Donnerstag, 28. März 2024

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Zauber der Bühne

"Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?" fragt – Goethe zitierend – eine der Autorinnen in dem vorliegenden prachtvoll bebilderten Band über das japanische Nô-Theater. Etwas extrem Fremdes ist es für uns auf jeden Fall – diese rund 600 Jahre alte Theaterform, deren zeitlupenhaft langsame, bis in die kleinste Regung kodifizierte Bewegungsabläufe der Darsteller dem europäischen Betrachter als außerordentlich fremdartig erscheinen müssen. Und doch ist das Ganze zugleich faszinierend, ja betörend. Denn trotz aller Fremdartigkeit teilt sich auch dem uneingeweihten Zuschauer geradezu körperlich spürbar die ungeheure Konzentration der Agierenden auf der Bühne mit, hat er teil an der nahezu unheimlichen Intensität des Bühnengeschehens. "Was konnte das gewesen sein? In jenem Augenblick, soviel war sicher, hatte sich Schönheit hervorbewegt. Wie die Strandvögel, die doch zu fliegen wissen, unsicheren Schrittes daherkommen, hatte sie ihre Fußspitzen in den weißen Tabi-Socken ein wenig vorwärts gesetzt in Richtung auf unsere Welt", mit diesen Worten schildert der japanische Schriftsteller Yukio Mishima sein Nô-Erlebnis.

07.01.2004
    Tatsächlich ist es diese flüchtige und gleichermaßen hoheitsvolle, diese zarte und doch würdevolle Schönheit, die ungeachtet der fremden Tradition auch einen Europäer unmittelbar in Bann zu schlagen vermag. Eine Schönheit, hervorgerufen durch das eindringliche, über die Jahrhunderte von Schauspielergeneration zu Schauspielergeneration weitergegebene, streng geregelte Zusammenspiel von Körperbewegungen, Stimmen und Musikinstrumenten auf der Bühne. Einen wesentlichen Anteil an dieser Schönheit haben neben Bewegung, Stimme und Musik die kostbaren Masken, die jeweils der Hauptdarsteller trägt, sowie die prächtigen Gewänder aller Schauspieler. Es sind die Masken junger, schöner Frauen oder leidgeprägter Greisinnen, die Masken von Dämonen, Prinzen, Krieger und weisen Männer. Noch bis heute werden auch die Frauenrollen von Männern gespielt. Für seinen Auftritt schon fertig angekleidet, setzt sich der Schauspieler, bevor er die Bühne betritt, im sogenannten Spiegelzimmer vor einen Spiegel und verbeugt sich vor der Maske, bevor er sie aufsetzt. Hier bleibt er die letzten Augenblicke sitzen, versenkt sich in das Bild, das der Spiegel reflektiert, wird eins mit ihm und damit mit seiner Rolle.

    Über die Tradition der Nô-Masken, die Bedeutung der einzelnen Maskentypen sowie ihre Herstellung gibt das Buch in einzelnen Aufsätzen begleitet von prachtvollen Photos Aufschluss. Weitere Beiträge befassen sich mit den kostbaren Nô-Gewändern, ihrer Geschichte, der Klassifizierung der verschiedenen Kostüme, ihrer traditionellen Herstellung – dem aufwendigen Färben und dem Weben der komplizierten Muster – sowie der Kunst ihrer Reproduktion heute. Auch dies wird reichhaltig und farbenprächtig illustriert. Über die Geschichte des Nô-Theaters, seine Entstehung aus sakralen Tempelspielen des Mittelalters und seine Vollendung durch den Schauspieler Zeami Anfang des 15. Jahrhunderts, der dem Nô-Spiel seine bis heute gültige Form gab und von dem viele Nô-Stücke überliefert sind, ist gleichfalls Erhellendes zu erfahren. Ebenso über die Nô-Dramen selbst, ihre literarischen Hintergründe aus bekannten Sagen, Mythen, Heldenepen und ihre Bühnenkomposition, denen eindrucksvolle Szenenabbildungen beigegeben sind. Nô ist eine bis heute in Japan tief verwurzelte und zugleich lebendig blühende Kunstform – das Wort 'Nô' bedeutet Fertigkeit oder Kunst , deren Beliebtheit auch bei uns ständig wächst.

    Aber schon Bertolt Brecht war ein großer Liebhaber des Nô gewesen, von dem er neben seinen Nô-Masken wichtige Anregungen für sein eigenes Theater empfangen hatte. Wer sich also von der Schönheit des Nô-Theaters faszinieren lassen möchte, und es ist gerade keine Nô-Schauspielkompanie auf Deutschlandtournee, der kann sich durch dieses schöne Buch mit seinen fachkundigen wie äußerst lesenswerten Beiträgen deutscher und japanischer Autoren ins Bild setzen und nicht zuletzt von seinen zahlreichen Abbildungen begeistern lassen.

    Ulrike Dembski und Alexandra Steiner (Hg.)
    NÔ THEATER. Kostüme und Masken
    Verlag Christian Brandstätter, 175 S., € 39,90