Konflikte in der Datensphäre

Internationale Vereinbarungen für den digitalen Raum gesucht

Ein Mensch geht an einem Leuchtdisplay vorbei und wird mit Binärcode beleuchtet.
Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Amazon agieren mit ihren Diensten global. Doch es gibt kaum internationales Recht, dass ihrem Tun Grenzen setzt. © dpa
von Theresa Sickert · 04.05.2017
Das Meer, die Atmosphäre oder der Weltraum werden durch völkerrechtliche Verträge reguliert. Für den, rechtlich gesehen neuen, digitalen Raum stehen solche internationalen Vereinbarungen größtenteils noch aus. Doch die Interessenkonflikte sind schon da.
"Im 19. Jahrhundert wurden die Sphären wirklich für die Geowissenschaften verwendet. Und im Wesentlichen, wenn Sie sich die Hydrosphäre, die Atmosphäre oder die Biosphäre vornehmen, dann haben Sie da ein zusammenhängendes System, das mit anderen Systemen interagiert und das seine eigenen Regeln hat."
Dieses Konzept der Einteilung der Welt hat der französische Wissenschaftler Stéphane Grumbach übernommen, um die Gesamtheit aller digitalen Daten zu beschreiben. Auch sie bilden ein eigenes System, mit ganz eigenen Dynamiken und Beziehungen. Ihre Gesamtheit zeigt eine Art Bild der physischen Welt, mit Spuren von realen Aktivitäten, einschließlich unserer Position zu einem gegebenen Zeitpunkt, unserem Austausch, der Temperatur unserer Häuser, finanziellen Bewegungen, Warenhandel oder Straßenverkehr. Digitale Daten beeinflussen heute direkt oder indirekt nahezu alle Prozesse der Erde. Grumbach bezeichnet das digitale System deshalb auch als "Datensphäre".
"Rechtlich gesehen ist die Datensphäre ein neuer Raum. Und es gibt Aktivität in der Datensphäre. Google zum Beispiel ist wirklich ein Datensphäre-Unternehmen. So ähnlich ist es auch, wenn das Gesetz neue Räume wie das Meer, die Atmosphäre oder die Pole durchdringt. Denn auch dort gibt es menschliche Aktivität, das heißt es könnte Konflikte geben und das Gesetz beginnt, diese zu durchdringen", so Datenexperte Grumbach.
Und die Konflikte sind schon da. Die großen Pioniere innerhalb der Datensphäre - wie die Internetkonzerne Google, Facebook oder Amazon - agieren mit ihren Diensten global. Doch es gibt kaum internationales Recht, dass ihrem Tun Grenzen setzt.

Datenmenge undurchdringlich

Bevor man rechtliche Normen durchsetzen kann, muss man den Gegenstand überhaupt definieren können:
"Und was interessant ist, ist, dass das Gesetz irgendwie nicht in der Lage ist, die Datenmenge zu durchdringen. Es ist, als würden wir sagen, es gibt Aktivität auf dem Meer, aber wir sprechen nur über die Küstengebiete. So haben wir aber keine Möglichkeit, die Konflikte in der Tiefsee oder was auch immer zu beheben. Und so ist das, was jetzt geschieht: Das Gesetz sollte in der Lage sein, darüber zu sprechen, was in der Datenmenge vor sich geht und nicht nur über Datenströme und solche Dinge. Nur über Datenströme zu sprechen, wären wie aus dem Hafen zu beobachten. Wenn Schiffe in die Häfen kommen, gibt es Aktivität."
Bislang versuchen ganz unterschiedliche Staaten und Kulturen, mit ganz verschiedenen Vorstellungen, auf nationaler Ebene zu regulieren und zu lenken - und scheitern. Zum Beispiel dabei, wie das Recht auf Vergessen-Werden in Europa implementiert werden könnte.
"Und irgendwie gibt es keine Möglichkeit mehr, das umzusetzen. Und der Grund, warum man das nicht umsetzen kannst, ist, dass man in der Vergangenheit Gesetze auf seinem eigenem Territorium umgesetzt hat. Aber wenn man es jetzt umsetzen will, muss man das weltweit tun, auch wenn das keinen Sinn macht. Denn wenn man das Gesetz nur über dem eigenen Territorium implementiert, funktioniert es nicht. Denn man muss sich mit einigen anderen Teilen der Datensphäre verbinden, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Und weltweit umsetzen kann man es auch nicht, weil immer Leute geben würde, die dem nicht zustimmen."
Deshalb plädiert Grumbach auch für sein Konzept der "Datensphäre".
Denn bislang greift in anderen Sphären vor allem das Völkerrecht, da solche komplexen Systeme durch internationale Übereinkünfte geregelt werden können. Das Meer, internationale Kanäle, Flüsse und Seen, die Atmosphäre oder der Weltraum werden vor allem durch völkerrechtliche Verträgen reguliert. Sollte das Gesetz den Begriff der "Sphäre" auch auf den digitalen Raum anwenden, wären hier ähnliche Verträge denkbar - beispielsweise Vereinbarungen zu illegalen Plattformaktivitäten oder internationalem Datenschutz. Doch um die neue digitale Welt zu harmonisieren, glaubt Grumbach, werden einige Kämpfe in der alten, territorialen Welt ausgetragen werden.

Wir befinden uns in einem Krieg der Ideen

"Es gibt Konflikte, dazu gehören sehr interessante Propaganda-Konflikte. Wir befinden uns in einem Krieg der Ideen. Also ein Informationskrieg oder tatsächlich ein Krieg um die Datensphäre. Dabei geht es um ganz andere kulturelle Auffassungen. Die USA, China, Russland, Europa und andere asiatische Länder treffen sehr unterschiedliche Entscheidungen."
Nach aktuellem Stand gibt es keine internationale Auffassung, wie "Das Internet” auszusehen hat. In der alten Welt, in der Nationalstaaten und Grenzen eine Rolle spielen, trug man historisch Interessenskonflikte mit Abschottung oder Kriegsgerät aus. Diese Mechanismen scheinen, so Grumbach, nun die alten Mächte in der neuen digitalen Welt anzuwenden - in der aber die großen Player global agierende Unternehmen sind, wie etwa der Fahrdienst Uber.

"Zunächst kann man wieder Grenzen einführen. Und im Wesentlichen machen wir das, wenn wir Firmen aus anderen Teilen der Welt blockieren. Uber ist an vielen Orten blockiert. Wir glauben dass massiv wieder die Grenzen hochgezogen werden."
Das Problem dabei ist: Moderne Unternehmen und ihre Produkte sind so vernetzt, dass man sie nicht mehr als einzelne Geschäfte aus einem bestimmten Land betrachten kann. Digitale Produkte sind ein globales Problem. Grumbach sieht in der digitalen Revolution, ein ähnliches Phänomen wie bei der Erderwärmung. Beide sind menschengemacht, hoch komplex und können nur global gelöst werden.
"Ich fürchte, um das zu erreichen, werden wir stark kritisiert werden - so wie es bei militärische Aktionen der Fall ist, die verboten sind und man eine globale Vereinbarung darüber hat, dass sie verboten sind. Es ist ein gutes Argument, wenn man den U.S.-Angriff auf Syrien auf der Grundlage beurteilt, dass dort bestimmte Arten von Waffen eingesetzt wurden. Es gibt eine Art Vereinbarung, wenn auch keine vollständige. Es wird diskutiert."
Und so glaubt der Datenwissenschaftler Grumbach auch, dass aus dem Krieg um die Datensphäre, internationale Vereinbarungen entstehen könnten, welche Aktivitäten im digitalen Raum erlaubt sind und welche nicht. Internationale Gremien könnten diese Aktivitäten überwachen, einzelne Länder bestimmte Kompetenzen für einzelnen Bereiche innerhalb der Datensphäre übernehmen. Die Welt würde sich neu ordnen. Denn der digitale Raum als Ganzes ist selbst für eine internationale Staatengemeinschaft zu groß, um ihn vollständig zu erfassen. Es ist so, als wolle man jedes Wassermolekül der Erde kontrollieren oder den ganzen Weltraum. Es ist unmöglich.
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