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"Zaman" Deutschland
Weiterarbeiten ohne türkische Mutterredaktion

Im Bereich Pressefreiheit entfernt sich die Türkei mehr und mehr von den westlichen und europäischen Standards. Verlagshäuser und Medien werden unter staatliche Aufsicht gestellt, zuletzt die regierungskritische Zeitung "Zaman". Deren deutscher Ableger macht trotzdem weiter.

Von Kemal Hür | 19.03.2016
    Die erste Ausgabe der jetzt staatlich kontrollierten türkischen Zeitung "Zaman"
    Die erste Ausgabe der jetzt staatlich kontrollierten türkischen Zeitung "Zaman" (dpa / picture-alliance)
    - Bağ: Hier sehen Sie die letzte gemeinsame Ausgabe der Zaman Türkei und Zaman Deutschland. Das ist jetzt die Ausgabe vom 5. März.
    - Überall: Und fast Zweidrittel kam üblicherweise aus der Türkei zugeliefert?
    - Bağ: Genau.
    - Überall: Und was kommt da heute noch?
    - Bağ: Nichts!
    Solidaritätsbesuch in der Berliner Redaktion der türkischen Zeitung "Zaman". Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, DJV, Frank Überall, erkundigt sich, wie die Journalisten in Deutschland arbeiten, nachdem die türkische Regierung ihre Mutterzeitung in Istanbul vor zwei Wochen unter staatliche Aufsicht gestellt hat. Der Deutschland-Ausgabe fehlen seitdem 60 bis 70 Prozent des Inhalts. Dieser Teil wurde bis zur Zwangsverwaltung von der Hauptredaktion zugeliefert, sagt der Berliner Chefredakteur Dursun Çelik.
    "Wir haben damals fertige PDF-Seiten von unserer alten "Zaman" bekommen. Das geht natürlich nicht mehr. Wir bekommen Nachrichten, Berichterstattung und Fotos von bestimmten Informationen und Nachrichten."
    Ein Mitarbeiter der deutschen "Zaman" zeigt dem Gewerkschaftschef die erste Ausgabe der Zeitung nach der Zwangsverwaltung mit einer komplett schwarzen Titelseite. Die Schlagzeile lautet: Verfassung außer Kraft gesetzt. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan habe den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung de facto außer Kraft gesetzt und regiere das Land wie ein Sultan, berichtet der Chefredakteur der "Zaman" Deutschland, Dursun Çelik, seinem Gast. Umso wichtiger sei es, Solidarität zu bekunden, sagt DJV-Vorsitzender Frank Überall:
    "Denn wenn man auch als deutscher Staatsbürger, als deutscher Journalist mit türkischem Migrationshintergrund in die Türkei einreist, dann weiß man nicht, was passiert. Das wird beschrieben als System der Willkürherrschaft. Und das ist auch das, wenn ich mir die Berichterstattung über die Schließung von Medienunternehmen anschaue, über die Übernahme durch den Staat, die inhaltliche Übernahme auch, dann ist dieser Begriff der Willkür nicht falsch gewählt."
    "Zaman" gilt als eines der Medienorgane der Gülen-Bewegung
    "Zaman" erscheint seit knapp 30 Jahren und gilt als eines der vielen Medienorgane der Gülen-Bewegung. Fetullah Gülen war ein langjähriger Weggefährte von Recep Tayyip Erdoğan, dem heutigen Staatspräsidenten. Seit etwa drei Jahren führen sie einen erbitterten Machtkampf. Die Türkei stuft Gülen und sein weltweites Netzwerk nun als Terrororganisation ein. Gülen werden von Kritikern islamistische Bestrebungen nachgesagt. Die politische Auseinandersetzung um diese Bewegung sei im Moment zweitrangig, meint Frank Überall:
    "Mir geht es nicht darum, eine Zeitung oder eine Bewegung politisch zu betrachten. Mir geht es um die Pressefreiheit. Und Pressefreiheit muss für all diejenigen gelten, die sicherlich manchmal auch mit einem bestimmten Weltbild und zugespitzt berichten. Aber ohne jedes Verfahren einfach die Pressefreiheit einzuschränken, das geht nicht."
    Bis zum Zerwürfnis zwischen Erdoğan und Gülen berichtete die "Zaman" selbst nicht über Verletzungen von Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei. Sie war ein Sprachrohr von Erdoğans islamischer Regierung. Das sei ein Fehler gewesen, sagt Zaman-Kolumnist Süleyman Bağ.
    "Wir haben lange Zeit als Zaman daran geglaubt, dass Erdoğan das, was er verspricht, auch umsetzen wird. Erdoğan ist 2002 an die Regierung gekommen. Er hat mehr Demokratie versprochen. Er hat mehr Rechtsstaatlichkeit versprochen. Er hat mehr Minderheitenrechte versprochen. Nach 2011 hat man aber gesehen, dass er, nachdem er die Militärs und andere Kräfte ausgeschaltet hat, nicht daran interessiert war, eine demokratische Verfassung einzuführen, sondern an einem autokratischen System angefangen hat, zu arbeiten."
    Die deutsche "Zaman" ist von der staatlichen Zwangsverwaltung rechtlich nicht betroffen. Sie gehört dem Medienunternehmen Worldmedia Group, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Offenbach am Main. Aktuell berichtet die Zeitung auch über Korrespondenten deutscher Medien, die aus Sicherheitsgründen die Türkei verlassen mussten. Die Berichterstattung aus der Türkei übernimmt "Zaman" Deutschland inzwischen teilweise von einer Istanbuler Nachfolgezeitung, sagt der Berliner Chefredakteur Dursun Çelik seinem Gast, bevor er ihn verabschiedet.