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Matthias Dell
Schöne Dienstreise im Auftrag der Literatur

Dass ein Journalist für ein Portrait den Künstler trifft, hält unser Kolumnist Matthias Dell nicht für notwendig. Oft verlören die Journalisten die Distanz - außerdem müsse man die schönen Reisen ja auch rechtfertigen.

Von Matthias Dell | 24.05.2018
    Leuchtturm von Hiddensee
    Leuchtturm von Hiddensee (picture alliance / dpa / Foto: Jens Büttner)
    Eine journalistische Tugend besagt, dass Portraits nicht "kalt" geschrieben werden sollten. Das bedeutet, dass die portraitierte Person getroffen und gesprochen werden muss, ehe man einen Text über sie verfasst. Diese Begegnung wird dann als etwas Besseres verkauft, als etwas, das mehr wert ist.
    Ich bin mir da nicht so sicher, auch wenn solche Portraits zweifellos eine gewisse Neugier befriedigen. Die würde ich bloß in den meisten Fällen als Tratsch bezeichnen. Der Journalist trifft stellvertretend für die Leserin eine häufig prominente Figur und erzählt, wie die so ist. Das macht die Sache für Journalisten so interessant, weil sie qua Arbeit Zugang zu bekannten ZeitgenossInnen erhalten.
    So gesehen war ein Portrait von Lutz Seiler, das einmal in der Zeit erschien, ziemlich lustig. Seiler hatte gerade seinen buchpreisprämierten Hiddensee-Roman "Kruso" rausgehauen, und also traf der Journalist den Literaten auf der malerischen Insel. Weil sich über Bücher und die Arbeit daran am allerheißesten dort reden lässt, wo sie spielen. Oder weil das einfach eine schöne Dienstreise ist im Auftrag der Literatur. Damit aber nicht genug, es gab es noch ein zweites Treffen. Bei Seiler zu Hause, denn der Schriftsteller wohnt nicht in irgendeiner gesichtslosen Neubauwohnung, sondern im malerischen und ziemlich einzigartigen Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst. Beim Lesen des Textes über ihn fragte man sich dann allerdings, was bei diesen langen Begegnungen eigentlich alles geredet worden ist, denn allzu viel kam im Text davon nicht an. Der musste nebenher ja noch Roman und Person erklären und mit eigener Poesie die tollen Orte beschreiben, an die er - Lutz Seiler sei Dank - fahren durfte.
    Portraits – zumeist schmeichelhaft
    Für die Portraitierten ist die journalistische Form des Portraits zumeist schmeichelhaft, weil es zum einen ihre Bedeutung vermisst. Portraits widmen sich in der Regel ja nicht, sagen wir, Soraya Kudritzke aus Branchewinda, die nach schweren Schicksalsschlägen nun mit 38 Jahren ihre Prüfung zur Bäckerin bestanden hat. Sondern bekannten Personen, deren Bekanntheit durch das Portrait bekräftigt wird.
    Zum anderen muss man als Portraitierter vom Portrait nichts Böses erwarten. Dass die Journalistin, die tagelang Fahrten zu hübschen Orten auf sich nimmt, danach niederschriebe, wie langweilig, miesgelaunt oder uninteressant die von ihr getroffene Person sei, kommt eher selten vor. Spräche ja auch gegen den ganzen Aufwand, den ganzen Platz, den man ihr einräumt.
    Kalte Analyse - bei politischen Kontroversen aufschlussreicher
    Ernst wird es, wenn es beim Portrait um politische Kontroversen geht, an denen es in unserer Gegenwart nicht mangelt. Legendär sind die Hausbesuche bei einem sogenannten Intellektuellen der Neuen Rechten, bei dem sich vorbeischauende Portraitverfasser reihenweise den Ziegenkäse einer Selbststilisierung auftischen ließen.
    Oder bei dem Spiegel-Text von letzter Woche über die Band Frei.Wild, die durch ihre Songs rechtes und völkisches Gedankengut verbreitet. Der Text behauptete: "Wenn man versuchen will zu verstehen, ... wer diese Band ist, ... muss man mit ihr auf Tournee gehen." Muss man? Vielleicht hätte es auch gereicht, die Wirkung der Konzerte genau zu beschreiben, die Geschichte der Band, ihr Umfeld, ihre Musik, ihre Texte, die Leben ihrer Fans. Oder wäre sogar besser gewesen, weil in der Form des Portraits eher schlechter diskutiert werden kann über fragwürdige Selbstauskünfte. Wie der Sänger raucht, kann dagegen auch die Bunte rausfinden.
    Das gilt auch für ein Portrait der Schriftstellerin Monika Maron, das in der Süddeutschen Zeitung vom letzten Wochenende stand. Und in dem die zu Hause Besuchte dann naiv fragt, warum pauschale, stigmatisierende, rassistische Aussagen, die sie trifft, rechts sein sollen. Auch hier wäre die kühle, wenn nicht kalte Analyse dessen, was Maron veröffentlicht, aufschlussreicher gewesen als das szenisch orchestrierte Geplauder: Motive in ihrem Werk zu betrachten, ihre Stellung im Literaturbetrieb zu beschreiben oder auch nur eine kluge Erkundung der Frage zu versuchen, warum Maron, obwohl sie Stasi-IM war, wie ein Nebensatz erzählt, weit weniger darauf festgelegt wird als andere Figuren aus dem Osten.
    Matthias Dell
    Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Vor allem weiß es der Text aber eigentlich selbst besser. Darin heißt es nämlich über die Rezeption von Marons jüngstem Buch: "Es ist ein bisschen eigentümlich: Eine Literaturkritik, die sonst viel auf die Unterscheidung von Text und Autor gibt, legt in diesem Fall ihre Instrumente aus der Hand und beschäftigt sich halb küchenpsychologisch, halb anklagend mit der Gesinnung der Autorin."
    Vielleicht sollte das Portrait selbst einmal seine Instrumente überprüfen. Fänd' ich total heiß.