ist mein Anspruch. Das war er immer, auch schon im Wahlkampf, als ich Spitzenkandidatin war, und den habe ich auch nicht aufgegeben."

    "Das finde ich bemerkenswert, dass sie da so hartnäckig ist und nicht sagt, macht euern Kram alleine. Das finde ich auch schon wieder toll, also das imponiert mir ... ."

    ... meint SPD-Mitglied Andreas Prinz, der im Roten Club die Lust an der Sozialdemokratie wieder entdeckt. Andrea Ypsilanti hat sich mit ihrer Hinterbänklerinnen-Rolle im Wiesbadener Landtag abgefunden und konzentriert sich auf die programmatische Maulwurfarbeit. Dass ihr Roter Club und das Institut Solidarische Moderne nur ein bescheidenes Medienecho finden, scheint die einstige Frontfrau der Hessen-SPD wenig zu betrüben. Auch dass die Partei- und Fraktionsführung um Thorsten Schäfer-Gümbel ihre Ideen ungenutzt links liegen lässt, stört sie kaum. Die neue dezimierte Fraktion und der neue hessische SPD-Spitzenkandidat müssen sich aus ihrem Schatten lösen und dazu auf Distanz gehen - das findet Ypsilanti normal. Über das, was andere ihr tragisches Scheitern nennen, kann sie heute lachen.

    "Meine Partei hat schon so viel tragische Figuren gehabt, die ob ihrer politischen Auffassung leiden mussten in ihrer Partei, da reih' ich mich ein, es geht mir um die Sache."

    Ein Weilchen muss Andrea Ypsilanti vermutlich noch leiden: Der programmatische Einfluss auf die eigene Partei hält sich auch auf Bundesebene in engen Grenzen, da macht sie sich keine Illusionen. Vorerst jedenfalls.