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Zarah Leander für Fans und Kritiker

Das Leben der schwedischen Film-Diva Zarah Leander wurde vom Nationalsozialismus mitgeprägt. Bis zu ihrem Tod 1981 und auch noch darüber hinaus haftete ihr der Ruf an, sich als Star der von Goebbels dirigierten Ufa in den Dienst der NS-Propaganda gestellt zu haben. Dass dies allerhöchstens die halbe Wahrheit über Zarah Leander ist, belegt jetzt eine neue Biographie. Eine Rezension von Christian Blees.

Moderation: Marcus Heumann | 19.02.2007
    ... Oft träumt man von Idealen, folgt dem wilden Herzensdrang, und dann muss man dafür zahlen, zahlen, all sein Leben lang. Freiwild wird man für jedermann, ohne Pardon. Und was dann folgt, verfolgt uns dann bis zur Endstation ... .

    In diesem Lied, das Zarah Leander 1964 zum ersten Mal sang, schwingt ohne Zweifel eine kräftige Portion Selbstironie mit. Bei aller Heiterkeit enthält der Text aber wohl auch einen Hauch von Wehmut, vielleicht sogar von Verbitterung. Denn wie wohl kaum ein zweiter Künstler ihrer Ära hatte vor allem Zarah Leander nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Tatsache zu kämpfen, dass sie ausgerechnet im nationalsozialistischen Deutschland zu den absoluten Superstars gehörte. So ist die Schwedin bis heute nicht zuletzt bei vielen Nachkriegsgeborenen als Propaganda-Sängerin verschrien, als Nazi-Diva oder auch als persönlicher Liebling von Propagandaminister Joseph Goebbels.

    Die Hamburger Journalistin Jutta Jacobi hat es sich mit ihrer ambitionierten Biographie unter anderem zur Aufgabe gemacht, dem Wahrheitsgehalt derartiger Behauptungen auf den Grund zu gehen. Und dies scheint der Autorin gar nicht einmal so schwergefallen zu sein. Sie macht in ihrem Buch recht schnell klar, dass man eigentlich nur sorgfältig genug Zarah Leanders Karriereverlauf studieren muss. Dann lässt sich in Bezug auf ihre politische Gesinnung so manches Detail ans Tageslicht befördern, bei dem sich nicht nur ausgewiesene Kritiker der Sängerin verwundert die Augen beziehungsweise die Ohren reiben dürften. So hat die Leander zum Beispiel schon 1934 - also drei Jahre vor dem Start ihrer Karriere bei der UFA - in ihrer Heimat Schweden ein Lied gesungen, das die nationalsozialistische Rassenpolitik aufs Schärfste verurteilte. Der Text stammte von dem politisch stark links orientierten Schauspieler Karl Gerhard. Jutta Jacobi:

    "In diesem Lied prangerte sie die Untaten der Nazis an und dass sie die Juden also aus Deutschland vertrieben hatten aus allen künstlerischen Bereichen. Es geht immer um Babylon, und Babylon ist also ein Symbol für politischen Ungeist, Willkürherrschaft durch alle Zeiten - in diesem Fall eben jetzt festgemacht an den Nazis. Und das sang sie und war darin wohl auch sehr gut. "

    Zarah Leander als Interpretin eines Anti-Nazi-Liedes? Wie passt das zusammen mit ihrer späteren Karriere als vermeintliche Nazi-Schauspielerin?

    "Karl Gerhard hat ihr dieses Lied gegeben, und sie hat es gesungen und das gut interpretiert. Aber das bedeutet nicht, dass das ihr persönliches politisches Credo war. Ich glaube, sie hatte kein persönliches Credo. Sie war befreundet mit vielen unterschiedlichen Menschen von ganz unterschiedlichen politischen Couleurs. Sie hatte da überhaupt keine Berührungsängste. Also, sie konnte mit dem Karl Gerhard befreundet sein, er war ein ganz, ganz klarer, entschiedener Anti-Nazi. Mit ihm war sie befreundet. Sie hatte auch viele jüdische Freunde, sie hatte aber auch keine Berührungsängste mit Goebbels, sie ging ziemlich viel mit ihm um und sie musste das ja auch. Ich glaube, sie war tatsächlich politisch relativ unbeleckt."

    Zarah Leanders politische Unbedarftheit - sie selbst hat sich sogar einmal als "politische Idiotin" bezeichnet - zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Jutta Jacobis Biographie macht schnell deutlich: Zarah Leander hat sich - meist aus dem Bauch heraus - stets für das entschieden, was sie vor allem als Künstlerin vorangebracht hat. Als Schauspielerin und Sängerin wollte sie in erster Linie dem Publikum gefallen, nicht den Herrschenden. Darum konnte Zarah Leander die Vorwürfe, sie habe als Nazi-Schauspielerin ein totalitäres Regime unterstützt, bis zuletzt nicht nachvollziehen. Zumal sich das Gerücht, sie sei von Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich entdeckt und gefördert worden, als haltlos entpuppte. Denn als Zarah Leander ihren Vertrag mit der UFA unterschrieb, ist sie längst ein gefeierter Star, und auch in Hollywood war man bereits auf sie aufmerksam geworden. Doch Joseph Goebbels hält die schwedische Schauspielerin lange Zeit für "völlig überschätzt", wie er einmal in seinem Tagebuch schreibt. Seine Abneigung der Leander gegenüber lässt erst nach, als er erkennt, welche enormen Summen die Filme mit der schwedischen Diva letztlich in die nationalsozialistischen Kriegskassen spülen.

    So auch der Film "Die große Liebe". Er feiert schon im Juni 1942 Premiere - also lange bevor der Kriegsverlauf mit der Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 eine entscheidende Wende nehmen wird. Trotzdem werden zwei von Zarah Leander im Film gesungene Lieder nach Ende des Zweiten Weltkriegs von verschiedenen Seiten immer wieder zu "Durchhalte-Schlagern" erklärt - und damit für die Künstlerin zur lebenslangen Hypothek. Eines der Lieder heißt "Davon geht die Welt nicht unter", und Jutta Jacobi erläutert in ihrem Buch die dazugehörige Entstehungsgeschichte. Geschrieben worden ist der Song vom Textdichter Bruno Balz, einem Freund Zarah Leanders. Balz ist nicht nur ein erklärter Gegner der Nazis, sondern auch noch homosexuell. Als er deswegen 1941 denunziert wird, landet er für drei Wochen in Gestapo-Haft. "Davon geht die Welt nicht unter", geht es Bruno Balz daraufhin in der Zelle durch den Kopf. Mit dem spontan von ihm geschriebenen Text spricht er sich gewissermaßen selbst Mut zu - nicht ahnend, dass die berühmte Liedzeile noch Jahrzehnte später immer wieder völlig falsch interpretiert werden wird.

    Im Sommer 1943 schließlich kommt es zum Bruch zwischen der UFA und ihrem Star. Zarah Leander fühlt sich durch Joseph Goebbels unter Druck gesetzt. Der Propagandaminister will, dass die Diva endlich die deutsche Staatsangehörigkeit annimmt und ihren Landsitz in Schweden gegen ein Grundstück in Ostpreußen eintauscht. Goebbels mag nicht länger dulden, dass Deutschlands größter Filmstar einen Großteil seiner Zeit im neutralen Schweden verbringt. Für Zarah Leander ist dies das Signal, Berlin endgültig Adieu zu sagen. Womit sie aber nicht gerechnet hat: Viele ihrer Landsleute wollen plötzlich nichts mehr von ihr wissen.

    "Schweden sind höfliche Menschen, und sie haben ihr wahrscheinlich ihre Missachtung zunächst mal nicht so deutlich gezeigt. Aber sie hat dann sehr schnell gemerkt, dass sie einfach keiner hören wollte. Sie war einfach nicht willkommen auf schwedischen Bühnen. "

    Voller Verzweiflung sucht Zarah Leander Hilfe bei ihrem alten Freund Karl Gerhard. Für ihn hat sie ganz am Anfang ihrer Karriere in vielen gefeierten Revuen auf der Bühne gestanden. Gerhard hat auch gleich eine Idee. Er will die Leander im Dezember 1944 in einer neuen, politischen Revue ganz groß herausbringen. Um die Werbetrommel für das Projekt zu rühren, arrangiert Gerhard ein Mittagessen mit Journalisten und Schauspielerkollegen - allerdings ohne den Beteiligten vorher zu verraten, wen er für die Hauptrolle vorgesehen hat. Als er während des Essens die Katze aus dem Sack lässt, ist die Katastrophe perfekt. Sichtlich pikiert ziehen sich die geladenen Gäste nach und nach vom Lunch zurück.

    "Es kam dann hinzu, dass das Kommunistenorgan "Ny Dag" mit ihr ein Interview gemacht hatte, und in diesem Interview, in dem sie sehr frech und keck im Ton auftritt, kommt sie ganz gut weg. Jetzt verstand man überhaupt nicht mehr, was man von dieser Frau nun zu halten hätte. Jetzt fing auch der schwedische Sicherheitsdienst an, sie zu bespitzeln oder zumindest eine Akte anzulegen. Es wurden Zeugenaussagen gesammelt. Kein Mensch wusste: was soll man von dieser Frau halten? Und deswegen hat man sich eher auf Distanz gehalten und wollte mit ihr nun gar nichts zu tun bekommen."

    Plötzlich kommen sogar Gerüchte auf, die Zarahs Rolle im Zweiten Weltkrieg in das genaue Gegenteil dessen verkehren, was bisher behauptet wurde. Jetzt soll sie auf einmal keine Nazi-Sympathisantin mehr gewesen sein, sondern als Agentin für die Sowjetunion gearbeitet haben. Jutta Jacobi hat während ihrer Recherchen zahlreiche Zeitzeugen auch zu dieser These befragt. Ergebnis: Niemand kann sich so etwas auch nur annähernd vorstellen.

    "Zarah Leander allerdings, die hat einen Eid darauf geschworen und hat gesagt: Derjenige, der mir beweist, dass ich für irgendein Land spioniert habe, der kriegt alles, was ich besitze. Und da sie eine durchaus an materiellen Dingen interessierte Frau war, glaube ich, das hätte sie nicht versprochen, wenn es nicht so gewesen wäre."

    Jutta Jacobi gelingt es in ihrer Biographie, ein insgesamt facettenreiches, bei aller durchschimmernden Sympathie für die Porträtierte aber keineswegs verklärendes, sondern durchaus kritisches Bild der berühmten Sängerin und Schauspielerin zu zeichnen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Autorin bei ihren Recherchetouren zwischen Wien und Stockholm nicht darauf beschränkt hat, ausschließlich in verstaubten Archiven herumzustöbern. Stattdessen lässt sie viele Zeitzeugen zu Wort kommen, die die Leander persönlich gekannt haben. So kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Jutta Jacobi mit ihrer Leander-Biographie ein ebenso informatives wie leicht zu lesendes Standardwerk zum Thema vorgelegt hat. Es ist Fans und Kritikern der Diva gleichermaßen wärmstens zu empfehlen.

    Christian Blees über Jutta Jacobi: Zarah Leander. Das Leben einer Diva. Im Hoffmann & Campe Verlag Hamburg, 282 Seiten für 22 Euro.