Sharon Moalem: "Das stärkere Geschlecht"

Die genetische Überlegenheit der Frauen

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Dr. Sharon Moalem Das stärkere Geschlecht
Sharon Moalem beschreibt in "Das stärkere Geschlecht" auch, wie Frauen in der medizinischen Forschung konsequent benachteiligt wurden. © Riva / Deutschlandradio Kultur
Von Christine Westerhaus · 20.06.2020
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Frauen leben länger als Männer, sie haben das bessere Immunsystem und leiden seltener an genetischen Störungen. In seinem Buch „Das stärkere Geschlecht“ erklärt der Mediziner Sharon Moalem anschaulich, warum das so ist.
Als Sharon Moalem sein Buch über das "stärkere Geschlecht" schrieb, wusste er nicht, dass das Coronavirus schon wenig später unseren Alltag massiv stark bestimmen würde. Und trotzdem liefert sein Buch eine plausible Erklärung dafür, warum vorwiegend Männer einen schweren Verlauf einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 bekommen und auf Intensivstationen beatmet werden müssen.
Denn der Neurogenetiker Moalem erklärt, weshalb Frauen womöglich einen Lebensvorteil haben: Frauen sind durch ihr stärkeres Immunsystem besser gegen Infektionskrankheiten gewappnet als Männer. Und nicht nur das. Männer werden häufiger von bestimmten chronischen Krankheiten geplagt, Frauen leiden seltener unter Entwicklungsstörungen in der Kindheit.

Männer sterben früher – unabhängig vom Lebenswandel

An vielen Beispielen erläutert der Autor, wie sich der leichte Vorsprung von Männern zu Beginn des Lebens immer weiter zugunsten der Frauen verschiebt. Obwohl mehr männliche als weibliche Babys geboren werden – das Verhältnis liegt bei 104 männlichen zu 100 weiblichen Babys –, kehrt sich dieser Vorsprung schon im Alter von 40 Jahren um. Die Lebenserwartung von Frauen steigt, während die von Männern sinkt. Und das ganz unabhängig vom Lebenswandel.
Die meisten dieser Vorteile macht Moalem an dem zusätzlichen X-Chromosom fest, das Frauen in ihren Zellen tragen. Denn während bei Männern das 23. Chromosomenpaar aus nur einem X- und einem Y-Chromosom besteht, besitzen Frauen zwei unterschiedliche Kopien des X-Chromosoms.
Und weil auf diesem zusätzlichen X-Chromosom deutlich mehr Erbinformationen gespeichert sind als auf dem Y-Chromosom, verleiht es Frauen die Möglichkeit, variabler auf Krankheitserreger zu reagieren. Und Frauen wenden damit auch so manche genetische Störung ab, die Männer durchweg häufiger ereilen.

Frauen in medizinischer Forschung konsequent benachteiligt

Besonders interessant wird dieses Buch, wenn Moalem beschreibt, wie das weibliche Geschlecht in der medizinischen Forschung konsequent benachteiligt wurde: All das Wissen, das wir über die Wirkung von Medikamenten und bestimmten Therapien haben, beruht auf Forschungsergebnissen, die an männlichen Versuchstieren gemacht worden sind.
Und sogar in klinischen Studien an Menschen sind es vorwiegend Männer, an denen Medikamente getestet wurden. Frauen nehmen also Medikamente ein, die für Männer gemacht wurden. Zwar ist Moalem nicht der erste, der diese Zusammenhänge beschreibt. Doch seine Schilderungen sind sehr anschaulich und er mischt sie geschickt mit persönlichen Erfahrungen als Arzt.
Nicht jede Theorie, die der Autor aufstellt, wird unter Fachkollegen unterstützt. Und manchmal wirkt es etwas bemüht, wie stark er die Überlegenheit von Frauen hervorhebt. Doch Moalem versteht es, ein anspruchsvolles und interessantes Sachbuch zu schreiben. Und so ist die Lektüre dieses Buch ein fast uneingeschränktes Vergnügen.

Sharon Moalem: "Das stärkere Geschlecht. Warum Frauen genetisch überlegen sind"
Riva, München 2020
288 Seiten, 19,99 Euro

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