Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

ZDF-Serie "Schuld"
Chaos statt Aufklärung

Die ZDF-Miniserie "Schuld" basiert auf dem gleichnamigen Buch des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach. Die sechs Kurzfilme fordern die Zuschauer in Moralfragen. Auch wenn sie viele Anleihen von Qualitätsserien aus den USA haben - süchtig machend sind sie nicht.

Von Hendrik Efert | 19.02.2015
    Der Schauspieler Moritz Bleibtreu (l), der den Berliner Anwalt Friedrich Kronberg spielt, und der Rechtsanwalt und Schriftsteller Ferdinand von Schirach.
    Der Schauspieler Moritz Bleibtreu (l), der den Berliner Anwalt Friedrich Kronberg spielt, und der Rechtsanwalt und Schriftsteller Ferdinand von Schirach. (picture alliance / dpa / Georg Wendt)
    Die Frau schläft mit einem Fremden, der Mann filmt das. Schon mehrere Male haben sie das getan, unter Einverständnis aller Beteiligten. Doch plötzlich schläft sie mit einem Mann, den er nicht ausstehen kann.
    "Friedrich Kronberg. Ich bin Anwalt. Und so viel hat mir Ihre Frau eigentlich auch gar nicht erzählt, nur das, was die Polizei ihr erzählt hat. Nämlich das Sie - angeblich - einen Mann in einem Hotelzimmer in Hannover niedergeschlagen und schwer verwundet haben."
    Fälle wie diese beschreibt der prominente Strafverteidiger Ferdinand von Schirach in seinen Bestellern: Gewaltvoll ja, aber immer auch kompliziert, uneindeutig. Für von Schirach gibt es keine bösen Taten und vor allem: keine geborenen Verbrecher. Jeder kann für ihn zum Täter werden, es braucht nur die entsprechende Vorgeschichte bestehend aus einer Vielzahl unkalkulierbarer Faktoren. Viele Menschen denken auch heute immer noch anders darüber.
    "Ich möchte zu dem Tathergang nichts sagen."
    Orientierung an US-Standards
    Gut und Böse existieren nicht in Abgrenzung zueinander. Dieses juristische Grundverständnis haben Oliver Berben und Jan Ehlert in ihrer Produktion fürs ZDF auch filmisch umgesetzt: Die Erzählungen in Form von sechs Kurzfilmen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Und: Bis zur eigentlichen Tat vergeht jedes Mal viel Laufzeit. Das ist neu und bemerkenswert und orientiert sich an den Standards der sogenannten Qualitätsserien aus den USA.
    Auf den vom sonntäglichen Tatort geprägten deutschen Zuschauer wirkt das vielleicht ungewöhnlich: Hier wird Woche für Woche der Zuschauer mit einer vollumfassenden Aufklärung befriedigt - mit wenigen Ausnahmen. Realitätsnah ist das nicht. Und künstlerisch wertvoll auch schon lange nicht mehr. Liebhaber amerikanischer Serien wissen das.
    "Also manchmal glaub ich, vielleicht sollten wir mal woanders hinfahren?" -
    "Warum was Neues ausprobieren, wenn das Alte stimmt? Auf unser Wochenende!" -
    "Auf uns!"
    Ein Plädoyer für ein moralfreies Strafrechtssystem
    "Schuld" zeigt, dass es nie vollumfassende Aufklärung gibt, nur Chaos. Das von Menschen gemachte Rechtssystem versucht lediglich, Ordnung zu schaffen. Ein aussichtsloser Kampf, doch der Weg ist das Ziel. Somit ist "Schuld" auch ein deutliches Plädoyer für ein moralfreies Strafrechtssystem.
    "Sie müssen nur eines begreifen: Die Richter wollen eine Tat verstehen, sie wollen ein Motiv begreifen, wenn sie es nicht tun, wenn sie eine Tat nicht verstehen, dann fällt das Urteil meist sehr viel höher aus."
    Was "Schuld" dann am Ende doch vom amerikanischen Edelfernsehen trennt, ist das Ausbleiben wahrer Protagonisten, mit denen es sich lohnt, mitzugehen. Die Idee war es, die Figur des Strafverteidigers Friedrich Kronberg als einen solchen zu zeigen, glänzend gespielt von einem angenehm gereiften Moritz Bleibtreu. Nur leider fehlt ihm die nötige Spielzeit und die entsprechende Vorgeschichte, dass er sich zum wahren Helden der Serie eignen würde. Er dient lediglich als Klammerteil. Erst die letzte der sechs Folgen liefert auch ein wenig Biografie des vermeintlichen Protagonisten, nur leider zu spät.
    "Die Schuld eines Menschen ist schwer zu wiegen. Wir streben ein Leben lang nach Glück. Aber manchmal verlieren wir uns und die Dinge gehen schief. Dann trennt uns nur noch das Recht vom Chaos."
    Dennoch: "Schuld" ist gut gemachtes Fernsehen mit Spannung und Intention, und fordert den Zuschauer in Fragen der Moral, und eben: der Schuld heraus. Ungewöhnlich bislang in deutschen Fernsehproduktionen. Süchtig machendes Fernsehen ist es aufgrund der genannten Gründe leider immer noch nicht.
    Die Serie läuft im ZDF freitags um 21.15 Uhr. Alle Folgen sind bereits in der ZDF-Mediathek abrufbar.