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Zankapfel Freundschaftsbrücke

Die meisten ISAF-Truppen werden Afghanistan über den Norden verlassen. Der Korridor zwischen den zentralasiatischen Republiken Tadschikistan und Usbekistan gilt den Militärplanern als sicherer als die Route über Pakistan.

Von Marcus Bensmann | 19.05.2012
    Die Morgensonne lässt die sandige Ödnis am afghanischen Ufer schimmern. Ein grün uniformierter tadschikischer Zollbeamter gibt das Zeichen den Schlagbaum zur Brückenauffahrt über den Grenzfluss Pjansch zu heben. Die Fahrer, die zuvor gelangweilt auf staubigem Grund hockten, springen in die Dutzend wartenden Lastwagen russischer und chinesischer Bauart. Ein LKW nach dem anderen fährt in den von Stacheldraht und Wachttürmen umgebenen tadschikisch/afghanischen Grenzübergang Nizhny Pjandzh ein.

    "Seit die Brücke fertig gebaut ist, können wir jetzt über diese Straße direkt Güter von dem pakistanischen Hafen Karatschi via Afghanistan zu uns nach Tadschikistan und weiter nach Zentralasien transportieren. Die Brücke hilft unserem Warenaustausch …"

    … preist der tadschikische Grenzoffizier Chuschnud Rachmatullajew den neuen Handelsweg. Doch es geht längst nicht nur um Dünger, Kartoffeln oder Zement.

    Lkw mit kirgisischen Nummernschildern bringen US-Container zur tadschikischen Freundschaftsbrücke. Nach der Brückenquerung sind es nur noch knapp 60 Kilometer auf einer gut ausgebauten Straße bis nach Kundus. In dieser nordafghanischen Stadt unterhalten sowohl die Bundeswehr als auch die US-Armee große Militärbasen.

    "Wir fahren von Bischkek über den Karamykpass dann nach Chilgerdal und Duschanbe bis zur Grenze, teilweise ist das aber keine Straße mehr, sondern der reinste Ziegenpfad. Auf der Fahrt gibt es nur Probleme, man muss das Auto reparieren, dann platzt der Reifen, so fahren wir hin und dann auch wieder zurück."

    Für den kirgisischen Fahrer ist die Fahrt von der US-Luftwaffenbasis Manas am Flughafen der kirgisischen Hauptstadt Bischkek bis zur afghanischen Grenze immer noch eine Tortur, obwohl eigentlich viel in die Infrastruktur investiert worden ist. Die noch aus Sowjetzeiten stammende Betonpiste zwischen der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe und der Grenze hat man mit Geldern der japanischen Regierung frisch asphaltiert; chinesische Finanziers und Baufirmen bauen die Trasse von Tadschikistan nach Kirgistan durch das Vorpamirgebirge.

    Mit dem neuen Straßennetz samt Brücke positioniert sich Tadschikistan, der ärmste Staat in Zentralasien, auch als ein Transitpartner für die NATO im Afghanistankrieg und als mögliche Abzugsroute für deren im kommenden Jahr anvisierten Rückzug.

    Die Nordversorgungsroute durch die Staaten Zentralasiens soll den Transport über Pakistan ersetzen, denn die instabile Lage bei diesem südlichen Nachbarn Afghanistans gefährdet seit Langem die dortigen NATO-Nachschubwege.

    Frankreich hat die Bedeutung Tadschikistans in dieser Hinsicht schon früh erkannt.

    "Wir nutzen nun seit zehn Jahren den Flughafen in Duschanbe als Drehkreuz, um unsere Truppen nach Afghanistan zu bringen. Bis 2007 haben wir Duschanbe auch für unsere Kampfflugzeuge genutzt. Wir haben bis dahin mit den tadschikischen Behörden keinerlei Schwierigkeiten gehabt ..."

    ... lobt Henry Zipper de Fabiani, der französische Botschafter in Duschanbe, die Zusammenarbeit mit den tadschikischen Partnern.

    Deutschland setzt dagegen allein auf Usbekistan. Wenige Kilometer flussaufwärts von der neuen Freundschaftsbrücke in Tadschikistan führt auf usbekischem Staatsgebiet die legendäre Druschbabrücke von Termes nach Afghanistan. Die Sowjetarmee marschierte einst über sie nach Afghanistan hinein und ein Jahrzehnt später geschlagen wieder heraus. Jetzt unterhält die Bundeswehr in Termes einen Luftwaffenstützpunkt. Von dort führt eine Eisenbahnlinie bis zur Grenze und seit 2010 auch über den Fluss bis zur nordafghanischen Stadt Masar-e-Sharif. Auf diesem usbekischen Landweg rollt ein Großteil der US-Transporte.

    Die usbekische Regierung unter dem Präsidenten Islam Karimow pokert seit Langem mit der vorteilhaften geopolitischen Lage ihres Landes: Ständig erhöht Usbekistan die Transporttarife für die NATO-Staaten. Deutschland zahlt seit 2010 jährlich rund 16 Millionen Euro Miete für das Flugfeld in Termes. Hinzu kommt: Deutschland und die NATO-Staaten schweigen offenbar nicht zuletzt aus diesem Grund zu den anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen ihres usbekischen Verbündeten im eigenen Land. Millionen Kinder werden laut der europäischen Denkfabrik "International Crisis Group" in dem zentralasiatischen Staat in die Baumwollernte gezwungen und nach UN-Erkenntnissen wird in usbekischen Haftanstalten und Polizeirevieren systematisch gefoltert.

    Anders als Frankreich und die USA verfügt Deutschland bisher aber nicht über eine Alternativroute.

    Einen ernsthaften Versuch Deutschlands, die tadschikische Alternativroute zu untersuchen, habe man bislang allerdings nicht bemerken können, verlautet es dazu leicht süffisant aus gut informierten internationalen Kreisen in Duschanbe.

    Aus dem tadschikischen Außenministerium ist auf Anfrage offen zu hören, dass das Land bereits 2001 Deutschland seine Bereitschaft signalisiert habe, der Bundesluftwaffe einen Flughafen zur Verfügung zu stellen.

    "Für die NATO wären wir der rettende Weg. Pakistan und Iran fallen aufgrund der Sicherheitslage aus, und Usbekistan erhöht immer weiter die Tarife. Also kann sich Tadschikistan als Retter in der Not anbieten und Europa aus der Sackgasse helfen. Wir können eine größere Rolle spielen als bisher. Die NATO müsste sich allerdings auf die Straße und nicht auf die Eisenbahn konzentrieren ..."

    ... sagt der regierungsnahe Experte Saifullo Sawajew in Duschanbe.

    Denn: Tadschikistan hat ein Eisenbahnproblem. Die zwei Schienenstränge kommen aus dem benachbarten Usbekistan und die dortige Regierung versteht es immer wieder den Zugverkehr zu unterbrechen. Tadschikistan, der mögliche Konkurrent bei dem lukrativen Transitgeschäft, fühlt sich von Usbekistan unter Druck gesetzt.

    Zudem wurden auf usbekischem Territorium Gleise abmontiert, die ausgerechnet den Süden Tadschikistans und damit die Grenzregion zu Afghanistan mit dem internationalen Schienennetz verbinden. Zur Begründung nannte Usbekistan – Zitat: - "notwendige Reparaturarbeiten" als Folge eines angeblichen Terroranschlags.

    In Kolchosabad ist seither kein Zug mehr eingefahren. Auf dem Basar dieser südtadschikischen Stadt geht der Handel dennoch eifrig weiter. Die Menschen sind allerdings ausschließlich auf den Warentransport per Fernstraße angewiesen - jene Straße, die zur Freundschaftsbrücke führt. Wenigstens ein bisschen profitiert damit auch Kolchosabad von der neuen Afghanistanroute.

    Ein Tankwart freut sich jedenfalls sehr über neue Kundschaft.

    ""Vor allem Lkws kommen vorbei, sie bringen meistens amerikanische Güter nach Afghanistan, und von dort kommen manchmal Zement und Kartoffeln zurück. Früher, vor den Reparaturarbeiten, war diese Straße wie eine Ziehharmonika. Man konnte nicht schneller als 40 Stundenkilometer fahren. Nun sind stellenweise sogar 100 Stundenkilometer drin"."